Das englische Wohnzimmer

Von Michael Köhler |
Seit 1851 sammelt das berühmte Londoner Victoria and Albert Museum Kunstwerke, Möbel und allerlei schöne Dinge. Die Bonner Bundeskunsthalle zeigt eine kleine Auswahl aus der riesigen Sammlung der "Mutter aller Museen".
Es gilt als das weltweit führende Museum für Kunst und Design, das Victoria and Albert Museum in London. Seine Gründung geht zurück auf die Weltausstellung 1851. Chefkurator Julius Bryant sagt:

"Man kann es so beschreiben: Das V&A hat eine großartige Architektur und herausragende Sammlungen. Es ist eine Art Palast für das Volk, nicht für einen Monarchen. Und diese Sammlungen sind so vielfältig und umfangreich."

Einerseits sind da die wunderbaren Mittelalter- und Renaissance-Sammlungen, die Keramik- und Malerei-Sammlungen, andererseits häufen sich Plüsch und Punk, Tüll und Trödel, Kitsch und Kunst. Stühle, Tische, Möbel, Mode und Einrichtungsgegenstände um 1900 sind manchmal schwülstig und bizarr. Neogotische Walnussholzschränke oder Cabinets sind aus heutiger Sicht nur noch was für den "Trödelking".

Es ging aber beim V&A immer auch um eine Reform der Lebensverhältnisse durch Kunst. Das Design sollte dem Menschen dienen, seine Lebenswelt verbessern. Das war der leitende Gedanke.

Seit zehn Wochen ist Martin Roth, der langjährige Chef der Dresdner Gemäldesammlungen, neuer Direktor des Victoria and Albert Museums in London:

"Es ist wirklich ein Riesenhaus. Wir haben eine große Erlebnisqualität, und sie ist von High Tech bis zu wirklich Skurrilem. Es ist wirklich wie das richtige Leben, was Sie hier sehen."

Skurril sind in der Tat manche Bierkrüge, Kannen, Becher, Gläser und Serviertabletts.

Julius Bryant: "Viele Dinge hier sind für manche Besucher unschön, bizarr oder sogar kitschig."

Hinreißend dagegen manche Kerzenständer, Brotschalen und Möbelstoffe. Es ging um die Idee, Kunst und Handwerk enger aneinander zu binden. Gottfried Semper, der seit 1849 an der Londoner Government School of Design wirkte, sagte:

"Sammlungen und öffentliche Monumente sind die wahren Lehrer eines freien Volkes".

Dieser protestantisch-pathetische Anspruch wirkt heute fremd, ist aber wesentliche Bedingung für das Konzept des Victoria and Albert Museum.

Die Bonner Bundeskunsthalle zeigt eine Auswahl aus dessen riesiger Sammlung. Es geht dabei auch um die Frage nach der Rolle des Museums in einer Gesellschaft. Publikums- und lebensnah sollte es sein. Ausstellungsleiterin Katharina Chrubasik:

"Wir haben ein Museum, das auch für die Arbeiterklasse zugänglich sein soll. Und das ist ganz gezielt auch so beworben worden, man bietet lange Öffnungszeiten, man bietet Museumsrestaurants, man ermöglicht auch denjenigen, die wenig Geld haben, in das Haus zu kommen, etwas zu lernen, etwas mitzunehmen, und sich das Leben vielleicht schöner - um das mal banal zu sagen -, zu gestalten."

Die Bonner Ausstellung "Art and Design for All" erzählt zugleich auch die Entstehungsgeschichte des V&A und illustriert den Einfluss dieses gewaltigen Museums, das seit dem 19. Jahrhundert zu einer Art "Mutter der Museen" wurde.

Martin Roth: "Es gibt ganz viele Aspekte in diesem Haus, die es zu diesem großen Palast des Volkes machen, aber es ist ganz besonders die wahnsinnig reichhaltige Sammlung, die dieses Museum so berühmt macht."

Julius Bryant geht weiter und sagt, das V&A habe sogar eine Mission, eine Sendung:

"Das Museum wurde gegründet, um das zeitgenössische Design zu reformieren. Es geht nicht so sehr um Industriedesign, sondern um deine Kleidung, dein Heim, deinen Lebensstil. Es geht schlicht darum, wie du leben willst. Hier kann man forschen und Fragen stellen: 'Wer will ich sein?'"

Während in South Kensington ein riesiges Haus mit 145 Sälen und zwei Millionen Exponaten wartet, in das jährlich über zwei Millionen Menschen pilgern, hat man in Bonn nur eine kleine Auswahl treffen können und eine Art englisches Wohnzimmer eingerichtet. Julius Bryant:

"Das V&A war ein neuer Typus von Museum, als es 1857 gegründet wurde. Da hing noch eine Kunstgewerbeschule dran, ein Zentrum für Kunsterziehung, Es ging nicht nur um schöne Dinge. Ein Ergebnis dieser praktischen Ausrichtung war, dass es weltweit nachgeahmt wurde."

Das V&A hat Einfluss genommen auch auf Designer von heute wie James Dyson, Alexander McQueen, Ozwald Boateng und andere, die mit Beispielen ihrer Kreationen in Bonn vertreten sind. Sie stehen gewissermaßen in der Tradition eines William Morris und letztlich Prinz Alberts, der in Bonn studierte und ein maßgeblicher Förderer der gewerblichen Künste wurde. Und das wirkt bis heute nach.

Katharina Chrubasik: "Ein Beispiel, das ist ein Toaster, der 1878 von Christopher Dresser entworfen wurde, der wird bis heute noch von Alessi produziert."

Informationen der Bundeskunsthalle Bonn zur Ausstellung "Art and Design for All"
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