Das Ende des Lebens

Ein Weg, den jeder allein geht

04:35 Minuten
Fußspuren im Sand
Jeder stirbt für sich allein: Auch die engsten Angehörigen bleiben letztendlich nur Zuschauer. © imago images / Mint Images
Gedanken von Irmhild Saake · 09.03.2020
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Das Bundesverfassungsgericht hat deutlich geurteilt: Der Wunsch, das eigene Leben zu beenden, ist legitim und darf vom Staat nicht behindert werden. Aber wie sehen Sterbende eigentlich ihr Ende? Die Soziologin Irmhild Saake hat darüber geforscht.
Sterben kann jeder. Sterben klappt immer. Diese Gewissheit, dass das Sterben immer mit dem Tod endet, prägt sehr stark die Atmosphäre von modernen Hospizen, in denen nur ein sehr kleiner Anteil der Bevölkerung stirbt, aber doch der mit den schwierigsten Verläufen.
Was für Angehörige oft nicht machbar ist, den Sterbenden alle Wünsche zu erfüllen, ist hier tatsächlich Programm. Und das geht gut, weil alle Beteiligten wissen, dass die Sache mit dem Sterben klar ist. Wer noch zu Hause ist, hofft, dass sich das Blatt nochmal wendet. Im Hospiz kann man daran meist nicht mehr vorbeisehen.

Auch Sterbende hoffen auf die Medizin

Aber wie klar kann das Wissen über den eigenen Tod eigentlich sein? In einer Studie, die ich zusammen mit Armin Nassehi zum Sterben in Hospizen und auf Palliativstationen durchgeführt habe, zeigte sich, dass es in diesen Einrichtungen trotzdem noch ein großes Problem gibt, sich mit dem Sterben zu arrangieren. Ärzte und Pflegekräfte kennen Fälle, in denen ein Sterbender, der gestern noch wusste, dass er nicht mehr therapiert werden kann, heute vielleicht doch noch eine besonders ausgefallene oder neue oder unerprobte Therapie haben möchte.
Es ärgert sie regelmäßig, wenn dies passiert. Sie zweifeln dann an ihrem therapeutischen Programm, an ihren Kompetenzen und manchmal auch am Verstand des Sterbenden. Sogar den Fall einer jungen Mutter, die kleine Kinder zurücklässt, möchten sie in den Griff kriegen und sind dann verstimmt, wenn so eine sterbende junge Frau widersprüchliche Signale sendet.

Dass alle irgendwann sterben, ist kein Trost

Sterbende wollen vor allem eins: nicht sterben. Und eigentlich ist das allen Beteiligten klar. Eine im Sterben liegende Gesprächspartnerin in einem Hospiz hat schön formuliert, dass sie sich – eigentlich – ganz gut auf das Sterben einstellen könnte, wenn es nur nicht so schnell schon passieren würde. Sie bräuchte noch etwas mehr Zeit.
"Wir werden alle sterben." – Das scheint eine große Gemeinsamkeit, eine Symmetrie zwischen uns allen zu schaffen. Aber Sätze wie diese sind eigentlich dann, wenn jemand im Sterben liegt, nur ein Versuch, die Außergewöhnlichkeit des einzelnen Sterbens zu überdecken. Ja, es stimmt, wir werden irgendwann alle einmal sterben. Und es ist interessant zu sehen, dass sich Organisationen wie Hospize so mutig dieser Herausforderung stellen können. Aber sie können es unter anderem auch deshalb so gut, weil es eben immer gelingt, das Sterben.

Die Asymmetrie des Sterbens

Für den Einzelnen, der sterben muss, ist es anders. Für ihn ist es stets das erste Mal. Was wir so gerne symmetrisch wenden würden, ist vor allem der Inbegriff einer großen, unrelativierbaren Asymmetrie. Nur der Sterbende stirbt, die anderen schauen zu. Alle anderen können aus ihrem Erfahrungsschatz nichts dazu beitragen.
In unserer Studie waren Seelsorger manchmal gern gesehene Gesprächspartner, weil sie oft – im Wissen um die Unausweichlichkeit des Vorgangs – so souverän das Thema Sterben vermieden haben und damit der Asymmetrie des Sterbens vielleicht viel besser gerecht werden als andere.
Was kann nun jemand wollen, der an sein eigenes Sterben denkt? Zunächst einmal würde er das Sterben gerne abwenden, aber diesen Wunsch kann ihm niemand erfüllen.

Sterbewünsche lassen sich von außen kaum beurteilen

Wer sich diese Diskrepanz zwischen Wunsch und Wirklichkeit, zwischen dem Sterbenden und seinen Zuschauern vorstellen kann, der kann verstehen, warum Sterbewünsche so schwer einzuschätzen sind, warum man diesem Wunsch eigentlich keinen Glauben schenken kann. Eine große Schweizer Studie spricht von "ambivalenten Sterbewünschen".
Aber die gleiche Diskrepanz verdeutlicht auch, warum man Sterbenden zum Schluss in ihr Sterben dann doch nicht hineinreden kann. Wie gesagt: Nur der Sterbende stirbt, wir anderen sind die Zuschauer.

Irmhild Saake, geboren 1965 in Paderborn, ist Akademische Rätin am Institut für Soziologie der Ludwigs-Maximilian-Universität München. Sie studierte Erziehungswissenschaften und Soziologie. In ihrer Forschungsarbeit beschäftigt sie sich mit medizinsoziologischen Themen wie Arzt-Patienten-Beziehung, Sterben und Altern.

Porträt der Soziologin Irmhild Saake
© Frank Stolle
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