Meinung

Das Deutsche nicht den Rechten überlassen

04:31 Minuten
Ein Anhänger der AfD demonstriert mit zwei Fotos von Björn Höcke, Fraktionsvorsitzender der AfD im Landtag und einer Deutschlandfahne in der Innenstadt.
Deutschlandfahne als stete Kulisse: Ein AfD-Anhänger demonstriert mit zwei Fotos von Björn Höcke in Erfurt. © picture alliance / dpa / dpa-Zentralbild / Bodo Schackow
Von Martin Ahrends · 22.04.2024
Audio herunterladen
Vertreter der AfD zeigen sich gern mit Deutschlandfahne. Damit versuche die Partei, Deutschland und alles Deutsche für sich zu monopolisieren, meint Autor Martin Ahrends. Er findet, das Deutsche dürfe nicht den Rechten überlassen werden.
"Anmut sparet nicht, noch Mühe, Leidenschaft nicht, noch Verstand, dass ein gutes Deutschland blühe wie ein andres gutes Land …" – in seiner Kinderhymne von 1950 konnte Bertolt Brecht dieses Wort „Deutschland“ noch weit unbefangener in den Mund nehmen, als wir es heute können. Ebenso Thomas Mann in seinen brillanten Essays und Reden von „Deutschland und den Deutschen“. Warum eigentlich?

Worte selbst sind nicht Schuld an ihrem Klang

Als unser Land nach der braunen Diktatur in aller Welt verschrien war, konnten sie es beim Namen nennen und das bessere, auch nach diesen dunklen Jahren noch hoffnungsvolle Heimatland meinen. "Heimat meine Trauer, Land im Dämmerschein, Himmel du mein blauer, du mein Fröhlichsein …", so dichtete Johannes R. Becher in der Nachkriegszeit.
Trotz der tiefen Erschütterungen, die diese Worte zu tragen hatten, gab es damals die Berührungsängste nicht, die wir heute mit Worten wie "Heimat" oder "Deutschland" verbinden. Diese Worte klingen an und für sich schon rechtslastig, angeschmutzt vom Missbrauch reaktionärer Ideologien.
Die Worte "stolz" und "deutsch" in einem Satz zu verwenden, scheint sich von selbst zu verbieten. Die Worte selbst sind dran natürlich unschuldig, Schuld an ihrem negativen Klang tragen die, die sie missbrauchen. Aber wir dürfen sie ihnen nicht überlassen, wir brauchen die Worte, denn sie markieren unsere Zuständigkeit.

Berechtigter Stolz auf ein weltoffenes Deutschland

"Dass die Völker nicht erbleichen wie vor einer Räuberin, / sondern ihre Hände reichen uns wie andern Völkern hin", so setzt sich die Kinderhymne fort, das war die große Hoffnung des Emigranten Bertolt Brecht, der wie auch Thomas Mann und so viele andere über den Atlantik fliehen musste, weil man in Europa nicht mehr sicher sein konnte vor diesen selbstherrlichen, gesinnungsfanatischen, diesen ausschließenden Deutschen, als die wir in der Welt verschrien waren.
Dieser schlechte Ruf ist verblasst, wir haben einiges dafür getan. "Dass die Völker nicht erbleichen wie vor einer Räuberin, / sondern ihre Hände reichen uns wie andern Völkern hin …", diese Hoffnung der Exilanten hat sich erfüllt, inzwischen gelten wir der Welt nicht mehr als Inbegriff des Schrecklichen, sondern als ein Volk, das sich zum Beispiel in besonderer Weise um Kriegsflüchtlinge kümmert. Darauf können wir stolz sein.
Dass wir aus den grauenvollen Erfahrungen des vorigen Jahrhunderts unsere Lehren gezogen, dass wir unsere deutsche Neigung zur Selbstherrlichkeit und Ausschließlichkeit abgelegt haben, dass wir weltoffen geworden sind, auch darauf können wir stolz sein. Allerdings: Dass ein thüringischer Oberstudienrat sich nun anschickt, die in Jahrzehnten hart erworbene Sicht auf unsere Geschichte mal eben vom Tisch zu wischen, oder, wie er es nennt, eine „erinnerungspolitische Wende um 180 Grad“ zu vollziehen, und dass er dafür auch noch Beifall erntet, darauf können wir weiß Gott nicht stolz sein.

Von rechten Kräften nicht einschüchtern lassen

Die Nationalhymne durfte in den letzten Jahren der DDR nicht mehr gesungen werden, weil ihr Text ein vereinigtes Deutschland proklamiert. Das war ein politisches Tabu, von dem uns die Friedliche Revolution von 1989 befreit hat.
Heute sagt man lieber nur Bundesrepublik oder BRD, wenn man die eigene Staatsangehörigkeit benennt. Es gibt da neue und alte Befangenheiten. Als ließe man sich einschüchtern von den Anmaßungen des rechten Randes, von einer Partei, die sich zur Hüterin von Identität und Kultur stilisiert. Wenn die Ideologen dieser Partei das Märchenvorlesen zur deutschen Pflicht erklären, dann höre ich deshalb nicht auf, meinen Enkeln Märchen vorzulesen.
Es ist an der Zeit, irrationale Befangenheiten bewusst zu machen und abzulegen. Stärken wir unsere sozialen Immunkräfte. Werden wir uns bewusst, wer wir sind und worauf wir stolz sein können, überlassen wir diese wichtigen Deutungen nicht den neuen Ausschließern, der neuen Rechten. Denn es ist unsere Sprache und es ist unser Land.

Martin Ahrends, geboren 1951 in Berlin. Studium der Musik, Philosophie und Theaterregie. Anfang der 1980er-Jahre politisch motiviertes Arbeitsverbot in der DDR. 1984 Ausreise aus der DDR. Redakteur bei der Wochenzeitung „Die Zeit“ und seit 1996 freier Autor und Publizist.

Mehr zur AfD