"Das ist eine Katastrophe"
Die Mitarbeiter des insolventen Versandhauses Quelle bekommen derzeit nach den Worten des Vorsitzenden des Gesamtbetriebsrats, Ernst Sindel, sehr viel Solidarität zu spüren. "Wir brauchen jetzt Unterstützung von allen Seiten", sagte Sindel.
Birgit Kolkmann: Reporter berichten, das Quelle-Einkaufszentrum in Fürth gleicht seit gestern einem Basar. Schnäppchenjäger sind unterwegs und kaufen für ‚nen Appel und ‚en Ei alles, was Quelle noch zu bieten hat, von der Unterhose bis zur Küche. Ausverkauf beim Traditionsunternehmen, und die Mitarbeiter in Bayern und Sachsen fallen in ein tiefes Loch.
Sie können es kaum fassen, dass alle Hoffnungen, doch noch gerettet zu werden, nun wie eine Seifenblase zerplatzt sind. 10.000 Mitarbeiter hat Quelle in Deutschland und noch viel mehr hängen da dran in der Zulieferer- und Logistikbranche. Ernst Sindel ist der Betriebsratschef von Quelle. Guten Morgen nach Fürth, Herr Sindel.
Ernst Sindel: Guten Morgen nach Berlin.
Kolkmann: Herr Sindel, Sie stehen vor einem riesigen Scherbenhaufen. Was packen Sie zuerst an?
Sindel: Erst mal vielleicht eine kleine Korrektur. Ich bin der Gesamtbetriebsratschef. Wir haben die Funktionen unterteilt. Unsere Betriebsratschefin ist Beate Ulonska in der Zentrale in Nürnberg, der größten Zentrale im Konzern, in dem bisherigen Konzern. Ich habe den Gesamtbetriebsrat.
Was packen wir zuerst an? Die Situation ist katastrophal, und man ist dann schon versucht, zuerst mal die Schuldfrage zu klären. Nur das dürfen wir jetzt auf keinen Fall tun. Wir dürfen das zwar nicht außen vor lassen, es muss über diese Thematik noch mal diskutiert werden, aber wir müssen jetzt in erster Linie den Menschen helfen. Die Menschen brauchen jetzt Hilfe, und zwar Soforthilfe, wo es nur geht. Die Situation ist, so wie sie sich im Moment darstellt, nicht zu verändern. Das ist die bittere Wahrheit, und es nützt auch nichts, um irgendwelche Dinge herumzureden. Wir brauchen jetzt Unterstützung von allen Seiten, die wir auch bekommen von der Agentur für Arbeit, dass wir es bundesweit lösen. Wir definieren gerade die Betroffenheiten, wie die unterschiedlich auch sind, in den einzelnen Bundesländern, in den Städten, und sind bereits so weit, dass die Agentur bundesweit sich entsprechend aufstellt.
Kolkmann: Die Arbeitsagentur hat ja eine Extra-Außenstelle sogar bei Quelle eingerichtet, eine Task Force wurde gegründet mit Experten, die helfen sollen. Wie wird denn da geholfen bei so viel Hoffnungslosigkeit?
Sindel: Wir haben allein in Bayern rund 4000 Betroffene, die überwiegend dann auch noch in der Region Nürnberg-Fürth angesiedelt sind, und auch da hat die Bundesagentur richtig Personal zusammengezogen in Nürnberg, um auch in der Außenstelle quasi in unserem Versandzentrum sofort Hilfe leisten zu können. Das wird also quasi wie eine Außenstelle der Bundesagentur dort eingerichtet.
Es gibt die Begriffe der Intensivvermittlung, die wir sofort jetzt angehen können. Es gibt in Bayern nach den gestrigen Zahlen rund 55.000 freie Stellen, in der Region Nürnberg-Fürth rund 10.000, und jetzt weiß aber genau jeder, das hört sich zuerst mal ganz gut an, aber dass wir da nur Bruchteile vermitteln können, auch das darf man nicht verschweigen.
Wenn dort Möglichkeiten da sind, dann werden die jetzt genutzt. Wir kriegen auch von allen Seiten – und das ist das momentan sehr Positive – Solidarität, von Firmen, von Unternehmen, von Kleinstunternehmen, die uns, bis hin zur Konditorei, Teilzeitbeschäftigungen anbieten für unsere Kolleginnen und Kollegen. Also wir werden alles nutzen.
Kolkmann: Nun ist ja auch die Frage, wie kann man den Mitarbeitern darüber hinaus helfen, über das, was jetzt in diesen ersten Tagen gemacht wird. Nicht alle werden in neue Stellen kommen, obwohl es ja freie Stellen gibt, wie Sie gesagt haben. Ist es ganz wichtig, nun Fortbildungen zu organisieren, aber auch Betreuung?
Sindel: Beides. Wir haben auch bereits über die beiden Oberbürgermeister hier in Nürnberg und Fürth ein entsprechendes Krisenmanagement eingerichtet. Von dort bekommen wir Unterstützung bis hin zu Psychologen. Auch dort wird eine Betreuung nötig sein. Inwieweit wir das bundesweit organisieren können, da sind wir gerade drüber, dass man auch an anderen Orten in der Bundesrepublik solche Möglichkeiten bietet, weil wir schon wissen, dass es hier ganz, ganz tiefe Betroffenheiten gibt und die Menschen, die Kolleginnen und Kollegen, jetzt natürlich vor einem Thema stehen, das sie noch nie in der Form erlebt haben, wir auch nicht, und deswegen brauchen auch wir von allen Seiten jetzt professionelle Hilfe, wie wir da eben weiterhelfen können. Das ist der eine Teil.
Kolkmann: Welche Tragödien spielen sich dort in den Familien der Mitarbeiter ab?
Sindel: Das kann man nicht nachvollziehen. Wenn hier jemand sagen würde, man kann sich da reinversetzen, dann wäre das falsch, glaube ich. Diese Betroffenheit würde ich auch ungern jetzt hier so schildern, weil das sind Themen, die tief in die Intimsphäre reinreichen, von den unterschiedlichsten Ausgangslagen auch her.
Kolkmann: Sie sind selbst seit 1969 im Unternehmen. Das sind jetzt fast 41 Jahre. Wie ist das für Sie? Schützt es Sie im Moment so ein bisschen vielleicht auch vor den Gefühlen, weil Sie ja noch die Verantwortung tragen als Gesamtbetriebsratschef und jetzt sehr viel organisieren müssen?
Sindel: Man versucht schon ein bisschen, so eine Art Panzer aufzubauen, aber das gelingt einfach nicht. Ich muss mich auch jetzt unwahrscheinlich zusammennehmen, dass ich so ein Interview überhaupt führen kann, weil ich war auch immer zu 100 Prozent für die Quelle gestanden und jetzt im Moment so ein Thema mitzuerleben und miterleben zu müssen, vor allen Dingen, weil man bis zuletzt ja daran glauben durfte, dass es weitergeht nach den Aussagen der Insolvenzverwalter, dass es im Prinzip an dem Freitag noch so geklungen hat, an dem Wochenende auch, dass sich nur noch entscheidet, wer macht’s denn letztlich.
Kolkmann: Die Hoffnungen waren groß, und dann kam doch noch der Schlag.
Sindel: Das ist, glaube ich, umso schlimmer, weil sich das keiner hat vorstellen können, auch ich nicht, dass so ein Unternehmen in der Größenordnung wie wir, auch mit den Nachfolgeunternehmen – die Trimondo-Einheit selber ist mit allen Service-Einheiten unterwegs; wir hatten auf dem Markt ein Alleinstellungsmerkmal wie kaum ein anderer und auch mit vielen Zulieferfirmen verbunden, die jetzt auch davon betroffen sind. Das geht noch ein ganzes Stück über die Quelle hinaus und auch dort sind Mitarbeiter, Menschen, Familien, Regionen, Städte betroffen. Das ist eine Katastrophe, und das Ganze jetzt zu verarbeiten, das geht nicht in ein paar Tagen. Bei mir dauert das garantiert ein paar Jahre.
Kolkmann: Ich danke Ihnen, Herr Sindel, dass Sie für uns Zeit und auch die Kraft gefunden haben, mit uns zu sprechen. Ernst Sindel war das, der Gesamtbetriebsratschef von Quelle. Ich danke Ihnen für das Gespräch.
Sindel: Gerne.
Sie können es kaum fassen, dass alle Hoffnungen, doch noch gerettet zu werden, nun wie eine Seifenblase zerplatzt sind. 10.000 Mitarbeiter hat Quelle in Deutschland und noch viel mehr hängen da dran in der Zulieferer- und Logistikbranche. Ernst Sindel ist der Betriebsratschef von Quelle. Guten Morgen nach Fürth, Herr Sindel.
Ernst Sindel: Guten Morgen nach Berlin.
Kolkmann: Herr Sindel, Sie stehen vor einem riesigen Scherbenhaufen. Was packen Sie zuerst an?
Sindel: Erst mal vielleicht eine kleine Korrektur. Ich bin der Gesamtbetriebsratschef. Wir haben die Funktionen unterteilt. Unsere Betriebsratschefin ist Beate Ulonska in der Zentrale in Nürnberg, der größten Zentrale im Konzern, in dem bisherigen Konzern. Ich habe den Gesamtbetriebsrat.
Was packen wir zuerst an? Die Situation ist katastrophal, und man ist dann schon versucht, zuerst mal die Schuldfrage zu klären. Nur das dürfen wir jetzt auf keinen Fall tun. Wir dürfen das zwar nicht außen vor lassen, es muss über diese Thematik noch mal diskutiert werden, aber wir müssen jetzt in erster Linie den Menschen helfen. Die Menschen brauchen jetzt Hilfe, und zwar Soforthilfe, wo es nur geht. Die Situation ist, so wie sie sich im Moment darstellt, nicht zu verändern. Das ist die bittere Wahrheit, und es nützt auch nichts, um irgendwelche Dinge herumzureden. Wir brauchen jetzt Unterstützung von allen Seiten, die wir auch bekommen von der Agentur für Arbeit, dass wir es bundesweit lösen. Wir definieren gerade die Betroffenheiten, wie die unterschiedlich auch sind, in den einzelnen Bundesländern, in den Städten, und sind bereits so weit, dass die Agentur bundesweit sich entsprechend aufstellt.
Kolkmann: Die Arbeitsagentur hat ja eine Extra-Außenstelle sogar bei Quelle eingerichtet, eine Task Force wurde gegründet mit Experten, die helfen sollen. Wie wird denn da geholfen bei so viel Hoffnungslosigkeit?
Sindel: Wir haben allein in Bayern rund 4000 Betroffene, die überwiegend dann auch noch in der Region Nürnberg-Fürth angesiedelt sind, und auch da hat die Bundesagentur richtig Personal zusammengezogen in Nürnberg, um auch in der Außenstelle quasi in unserem Versandzentrum sofort Hilfe leisten zu können. Das wird also quasi wie eine Außenstelle der Bundesagentur dort eingerichtet.
Es gibt die Begriffe der Intensivvermittlung, die wir sofort jetzt angehen können. Es gibt in Bayern nach den gestrigen Zahlen rund 55.000 freie Stellen, in der Region Nürnberg-Fürth rund 10.000, und jetzt weiß aber genau jeder, das hört sich zuerst mal ganz gut an, aber dass wir da nur Bruchteile vermitteln können, auch das darf man nicht verschweigen.
Wenn dort Möglichkeiten da sind, dann werden die jetzt genutzt. Wir kriegen auch von allen Seiten – und das ist das momentan sehr Positive – Solidarität, von Firmen, von Unternehmen, von Kleinstunternehmen, die uns, bis hin zur Konditorei, Teilzeitbeschäftigungen anbieten für unsere Kolleginnen und Kollegen. Also wir werden alles nutzen.
Kolkmann: Nun ist ja auch die Frage, wie kann man den Mitarbeitern darüber hinaus helfen, über das, was jetzt in diesen ersten Tagen gemacht wird. Nicht alle werden in neue Stellen kommen, obwohl es ja freie Stellen gibt, wie Sie gesagt haben. Ist es ganz wichtig, nun Fortbildungen zu organisieren, aber auch Betreuung?
Sindel: Beides. Wir haben auch bereits über die beiden Oberbürgermeister hier in Nürnberg und Fürth ein entsprechendes Krisenmanagement eingerichtet. Von dort bekommen wir Unterstützung bis hin zu Psychologen. Auch dort wird eine Betreuung nötig sein. Inwieweit wir das bundesweit organisieren können, da sind wir gerade drüber, dass man auch an anderen Orten in der Bundesrepublik solche Möglichkeiten bietet, weil wir schon wissen, dass es hier ganz, ganz tiefe Betroffenheiten gibt und die Menschen, die Kolleginnen und Kollegen, jetzt natürlich vor einem Thema stehen, das sie noch nie in der Form erlebt haben, wir auch nicht, und deswegen brauchen auch wir von allen Seiten jetzt professionelle Hilfe, wie wir da eben weiterhelfen können. Das ist der eine Teil.
Kolkmann: Welche Tragödien spielen sich dort in den Familien der Mitarbeiter ab?
Sindel: Das kann man nicht nachvollziehen. Wenn hier jemand sagen würde, man kann sich da reinversetzen, dann wäre das falsch, glaube ich. Diese Betroffenheit würde ich auch ungern jetzt hier so schildern, weil das sind Themen, die tief in die Intimsphäre reinreichen, von den unterschiedlichsten Ausgangslagen auch her.
Kolkmann: Sie sind selbst seit 1969 im Unternehmen. Das sind jetzt fast 41 Jahre. Wie ist das für Sie? Schützt es Sie im Moment so ein bisschen vielleicht auch vor den Gefühlen, weil Sie ja noch die Verantwortung tragen als Gesamtbetriebsratschef und jetzt sehr viel organisieren müssen?
Sindel: Man versucht schon ein bisschen, so eine Art Panzer aufzubauen, aber das gelingt einfach nicht. Ich muss mich auch jetzt unwahrscheinlich zusammennehmen, dass ich so ein Interview überhaupt führen kann, weil ich war auch immer zu 100 Prozent für die Quelle gestanden und jetzt im Moment so ein Thema mitzuerleben und miterleben zu müssen, vor allen Dingen, weil man bis zuletzt ja daran glauben durfte, dass es weitergeht nach den Aussagen der Insolvenzverwalter, dass es im Prinzip an dem Freitag noch so geklungen hat, an dem Wochenende auch, dass sich nur noch entscheidet, wer macht’s denn letztlich.
Kolkmann: Die Hoffnungen waren groß, und dann kam doch noch der Schlag.
Sindel: Das ist, glaube ich, umso schlimmer, weil sich das keiner hat vorstellen können, auch ich nicht, dass so ein Unternehmen in der Größenordnung wie wir, auch mit den Nachfolgeunternehmen – die Trimondo-Einheit selber ist mit allen Service-Einheiten unterwegs; wir hatten auf dem Markt ein Alleinstellungsmerkmal wie kaum ein anderer und auch mit vielen Zulieferfirmen verbunden, die jetzt auch davon betroffen sind. Das geht noch ein ganzes Stück über die Quelle hinaus und auch dort sind Mitarbeiter, Menschen, Familien, Regionen, Städte betroffen. Das ist eine Katastrophe, und das Ganze jetzt zu verarbeiten, das geht nicht in ein paar Tagen. Bei mir dauert das garantiert ein paar Jahre.
Kolkmann: Ich danke Ihnen, Herr Sindel, dass Sie für uns Zeit und auch die Kraft gefunden haben, mit uns zu sprechen. Ernst Sindel war das, der Gesamtbetriebsratschef von Quelle. Ich danke Ihnen für das Gespräch.
Sindel: Gerne.