Das Ende der Kindheit
Vordergründig scheint wenig in diesem Sommer zu passieren. In Wirklichkeit verändert sich ein ganzes Leben. Es ist Juni 1974 in einem kleinen Ort in Süddeutschland. Die Eltern der 14-jährigen Mika beschließen, auf die alljährliche Dänemark-Urlaubsreise mit ihren fünf Kindern zu verzichten. Der jüngste Sohn der Familie ist schwer krank und wird im Krankenhaus behandelt.
Mikas drei ältere Brüder machen sich mit Freunden auf den Weg zum Zelten. Mika darf nicht mit. Sie langweilt sich, verbringt lange Tage mit der Lektüre von Joseph Conrads "Herz der Finsternis" oder geht mit ihrer Freundin Ellen zum Baden. Als auch die in den Urlaub fährt, wird es für Mika noch trostloser.
Auf ihren ziellosen Streifzügen durch die umliegende Landschaft hat sie seltsame Begegnungen – darunter solche, die falsche Fährten legen: Ein Mann, der sich mit seinem auffälligen hellblauen Opel Kapitän an den Seen und Flüssen herumtreibt und dem Mädchen mehrfach begegnet, stellt sich als weniger gefährlich für Mika heraus als der gute alte Freund ihres Vaters.
Es ist, als würde man sich mit den Augen dieses 14-jährigen Mädchens allmählich in dieser merkwürdigen Welt der Erwachsenen mit ihren vielen Zeichen und Codes neu zurechtfinden. Am Ende des Sommers ist Mikas Kindheit beendet - nicht nur, weil ihr sexuelle Gewalt angetan wurde und wegen des Todes ihres kleinen Bruders wenige Monate später.
Aus Mikas Perspektive wird die Veränderung durch ein poetisches Bild plastisch: "Es war die Verwandlung vom Fisch zum Vogel. Ein Hochschnellen, ein Sprung über die Grenze zwischen Wasser und Luft. Fliegen lernt man nicht, indem man fällt, dachte sie. Sondern indem man springt. Hoch hinauf, dorthin, wo einem Flügel wachsen."
Es ist vor allem dieser fantasievolle und ernste Ton, der einen in den Bann zieht, die eindringlichen, gewaltigen Bilder des Buchs. Die letzte Szene zeigt Mika, wie sie am Ende ihr geliebtes Baumhaus anzündet.
Virtuos - und klischeefrei! - hält Beate Rothmaier die Balance zwischen den Tagträumen eines heranwachsenden Mädchens und der sie umgebenden irritierenden Realität – gegenübergestellt in der Innensicht auf Mika und der sie umgebenden Natur, in der sie sich mit Vorliebe aufhält.
Und auch das Jahr 1974 wird mit wenigen Strichen glaubwürdig - das liberale Künstlermilieu der Familie (der Vater ist Bildhauer), in dem über Brandts Rücktritt beim Abendbrot debattiert wird und die Eltern Demos und Bürgerinitiativen gegen Mülldeponien organisieren. Unabhängig von diesem historischen Kontext funktioniert dieses Buch aber ebenfalls, weil es zeitlos genau und sensibel die Psyche eines jungen Mädchens abbildet. Beate Rothmaier ist mit "Fischvogel" ein Meisterwerk gelungen.
Besprochen von Olga Hochweis
Beate Rothmaier: Fischvogel
DVA, München 2010
224 Seiten, 17,95 Euro
Auf ihren ziellosen Streifzügen durch die umliegende Landschaft hat sie seltsame Begegnungen – darunter solche, die falsche Fährten legen: Ein Mann, der sich mit seinem auffälligen hellblauen Opel Kapitän an den Seen und Flüssen herumtreibt und dem Mädchen mehrfach begegnet, stellt sich als weniger gefährlich für Mika heraus als der gute alte Freund ihres Vaters.
Es ist, als würde man sich mit den Augen dieses 14-jährigen Mädchens allmählich in dieser merkwürdigen Welt der Erwachsenen mit ihren vielen Zeichen und Codes neu zurechtfinden. Am Ende des Sommers ist Mikas Kindheit beendet - nicht nur, weil ihr sexuelle Gewalt angetan wurde und wegen des Todes ihres kleinen Bruders wenige Monate später.
Aus Mikas Perspektive wird die Veränderung durch ein poetisches Bild plastisch: "Es war die Verwandlung vom Fisch zum Vogel. Ein Hochschnellen, ein Sprung über die Grenze zwischen Wasser und Luft. Fliegen lernt man nicht, indem man fällt, dachte sie. Sondern indem man springt. Hoch hinauf, dorthin, wo einem Flügel wachsen."
Es ist vor allem dieser fantasievolle und ernste Ton, der einen in den Bann zieht, die eindringlichen, gewaltigen Bilder des Buchs. Die letzte Szene zeigt Mika, wie sie am Ende ihr geliebtes Baumhaus anzündet.
Virtuos - und klischeefrei! - hält Beate Rothmaier die Balance zwischen den Tagträumen eines heranwachsenden Mädchens und der sie umgebenden irritierenden Realität – gegenübergestellt in der Innensicht auf Mika und der sie umgebenden Natur, in der sie sich mit Vorliebe aufhält.
Und auch das Jahr 1974 wird mit wenigen Strichen glaubwürdig - das liberale Künstlermilieu der Familie (der Vater ist Bildhauer), in dem über Brandts Rücktritt beim Abendbrot debattiert wird und die Eltern Demos und Bürgerinitiativen gegen Mülldeponien organisieren. Unabhängig von diesem historischen Kontext funktioniert dieses Buch aber ebenfalls, weil es zeitlos genau und sensibel die Psyche eines jungen Mädchens abbildet. Beate Rothmaier ist mit "Fischvogel" ein Meisterwerk gelungen.
Besprochen von Olga Hochweis
Beate Rothmaier: Fischvogel
DVA, München 2010
224 Seiten, 17,95 Euro