Das geballte Wissen der Sexualforschung

Warum haben Frauen Sex? Psychologin Cindy Meston und Evolutionspsychologe David Buss haben Grundlagenforschung betrieben. Sie befragten über tausend Frauen aus der ganzen Welt. Die Antwortenfülle war erschlagend.
Warum mögen Frauen Männer mit breiten Schultern, schmalen Hüften und gut gefülltem Portemonnaie? Und welche Taktiken wenden sie an, um den Begehrten in ihren Bann zu ziehen?
In ihrem Buch "Warum Frauen Sex haben" tragen die klinische Psychologin Cindy Meston und der Evolutionspsychologe David Buss das geballte Wissen der Sexualforschung zusammen, um die Vielfalt weiblicher Sexualität zu beleuchten.

Die körperliche Seite des Orgasmus und sexualmedizinische Aspekte werden ebenso erörtert wie die Evolution der Liebe, Sex aus Pflichtgefühl, weibliche Unterwerfungsfantasien oder Prostitution.

Ihr besonderes Augenmerk legen die beiden Autoren - die amerikanisch locker, aber nicht simplifizierend schreiben - auf die Motivationen weiblichen Sexualverhaltens. Weit über zweihundert Gründe für Sex haben Frauen der Forschung verraten. Sie reichen von schlichter Langeweile bis hin zur Sehnsucht nach Gott - und allem nur Erdenklichen dazwischen. Ganz oben auf der Liste stehen: "Ich liebte ihn" und "Er hatte einen schönen Körper". Immer wieder zoomt sich das Buch dabei in eine Detailgenauigkeit hinein, die man beim viel verhandelten Thema Sex selten findet. Wer weiß schon, dass Eifersucht in Gesellschaften als besonders bedrohlich empfunden wird, in denen der Partner als Garant für Statuszuweisungen benötigt wird, Grund und Boden Privateigentum ist und Kinderreichtum gesellschaftlich gewünscht?

Ein großer Teil des Lesevergnügens ergibt sich aus den vielen Zitaten der befragten Frauen. Lebendig, komisch, anrührend erzählen sie von missglückten Liebesakten, absurden Rachefeldzügen, Sex als praktischer Einschlaf-Hilfe oder seligen Momenten der Verschmelzung. Daneben wirken die evolutionsbiologischen Deutungen, die das Buch wie ein roter Faden durchziehen, umso eindimensionaler: Es mag noch einzusehen sein, dass starke, große Männer Gesundheit und Kindersegen versprechen. Wenn sich die Autoren aber zu der Vermutung hinreißen lassen, dass jamaikanische Frauen Männer mit maskulinen Gesichtszügen stärker bevorzugen als Britinnen, weil es auf Jamaika mehr Infektionskrankheiten gibt, wird deutlich, wie die Soziobiologie arbeitet: Sie baut ihre Lieblingskulisse hinter der Welt auf und stellt Vermutungen an.

Gerade weil Cindy Meston und David Buss die Bandbreite weiblichen sexuellen Erlebens betonen, muss als ärgerlich angemerkt werden, dass sie, um politische Korrektheit bemüht, zwar brav kennzeichnen, ob ihre Zitate von heterosexuellen oder lesbischen Frauen stammen. Bloß kommen lesbische Frauen so gut wie nicht zu Wort; einmal davon abgesehen, dass diese fixen Zuschreibungen sexualwissenschaftlich ohnehin wenig haltbar sind - und das seit Alfred Kinsey in den 50er-Jahren. Der blinde Fleck der Autoren verwundert nicht, fügt sich die gleichgeschlechtliche Sexualität doch nur mühsam in evolutionsbiologische Erklärungsmuster. Das lässt sich eben nicht mal erraten: Auf welche Gene eine Frau abfährt, wenn sie den Kuss einer anderen Frau zum Dahinschmelzen findet.

Besprochen von Susanne Billig

Cindy Meston, David Buss, Warum Frauen Sex haben - Rache, Karriere, Lust & Langeweile: Die 237 Motive für weiblichen Sex
Aus dem Amerikanischen von Waltraud Götting
Tolkemitt bei Zweitausendeins, Frankfurt / Main 2010
320 Seiten, 19,90 Euro
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