Das Experiment

Rezensiert von Klaus Schroeder · 05.06.2011
Der "SZ"-Journalist Tobias Haberl analysiert in "Wie ich mal rot wurde", warum die Partei Die Linke auch in Westdeutschland erfolgreich ist. Er trat sogar in die Partei ein und begleitete ein Jahr einen Münchener Ortsverein.
Warum feiert die Partei, die sich Die Linke nennt, auch im Westen unserer Republik Wahlerfolge, obschon sie von den Restbeständen der ehemaligen DDR-Staatspartei SED dominiert wird? Wer steht jenseits der prominenten Führer Gysi und Lafontaine personell für diese Partei und welche Inhalte macht sie für eine kleine Wählerschicht attraktiv? Tobias Haberl, ein Journalist des Magazins der Süddeutschen Zeitung, wollte Antworten auf diese Fragen finden, indem er gut ein Jahr Mitglied eines Münchener Ortsvereins dieser Partei war.

"Ich wollte – wie Jürgen Habermas es fordert – die Position des Gegenübers einnehmen, um seine Argumente verstehen zu können. Ich wollte die Partei kennenlernen, ihre Ideen, ihre Vorschläge, ihre Mitglieder. Ich wollte mir darüber klar werden, wie sie denken, wofür sie kämpfen und was das Leben mit ihnen gemacht hat, dass sie ihre Hoffnung auf Die Linke setzen."

Gleichzeitig verstand der Autor seinen Eintritt als zeitweiligen "Austritt" aus seiner kleinbürgerlichen Schickeria-Existenz in München. Die Flucht aus dieser unpolitischen und selbstverliebten Szene in die politisierte der westdeutschen Linksradikalen verlief indes harmloser und belangloser, als es der Buchtitel suggeriert.

Nachdem sich der Leser durch etwa 80 Seiten Familiengeschichte gequält hat, erfährt er, dass Linke auch nur Menschen mit individuellen Stärken und Schwächen sind, die zudem glauben, dass die Welt durch mehr Staat, Planwirtschaft und Mindestlöhne lebenswerter wird. Vieles leuchtet dem Magazinjournalisten ein, schließlich erhält eine Friseurin nur 3,80 Euro in der Stunde, während er für einen Text, den er in drei Stunden schreibt, 1000 Euro bekommt. So erfahren die Leser des SZ-Magazins nebenbei, welch hochpreisige Texte sie lesen dürfen.

Peinlich wird die Lektüre, wenn der Autor Lafontaine und vor allem den Besser-Ossi Gregor Gysi in den höchsten Tönen lobt, ohne deren demagogische Talente zu durchschauen. Zudem verklärt er – wahrscheinlich ohne es zu merken – nicht nur die DDR, in der alle Menschen vermeintlich gleich waren, sondern auch die 68er-Bewegung, die flexibel, sympathisch, weltoffen, sinnlich und nach vorne gerichtet gewesen sei. Kritischer wird er indes, wenn es um Hubertus Knabe geht, der angeblich mit seinem Buch über diese Partei durch eine falsche Bildinterpretation die Leser täuscht.

Die zentralen Forderungen der Linken hält der Autor für ziemlich vernünftig, ohne die Folgen zu bedenken. Wenn Die Linken zum Beispiel "nein zum Krieg in Afghanistan" oder "nein zur Rente mit 67" plakatiert, bedeutet dies faktisch "Taliban an die Macht" und "höhere Rentenbeiträge für die jüngere Generation".

Die Partei und ihre Mitglieder bleiben Haberl trotz aller Sympathie für einzelne Personen und Forderungen fremd.

"Was mich stört, ist die Rückwärtsgewandtheit der Partei, ihre mangelnde Kreativität und die Angewohnheit, sich von Nebensächlichkeiten und Animositäten irritieren zu lassen. […] Mich stört ihr mangelndes Interesse an der Zukunftsgestaltung und am konstruktiven Umgang mit den bestehenden Verhältnissen. Ich vermisse Begeisterung für neue Ideen und Fortschritt, Optimismus und Raffinesse. Was ich aber auch sagen muss: Viele Genossen sind in Ordnung, die Ziele der Partei gut gemeint; sie entspringen einem idealistischen Gerechtigkeitsempfinden, das man etlichen Jungliberalen wünschen würde."

Dieses halbe Lob für eine Partei, die glaubt, sich von der diktatorischen Last ihrer Vergangenheit und den Folgen ihres Wirkens mit flotten Sprüchen und pseudoidealistischen Parolen befreien zu können, sagt mehr über den Autor als über die Partei aus. Haberl wurde nicht während seines über einjährigen Aufenthaltes in der Partei politisch rot, wovor ihn offenbar die Erziehung in einer liberal-konservativen Familie bewahrte, sondern erst bei einem Abendessen mit dem Rosa-Luxemburg-Imitat Sahra Wagenknecht, die ihn als Frau fasziniert und anzieht.

Einen Erkenntnisgewinn über das Innenleben der Partei Die Linke bietet das Buch kaum, aber es wird dem Autor wohl einige Einladungen in Talkshows einbringen. Dort kann er aus halblinker Sicht um Verständnis für diese Partei werben, die er für so lange notwendig hält, wie etwas faul im Staate Deutschland sei.
Cover: "Wie ich mal rot wurde. Mein Jahr in der Linkspartei", von Tobias Haberl
Cover: "Wie ich mal rot wurde. Mein Jahr in der Linkspartei" von Tobias Haberl© Luchterhand Verlag