"Das Böse kommt oft in der Gestalt des Verführerischen daher"

Reinhard Haller im Gespräch mit Ulrike Timm |
Nach Angaben des renommierten Gerichtspsychiaters Reinhard Haller laufen weltweit derzeit 120 bis 150 extrem gefährliche Sexualmörder frei herum. Der bösartige Narziss bleibe durchschnittlich und sei die berühmte "graue Maus" von nebenan, der man eine brutale Tat gar nicht zutraue.
Ulrike Timm: Dem abgrundtief Bösen widmen wir uns in dieser Woche im Radiofeuilleton und versuchen, uns aus verschiedensten Perspektiven Menschen, Denkrichtungen, Taten zu nähern, die man eigentlich nicht verstehen kann. Und damit wir uns auf der Suche nach dem Bösen nicht gleich philosophisch verheddern, haben wir jetzt einen Mann eingeladen, der täglich ganz konkret in Abgründe schaut, Reinhard Haller.

Er widmet sich als Gerichtspsychiater und Neurologe Schwerstverbrechern, die bestialisch morden und quälen, die aber oft von den eigenen Taten ganz seltsam unberührt bleiben. Stehen die nun für das Böse? Herr Haller, schönen guten Tag!

Reinhard Haller: Grüß Gott!

Timm: Herr Haller, einer Ihrer prominentesten Fälle, das war der berühmte Jack Unterweger, ein Prostituiertenmörder, der im Gefängnis dann zum viel umjubelten Knastpoeten avancierte, fast verehrt wurde. Er kam heraus, wurde als charmanter Partylöwe herumgereicht, das vorbildliche Beispiel für Resozialisierung nach schlimmer Tat. Und dann mordete Jack Unterweger wieder. Im gleichen Milieu als Autor und Journalist sozusagen auf Recherche. Man kann es wirklich kaum glauben. 1994 dann wurde Jack Unterweger zum zweiten Mal verurteilt wegen neunfachen Mordes. Nach der Urteilsverkündung erhängte er sich mit dem gleichen Knoten, mit dem auch seine Opfer stranguliert wurden. Herr Haller, wie hat dieser Mann, wie hat dieser Mensch auf Sie gewirkt?

Haller: Vom ersten Eindruck her war er nicht unsympathisch. Er war eher so der hilflose Junge. Er war recht intelligent, er war hilfsbedürftig. Er hat diesen Eindruck vermittelt, als ob von einem etwas erwartet, als ob er etwas braucht. Er hat vor allem auf Frauen einen sehr starken Eindruck gemacht. Mir hat er einmal gesagt, dass er in den zirka zwei Jahren, die er in Freiheit war, mit 151 Frauen geschlafen hat. Es war auch nach seiner Verhaftung so, dass sich sehr viele Frauen um ihn gekümmert haben, ihm ihre Partnerschaft, ihre Eheschließung, ihre Liebe, Geld und so weiter angeboten haben. Also man hat bei ihm besonders signifikant zwei Dinge gesehen: Zunächst einmal den Charme des Psychopathen, also das heißt, das Böse kommt oft in der Gestalt des Verführerischen daher. Und auf der anderen Seite auch das Verbrechen und psychische Störung einen enormen Anziehungseffekt auf jeden von uns haben.

Das vollständige Gespräch mit Reinhard Haller können Sie bis zum 2. September 2012 als MP3-Audio in unserem Audio-on-Demand-Player nachhören.

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