"Das Interview" am Akademietheater in Wien

Nichts ist, wie es scheint

07:53 Minuten
Szenenfoto: Eine Frau filmt einen Mann mit einer Videokamera
Birgit Minichmayr und Oliver Nägele in "Das Interview" am Akademietheater in Wien. © Matthias Horn / Burgtheater
Reinhard Kager im Gespräch mit Eckhard Roelcke · 23.02.2020
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Burgtheater-Intendant Martin Kušej hat "Das Interview", ein Zwei-Personen-Stück über Macht, Wahrheit und fatale Lügen, nach einem Film des Niederländers Theo van Gogh inszeniert. Unseren Kritiker hat der Abend überzeugt.
Macht, Lügen, sexistische Gewalt und Mord – das sind die Triebfedern von Victorien Sardous Drama "Tosca", das durch Giacomo Puccinis Oper weltberühmt wurde. Am Wiener Akademietheater hätte es der ungarische Regisseur Kornél Mundruczó in einer Fassung von Kata Wéber in Szene setzen sollen. Doch die Produktion wurde "wegen künstlerischer Differenzen" abgesagt. Stattdessen präsentierte Burgtheater-Intendant Martin Kušej kurzfristig eine Neuauflage seiner Züricher Erfolgsproduktion von Theo van Goghs Film "Das Interview" (2003) in einer Bühnenadaption des Drehbuchs von Theodor Holman.

Zwei Medienprofis begegnen sich

Das Stück ist von "Tosca" gar nicht so weit entfernt. Kreist der Stoff von Sardou um das Verhältnis von Macht und Wahrheit, so visiert van Gogh den Zusammenhang von Medien und Wahrheit an – hintersinnig mit filmischen Mitteln. Zwei Medienprofis begegnen einander bei einem Interview: Katja Schuurman, eine berühmte Filmschauspielerin, und Pierre Peters, eigentlich ein Politikredakteur, der, offenkundig gedemütigt durch seinen Chef, das Gespräch führen soll, obwohl sich im Land gerade ein Regierungswechsel abzeichnet.
Demensprechend schlecht gelaunt beginnt er das Interview mit der zwanzig Jahre jüngeren Soap-Darstellerin, die "keinen geraden Satz herausbringen" wird, wie er meint. Darin täuscht er sich allerdings gewaltig. Im Verlauf des Gesprächs, das rasch von einem Interview in einen verbalen Schlagabtausch mündet, wird immer klarer, dass Schuurman dessen Ablauf bestimmt. Doch was ist wahr an den Enthüllungen, die dabei ans Tageslicht kommen, und was bleibt bloß Finte, um den anderen in eine Falle zu locken?

Ein gnadenloses Gefecht

Dieses Spannungsverhältnis macht den Reiz der Medienkritik van Goghs aus. Martin Kušej interessiert sich dafür hingegen wenig. In seiner Inszenierung spielt die Schauspielerin stets eine offenkundige Rolle. Birgit Minichmayr als Katja Schuurman vermittelt dies mit all ihrem Raunen, all ihren Reizen, all ihren zielsicher eingesetzten Reizungen, die den grantigen Pierre Peters von Oliver Nägele vollends aus der Contenance bringen und zu regelrechten Wutattacken treiben. Zwei glanzvolle SchauspielerInnen liefern sich ein gnadenloses Gefecht.
Ein Mann steht über einer Frau und redet drohend auf sie ein.
Birgit Minichmayr und Oliver Nägele bestreiten den Abend alleine.© Matthias Horn / Burgtheater
Doch entbehrt der Abend ein wenig der Enthüllungsdramaturgie des Films, weil stets evident bleibt, dass die Schauspielerin nie ihr Inneres offenbart. Und auch die erotische Stimmung, von der van Goghs Film durchzogen ist, bleibt auf der nüchternen Bühne Jessica Rockstrohs auf der Strecke: Hatte in der Zürcher Produktion von 2009 noch ein flauschig-weißer Flokati zum Knuddeln gelockt, so wirken weder der schmuddelige, blaue Teppich noch die nackten, grauen Wände erotisch motivierend. Trotz dieser Einschränkungen zählt der Abend zu den wenigen Lichtblicken in Kušejs bislang enttäuschend matt verlaufender erster Burgtheatersaison.

"Das Interview" nach dem Film von Theo van Gogh
Inszeniert von Martin Kušej
Akademietheater in Wien

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