Das Buch meines Lebens

Geoffrey Chaucer: "The Canterbury Tales"

02:52 Minuten
Florian Werner guckt skeptisch in die Kamera. Im Hintergrund sind aufgeschlagenen Buchseiten in der Nahaufnahme.
Florian Werner ist ein Schriftsteller aus Berlin. © imago/Horst Galuschka
Von Florian Werner · 15.03.2019
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Florian Werners Buch seines Lebens ist "The Canterbury Tales" von Geoffrey Chaucer. Die Erzählungen handeln von Pilgern, die im Wettbewerb die beste Geschichten erzählen wollen. Das Ergebnis sind lustige und vulgäre Texte in mittelenglischer Sprache.
Ich habe Anglistik studiert und als alter Anglist ist ein sehr wichtiges Buch in meinem Leben "The Canterbury Tales" von Geoffrey Chaucer, also wahrscheinlich der bedeutendste Geschichtenzyklus auf Mittelenglisch. Er ist vermutlich Ende des 14. Jahrhunderts entstanden. Der Titel "The Canterbury Tales" verrät schon ein bisschen etwas. Es geht um eine Gruppe von Pilgern, die vom Südrand von London nach Canterbury, ganz im Südosten von England, reiten und sich währenddessen Geschichten erzählen.
Der Wirt vom Tabard Inn, also einem Pub, wo sie sich bei der Abreise treffen, lobt eine Art Literaturpreis aus. Der, der die beste Geschichte erzählt, bekommt ein Abendessen bei ihm im Tabard Inn. Heute würde man sagen, eine Art Aufenthaltsstipendium für Schriftsteller. Daraufhin werden fantastische Geschichten erzählt, teilweise sehr vulgäre, teilweise sehr christliche erhabene. Man hat also das ganze Spektrum der mittelenglischen Gesellschaft versammelt.

Die Schönheit der mittelenglischen Sprache

Was mich unglaublich begeistert hat, ist natürlich die Schönheit dieser mittelenglischen Sprache, die einerseits vertraut scheint, aber immer noch eine mittelalterliche Ferne hat. Tatsächlich gab es eine Zeit in meinem Leben, die dauert eigentlich bis heute an, wo ich einige Formulierungen aus den "Canterbury Tales" selber verwendet habe und in meinem Wortschatz integriert habe. Ich sage nicht dieses Jugendwort von 2015 "Läuft bei dir" sondern "This goes aright". Das ist mein geheimes Ziel, sowas zum Teil der Umgangssprache zu machen.
Toll sind natürlich auch die Figuren. Vor allem die eher fischigen und anrüchigen Gestalten, wie der berühmte Miller, der Müllersmann, der ständig betrunken ist und fast vom Pferd fällt. Oder eben der Wirt vom Tabard Inn. Und auch die Leben noch bis heute fort. Das habe ich festgestellt, als ich vor Jahren einmal im Nordwesten von Schottland wanderte und in einem Pub der Wirt uns irgendwann zur Sperrstunde einschloss und zum Konsum von Alkohol zwang und ein Spiel vorschlug, kein Geschichtenspiel. Er wollte Billard um Geld spielen.
Wir machten das natürlich mit, und ich dachte die ganze Zeit: Irgendwoher kenne ich diesen Kerl, diesen Wirt. Dann wurde mir irgendwann klar: Das ist natürlich Harry aus den "Canterbury Tales" der Wirt. Und der ist inzwischen 550 Jahre, also 600 knapp Jahre später, lebt er in Nordschottland, weil ihm der Boden in England zu heiß wurde.
Es ist ein fantastisches Buch, es gibt auch eine sehr schöne deutsche Ausgabe. Wer sich aber wirklich davon verzaubern lassen möchte von diesem Geschichtenzyklus, der sollte es auf Mittelenglisch lesen. Und kann dann sagen: "This goes aright."

Die Canterbury-Erzählungen. 3 Bände. Goldmann, München 2000, 29 Euro
(Mittelenglischer Originaltext mit deutscher Prosaübersetzung)

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