„Das deutsch-russische Verhältnis ist traditionell gut“

Moderation: Nana Brink |
Anlässlich der Eröffnung des Deutschen Historischen Instituts in Moskau sprach Deutschlandradio Kultur mit Roland Götz, Leiter der Forschungsgruppe Russland bei der Stiftung Wissenschaft und Politik. In wirtschaftlicher Hinsicht sei Deutschland der größte Außenhandelspartner Russlands, betonte er.
Brink: Heute wird in Moskau das Deutsche Historische Institut eröffnet – nach langjähriger, nicht ganz unkomplizierter Vorbereitungszeit. Die deutsche Bildungsministerin reist extra zu den Feierlichkeiten nach Moskau. Also ein Anzeichen, dass man die Sache auch politisch hoch hängt, sowohl in Berlin wie auch in Moskau. Ende letzter Woche wurde beim Besuch Putins in Berlin ja der Bau einer deutsch-sibirischen Gaspipeline verkündet, also auch das ein Anzeichen, dass man sich enger wieder zusammenschließt. Und ich begrüße nun Roland Götz bei uns im Studio, er leitet die Forschungsgruppe Russland bei der Stiftung Wissenschaft und Politik. Herr Götz, wie ist denn das aktuelle deutsch-russische Verhältnis?

Götz: Das deutsch-russische Verhältnis ist traditionell gut. Traditionell meine ich im Grund, vom Grunde her, und auch in den letzten Jahren. Das liegt daran, dass es zwischen Deutschland und Russland gegenwärtig keine wesentlichen Probleme gibt, keine grundlegenden Differenzen, die normalerweise das Verhältnis zwischen Ländern vergiften: Es gibt keine ethnischen, keine religiösen Spannungen, es gibt auch keine Territorialansprüche, gegenseitige. Das Problem Kaliningrad hat sich auf sehr angenehme Weise entschärft und lösen lassen, da gab es ja zunächst auf russischer Seite etwas Befürchtungen, dass Deutschland da wieder Ansprüche erheben würde im Zusammenhang mit der deutschen Einigung, das war aber nicht der Fall. Und die deutsche Aufbauleistung in Kaliningrad wird auch besonders geschätzt.

Brink: Hat das ein bisschen was zu tun mit der Männerfreundschaft, wie man ja immer so lesen kann, zwischen dem Kanzler und dem Präsidenten Putin?

Götz: Also diese Männerfreundschaft überhöht das Ganze vielleicht etwas, es ist ein gewisses Symbol. Aber wie ich schon sagte: Die grundlegenden Beziehungen sind gut und waren eigentlich auch in den letzten Jahrhunderten muss man sagen, gut. Deutschland und Russland waren eigentlich früher das, was man heute strategische Partner nennen würde oder hätten es sein können, wenn nicht eine bestimmte Art von Machtpolitik im 19. Jahrhundert beide Staaten auf verschiedene Seiten der Front im Ersten Weltkrieg geführt hätte. Und wenn nicht die Politik Hitlers und der Nationalsozialisten einen künstlichen Gegensatz, eine Feindschaft zwischen beiden Völkern suggeriert und aufgebaut hätte und dann die Angriffe Deutschlands jeweils auf Russland oder die Sowjetunion erfolgt wären. Das ist sozusagen ein – das sind sozusagen unnatürliche Entwicklungen, die ein Verhältnis überdeckt haben, das auch schon deswegen gut war, weil ja deutsche Auswanderer in mehreren Wellen in Russland gesiedelt haben, sie wurden dorthin gerufen, viele deutsche Wissenschaftler in Russland geforscht haben, am Hofe tätig waren. Und es auf dem Gebiet der menschlichen Beziehungen immer einen sehr starken Austausch zwischen beiden Ländern gab. Bis heute. Die Deutschen sind die größte Touristengruppe in Russland. Und viele Russen reisen nach Deutschland und sehen Deutschland hier mit doch durchaus positiven Augen.

Brink: Sie sehen das so unglaublich positiv. Hat denn die ganze Erfahrung mit dem Dritten Reich, der Angriff, die Opfer – also wir haben ja so diese Klischees im Kopf – die sowjetische, russische Bevölkerung ist das Opfer, die Deutschen die Täter. Spielt das keine Rolle mehr? Oder ist das nur sozusagen ein – ja Ausrutscher kann man fast nicht sagen, denn Sie schildern das so positiv über die Jahrhunderte hinweg.

Götz: Ja, ich nenne ja nun Ergebnisse, die – was sich abgespielt hat, war natürlich nicht positiv, das will ich ja nicht beschönigen, es war grauenhaft. Aber im russischen Nationalbewusstsein wird der Krieg – und zwar der Zweite Weltkrieg – als Sieg wahrgenommen. Der Sieg steht im Mittelpunkt, man muss schon sagen der gesamten russischen Erinnerung, der Geschichtsbetrachtung, darin kulminiert eigentlich die russische Geschichte. Weniger die Oktoberrevolution spielt eine Rolle, auch nicht der Aufbau unter Stalin, auch nicht die Entwicklung nach dem Zweiten Weltkrieg, sondern der Sieg im Zweiten Weltkrieg wird auf eine gewisse Weise überhöht, symbolisiert, aber damit auch apolitisch gemacht. Es wird nicht diskutiert, wie er zu Stande kam, was die Vorgeschichte war, es wird nicht in der Bevölkerung diskutiert, auch nicht in der politischen Klasse, es wird unter Wissenschaftlern diskutiert. Es wird vor allem nicht die Fehler, die Stalin begangen hat im Krieg, die großen Opfer, die die russischen Soldaten bringen mussten, weil die Führung Fehler gemacht hat, das wird nicht diskutiert. Es wird in Filmen zum Teil das Verhalten der Deutschen sehr einseitig dargestellt, das ist richtig, da sind sie nur die Bösewichte, Unmenschen. Aber interessanterweise spielt Deutschland als Angreifer gar keine so wichtige Rolle. Der Sieg steht im Mittelpunkt. Und was die Russen ansonsten bedrückt, ist eigentlich der Zerfall der Sowjetunion, an dem ja nun Deutschland keinen Anteil hatte. Das ist für sie die größte Niederlage nach diesem Sieg.

Brink: Also ein Identitätsverlust, könnte man das so sagen?

Götz: Ja, durchaus. Da beneiden sie eigentlich die Deutschen, die ja aus dem Zweiten Weltkrieg immerhin als einheitliche Nation hervorgegangen sind, allerdings geteilt, was die Russen nie so gut gefunden haben übrigens. Da haben sie die Deutschen immer bemitleidet wegen der Mauer und waren richtig froh – also ich sage das so einfach –, als diese Mauer gefallen ist, haben uns beglückwünscht dazu.

Brink: Ja, wie ist denn das Deutschlandbild in Russland? So wie Sie das jetzt schildern, doch eigentlich ein sehr positives? Habe ich Sie da richtig verstanden?

Götz: Na ja es gibt einmal die Stereotypen: Deutsche sind ordentlich, fleißig und so weiter. Die stammen zum Teil aus den Erfahrungen, dem Bild, das die Deutschen, die nach Russland eingewandert, abgegeben haben, die Schwaben, die ausgerechnet nach Russland kamen und ihre Tugenden mitgebracht haben. Und heute die deutschen Geschäftsleute werden als etwas redlicher aufgefasst als etwa amerikanische, man kann mit ihnen einfacher umgehen, die Kulturen sind sich ja viel ähnlicher als etwa die russische und die japanische oder die russische und die amerikanische.

Brink: Wir sprechen mit Roland Götz, Leiter der Forschungsgruppe Russland bei der Stiftung Wissenschaft und Politik. Bleiben wir doch bei der Wirtschaft. Wie sind denn die wirtschaftlichen Beziehungen?

Götz: Der wirtschaftliche Austausch wächst und wächst. Die Investitionstätigkeit nimmt auch zu. Was den Handel betrifft, ist Deutschland absolut an der Spitze, bei den Investitionen an zweiter, dritter Stelle. Allerdings ist diese wirtschaftliche Beziehung geprägt von kleinen und mittleren Unternehmen, da fehlen eigentlich die ganz großen Projekte. Mit wenigen Ausnahmen, das sind eigentlich nur die Pipelines.

Brink: Also auch diese Gaspipeline?

Götz: Ja, diese Gaspipeline, aber nicht von Sibirien, sondern von Wyborg bei Sankt Petersburg nach Greifswald, auf dem Boden der Ostsee. Das ist eigentlich eins der ganz wenigen großen Projekte, ein so genanntes Leuchtturmprojekt, wie es immer gewünscht worden ist, wird da realisiert. Allerdings wird es nach meiner Meinung falsch interpretiert: Das spielt eigentlich für die deutsche Energieversorgung, auch für die europäische, nicht die Rolle, die ihm im Augenblick so zugemessen wird. Denn man hätte ja alternative Land-Pipelines über Polen, Weißrussland bauen können und durch die Ukraine, um die Transportkapazitäten auszuweiten. Das Spezifikum, dass es nun durch die Ostsee verläuft, ist nicht so ganz entscheidend, da ist eigentlich eine Sache sehr auf politisch obere Ebene gehoben worden, die es gar nicht verdient hat.

Brink: Was ist denn da das Fundament der deutsch-russischen wirtschaftlichen Beziehungen, also nicht die Großprojekte, die Leuchttürme, sondern eigentlich der Mittelstand? Wobei, man hört ja aus der Wirtschaft – gerade aus der deutschen – immer auch so ein bisschen Zweifel, dass das so ein unsicherer Kantonist, die russische Wirtschaft, stimmt das?

Götz: Die Wirtschaft weniger, die russische Wirtschaftspolitik ist immer etwas in der Kritik. Sie erscheint nicht so sicher zu sein. Das liegt daran, dass es einige Kurswechsel gab. Ganz allgemein gesagt, man befürchtet im Augenblick eine doch wieder stärkere Rezentralisierung, Tendenz zur Bürokratisierung. Das widerspricht eigentlich dem Weg, den Putin angekündigt hat. Er fällt da etwas hinter seine eigenen Ankündigungen zurück. Aber davon abgesehen, die wirtschaftlichen Beziehungen entwickeln sich sozusagen selbstständig. Der Staat kann die gar nicht so stark beeinflussen, weder in positiver noch negativer Hinsicht. Und wie gesagt: Deutschland ist und bleibt auch wohl zukünftig der größte Außenhandelspartner Russlands.

Brink: Was sind denn deutsche Interessen, wirtschaftliche Interessen in Russland?

Götz: Na ja, es wird manchmal etwas schief gesagt. Wir liefern Maschinen, die liefern uns Rohstoffe. Da ist zwar etwas dran, wir beziehen – wie viele andere Länder auch – größtenteils Rohstoffe, liefern [...] und Konsumgüter. Das muss und wird sich wohl auch künftig etwas ändern, der Austausch wird etwas gleichmäßiger werden, wie er auch zwischen europäischen Ländern ist. Und insofern sind die wirtschaftlichen Beziehungen einer der ständigen Pluspunkte in den deutsch-russischen Beziehungen. Es gibt auch kritische Punkte, allerdings, die aber weniger mit der Wirtschaft etwas zu tun haben.

Brink: Was sind die kritischen Punkte?

Götz: Na ja, also einmal, die russische Politik glaubt in Deutschland einen Partner zu haben, den sie sozusagen aus der europäischen Phalanx ausgliedern kann, die ihr zu sehr auf den Pelz rückt in der EU-Osterweiterung, in der EU-Nachbarschaftspolitik. Das ist natürlich falsch, das wird nicht gelingen. Dann in Russland ist man sehr empfindlich gegenüber Kritik aus dem Ausland, nicht aus Deutschland, aber auch aus Deutschland, etwa was Tschetschenien angeht, was die inneren Verhältnisse angeht. Und dann eigentlich am gewichtigsten: Deutschland und Russland nicht kämpfen, sondern bemühen sich gemeinsam um diejenigen Länder, das ist Belorus, Ukraine und etwa Georgien, Moldowa, die in diesem Zwischenbereich liegen, der weder von EU noch von Russland direkt beherrscht wird. Und da gibt es einen, wie soll man sagen, einen gewissen Kampf um die Herzen, um die politische Ausrichtung dieser Länder.

Brink: Noch eine letzte Frage, mit einer Bitte um eine etwas kürzere Antwort aber. Können Sie denn die Kritik verstehen, zum Beispiel der Polen, die sagen, da gibt es eine neue Achse Deutschland/Russland, die kann uns gefährlich werden?

Götz: Ich kann die Kritik verstehen, ich kann sie nachvollziehen, denn die deutsche Politik war da, ist da etwas unsensibel aufgetreten. Etwa bei dieser Gaspipeline, als man gesagt hat, das geht die Polen ja im Grunde nichts an. In Wirklichkeit ist diese Achse ein Phantom. Sie wird es nicht geben, und sie würde auch vollkommen der Richtung der deutschen Außenpolitik widersprechen.

Brink: Vielen Dank für das Gespräch, für diese Informationen, Roland Götz war das, Leiter der Forschungsgruppe Russland bei der Stiftung Wissenschaft und Politik.
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