Daniel Kehlmann über seinen Film „Das Verhör in der Nacht“

Linker Terrorismus als Kammerspiel

14:36 Minuten
Szene aus dem Fernsehfilm "Das Verhör in der Nacht". Thomas (Charly Hübner) wartet auf eine Antwort von Judith (Sophie von Kessel), die auf einem Schreibtischstuhl sitzend in Gedanken versunken ist.
In "Das Verhör in der Nacht" spielt Sophie von Kessel die Philosophiedozentin Judith und Charly Hübner einen Polizisten. © ZDF / ARTE / Sandra Hoever
Moderation Susanne Burg · 21.11.2020
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Autor Daniel Kehlmann schreibt immer öfter Drehbücher. Auch das zum Film "Das Verhör in der Nacht“ stammt von ihm. Eine unter Terrorverdacht stehende Philosophiedozentin liefert sich darin einen intellektuellen Schlagabtausch mit einem Polizisten.
Susanne Burg: Ob "Ich und Kaminski", "Die Vermessung der Welt" oder "Ruhm" – Daniel Kehlmanns Romane sind Bestseller. In den letzten drei Jahren ist der Autor verstärkt auch in der Theater- und Filmwelt in Erscheinung getreten. Immer wieder hat er Drehbücher geschrieben – so zum Beispiel zu seinem Zwei-Personen-Stück "Heilig Abend". Bei Arte und im ZDF ist nun der Film zu sehen. "Das Verhör in der Nacht" heißt er.
Matti Geschonneck hat Regie geführt und Charly Hübner spielt darin einen Polizisten, der die Philosophiedozentin Judith, gespielt von Sophie von Kessel, am Weihnachtsabend in ihrem Hotelzimmer verhört. Sie soll mit ihrem Ex-Mann einen Bombenanschlag geplant haben. Das Verhör wird zum Wortduell zwischen den beiden, ein Wortduell auch über Politik. Worin lag der Reiz, dieses Zwei-Personen-Wortduell von einem Theaterstück in einen Film umzuarbeiten.
Daniel Kehlmann: Was vielleicht erst mal Befremden erzeugt an der Idee – kann man das machen, einen Film, und man sieht die ganze Zeit nur zwei Leute, oder es sprechen nur zwei Leute –, genau das hat mich dann daran interessiert: Kann man das machen, geht das überhaupt? Ich habe auch sofort gesagt, wenn wir das machen, dann muss es aber bei dieser puristischen Anordnung bleiben, es können dann nicht plötzlich andere Leute auftreten und mitreden. Das war dann aber auch sofort klar. Der Produzent, Reinhold Elschot, und der Regisseur, Matti Geschonneck, wollten das auch überhaupt nicht anders. Das also hat mich interessiert: Kann man das überhaupt machen und wie?


Burg: Sie bewegen sich plötzlich im Fernsehen in einem Kontext, wo das Krimi-Genre sehr populär ist, und Ihre Anlage ist vom Plot her auch so ein bisschen Krimi – es gibt terrorverdächtige Polizisten, eine eventuell tickende Bombe, den Kampf gegen die Zeit, es klingt ja erst mal nach Action. Aber dann ist es eher eine puristische Anordnung und ein Verhör, dessen ganze Spannung sich aus der Kommunikation speist. War das für Sie auch ein Spaß, an einem bewussten Gegenentwurf zu den im deutschen Fernsehen sonst üblichen Krimikonventionen zu arbeiten?
Kehlmann: Es lief darauf hinaus und dadurch war das ein Spaß. Dazu kommt, dass das auch Schauspieler sind, die man beide schon in Krimis gesehen hat. Es war dann schon interessant, alles in den Dialog zu verlagern. Was mich auch an dem Stück gereizt hat, wird dann natürlich im Fernsehen noch relevanter: Den terroristischen Hintergrund nicht einfach vorauszusetzen, sondern wirklich zu erforschen – die Frage, was beschäftigt so jemanden, wie kann das auch verständlich sein. In gewisser Weise muss in einem Stück, das funktioniert, und dann eben auch in einem Film, der danach gemacht wird, jede Figur recht haben. Das heißt, auch der mögliche Terrorist, in dem Fall die mögliche Terroristin, muss in gewisser Weise recht haben aus ihrer eigenen Position heraus, sonst macht man sich's zu leicht. Das ist natürlich auch etwas, was man so im Fernsehen auch nicht jeden Tag machen kann oder auch nicht jeden Tag sieht.

"Es geht ja um diesen verbalen Machtkampf"

Burg: Das war aber auch etwas, was in der Vorlage schon die Herausforderung war, oder? Es geht ja um diesen verbalen Machtkampf zwischen den beiden. Inwieweit haben Sie das noch mal umgearbeitet, dass dieses Dominanzverhalten der beiden, dieser Kampf um die Dominanz, was sich ja immer wieder verschiebt, fürs Fernsehen gut funktioniert?
Kehlmann: Wir haben eine wesentliche Entscheidung getroffen, Matti Geschonneck und ich, nämlich im Stück läuft das Ganze in Echtzeit. Im Stück ist der mögliche Anschlag genau um Mitternacht geplant, und es läuft tatsächlich eine Uhr. Dadurch kann man im Publikum auch auf die Uhr schauen und kann sehen, wie sehr sich der Anschlag nähert, wie viel Zeit der Polizist überhaupt noch hat für sein Verhör. Für den Film haben wir uns gleich am Anfang entschieden, die Uhr wegzulassen. Denn während die Uhr auf der Bühne real ist und man die laufende Zeit mit den Schauspielern teilt, wäre das im Film klar als Gimmick erkennbar gewesen. Diese Dringlichkeit, die Echtzeit im Theater erzeugt, ist im Film nicht zu machen, und deswegen haben wir das weggelassen.
Dadurch gibt's eine noch stärkere Konzentration auf den Dialog und das Gespräch zwischen den beiden. Und dann kommt etwas hinzu, was zunächst mal selbstverständlich ist, aber dann in der konkreten Arbeit überhaupt nicht selbstverständlich: Dass man nämlich im Film viel leiser sprechen kann, man kann Großaufnahmen machen, man kann viel näher an die Schauspieler herankommen, und das heißt, man kann auch sehr stark Konflikt zurücknehmen und verinnerlichen, weil man die Schauspieler wirklich von der Nähe sieht. Das war besonders interessant für Sophie von Kessel, weil sie das Stück in Mücnhen auch auf der Bühne gespielt hatte. Ich glaube, das war wirklich nicht leicht für sie, das hat sie mir auch erzählt. Und sie hat's ganz wunderbar gemacht, sie hat die Rolle wirklich völlig anders angelegt.


Burg: Es ist interessant, was Sie sagten mit der Echtzeit, dass Sie beschlossen haben, dass das im Film nicht funktioniert. Ganz viele Filme spielen genau mit Echtzeit und bei der Serie "24" war das die Grundidee der ganzen Serie. Noch mal zu den Dialogen: Das ist ein Kammerspielkampf zwischen einem Staatsschützer und einer Philosophieprofessorin, und sie diskutieren viel über das Dilemma zwischen Freiheit und Sicherheit und die Frage, ob der momentane Staat das beste System sei oder ein grausames System, das sich mehr und mehr von der Demokratie verabschiedet. Das sind Themen, die im deutschen Kontext ja schon lange aktuell sind, wenn man an die RAF denkt. Haben Sie dieses Thema in den letzten drei Jahren, seitdem das Theaterstück uraufgeführt wurde 2017, noch mal anders gedacht?
Porträtaufnahme von Sophie von Kessel in der Rolle der Judith, aus dem Fernsehfilm "Das Verhör in der Nacht".
Schauspielerin Sophie von Kessel lässt sich als Judith nicht provozieren.© ZDF
Kehlmann: Es ist natürlich richtig: Was die Professorin sagt, geht in Richtung linker Terrorismus und damit automatisch in Richtung RAF. Es kam tatsächlich mit einem Regisseur, der das am Theater gemacht hat – es gab ja mehrere Aufführungen – es kam also tatsächlich die Frage auf, ob es nicht zeitgemäßer wäre, wenn das rechter Terrorismus wäre. Da habe ich gesagt, ja, ich verstehe den Gedanken, aber der rechte Terrorismus, den kann ich nicht so schreiben, dass man das Gefühl hat, der könnte auch recht haben in gewisser Weise. Der hat einfach in gar nichts recht, weil ihm eben auch keine humanistische Grundintention zugrunde liegt. Das heißt, das könnte vielleicht jemand anderer machen; ich sag nicht, das geht nicht, aber das kann und will ich nicht machen.
Es ist natürlich wahr: Dadurch, dass linker Terrorismus bei uns nicht mehr so ein Thema ist und nicht mehr so existiert, bekommt das automatisch in manchen Momenten der Diskussion zwischen den beiden eine gewisse Retroatmosphäre, weil das Debatten der 70er-Jahre waren. Aber sie bringt ja auch Beispiele über zeitgenössische heutige Unterdrückung, die das Thema relevant machen. Dass es nicht mehr in Mode ist, heißt ja nicht, dass sie nicht auch in gewisser Weise – wohl nicht bis zur letzten Konsequenz, aber zumindest in ihrem Ansatz – recht haben kann.

Kehlmanns neuer Film – eine Thomas-Mann-Adaption

Burg: Mich interessiert auch das Thema, wie Sie sich in der Literatur und im Film bewegen, denn Sie haben ja schon mehrere Drehbücher für Filme geschrieben, also für die Literaturverfilmung Ihres eigenen Romans "Die Vermessung der Welt" oder auch jetzt für Daniel Brühls Regiedebüt "Nebenan". Interessant ist, wie Sie in der Vergangenheit mit den literarischen Vorlagen umgegangen sind. Bei "Die Vermessung der Welt" haben Sie im Roman auf Dialoge verzichtet, es war indirekte Rede – und im Film setzen Sie dann darauf. Was haben Sie im Laufe Ihrer Erfahrung mit dem Schreiben für Film gelernt, was die Dialoge für den Film und die Sprache im Film angeht?
Kehlmann: Das widerspricht jetzt ein bisschen dem Ansatz bei "Verhör in der Nacht", weil dieser Film wirklich nur Gespräch ist, aber ein dramatisch sehr aufgeladenes Gespräch durch die Verhörsituation. Ich habe auch gerade für Detlev Buck eine Thomas-Mann-Adaption geschrieben, die "Bekenntnisse des Hochstaplers Felix Krull", das wird auch Anfang nächsten Jahres ins Kino kommen – wenn's dann überhaupt Kinos gibt. Aber der Film ist abgedreht. Ich habe gelernt, dass die Regel stimmt, dass in einem Drehbuch jede Szene, die länger als eineinhalb Seiten ist, schon anfängt, zu lang zu sein. Man muss schon einen guten Grund haben, wenn eine Szene länger ist als eineinhalb Seiten. Das heißt, ein Film, besonders, wenn man was adaptiert, ist sehr stark auch ein Medium der Konzentration, der Verdichtung.
Man muss alle Konflikte irgendwie in die Dialoge bringen, in das dialogische Geschehen zwischen den Schauspielern, und man hat nicht so viel Zeit. Das Merkwürdige ist, wenn man sich in einem 500-Seiten-Roman mal für 20 Seiten langweilt, das macht überhaupt nichts. Ich finde, Proust ist der größte Romanautor aller Zeiten, und man langweilt sich oft in "Die Suche nach der verlorenen Zeit". Das macht aber nichts, das nimmt man gerne in Kauf, das stört einen nicht. Im Theater ist es auch nicht so schlimm, wenn man mal ein wenig durchhängt, aber es ist viel schlimmer: Man hat viel weniger Langeweile-Toleranz im Theater – und man überhaupt keine im Film. Ich habe da keine größere Theorie, warum das so ist, es ist einfach so.


Burg: Dann gibt's ja auch noch die Frage der Perspektive, die in der Prosa ja anders funktioniert als im Film: Unzuverlässige Erzähler, mit denen Sie in der Literatur viel spielen, müssen mit anderen Mitteln in den Film überführt werden. Ändert das für Sie auch etwas im Denken beim Schreiben für den Film?
Der Schriftsteller Daniel Kehlmann steht in einer Winterjacke an eine Hauswand gelehnt.
Daniel Kehlmann: "Im Film muss man wirklich die Perspektive anders denken."© picture alliance/dpa/Claudio Bresciani/TT NYHETSBYRÅN
Kehlmann: Ja, ich glaube, man muss wirklich anders denken beim Film. Im Film muss man wirklich die Perspektive anders denken: Was heißt das eigentlich, die Perspektive ist bei einer Figur. Letztlich ist die Perspektive ja bei der Kamera, aber trotzdem ist sie dann auch bei einer bestimmten Figur, weil die Kamera auf eine gewisse Art diese Figur mehr mag als die anderen. Das ist im Film ganz wichtig, dass man diese Klarheit bekommt, bei wem sind wir jetzt gerade. Das hat man zum Beispiel im Theater so nicht. Im Theater stehen alle Schauspieler und alle Figuren nebeneinander auf der Bühne, und man kann nicht kontrollieren, wo die Kamera hinschaut – man ist bei allen, sie sind viel gleichberechtigter.
Im Film gibt es immer diesen Blick der Kamera, den man mitdenken muss beim Schreiben – und deswegen ist es natürlich auch wichtig, dass man konkret mit einem Regisseur zusammenarbeitet. Ich habe noch nie einen Film ins Nichts hineingeschrieben, ohne zu wissen, wer den inszenieren könnte. Da ist es ganz wichtig, dass man von Anfang an mit dem Regisseur zumindest ein gewisses Grundeinverständnis hat, sonst läuft das ins Leere.

"Meine Prosa ist szenischer geworden"

Burg: Haben Sie das Gefühl, dass das Schreiben von Drehbüchern auch eine Rückwirkung auf das Schreiben von Prosa hat?
Kehlmann: Ich glaube schon. Definitiv war das so beim Schreiben fürs Theater. Ich habe wirklich gemerkt, dass auch meine Prosa szenischer geworden ist und dass ich mehr in Szenen denke, seitdem ich angefangen habe, fürs Theater zu schreiben. Das hat mir wirklich sehr geholfen und hat auch meine Arbeit als Romanautor erweitert. Ich habe vor allem die letzten drei Jahre viel an Drehbüchern gearbeitet. Ich bin noch nicht sehr weit mit dem neuen Roman – aber ich habe das Gefühl, dass es mich wiederum dazu bringt, mehr bildlich zu denken. Das ist ja doch ein wichtiger Unterschied zwischen Theater und Film, dass im Film das Bild eben doch so wichtig ist: Immer gibt es auch die Frage der Umgebung, was passiert da, was sieht man da.
Da ist die Arbeit mit Regisseuren sehr lehrreich: Bei einer Szene von "Felix Krull", die ich einfach in einem Innenraum verortet habe, ein langes Gespräch, sagt Detlev Buck, das machen wir draußen, da passiert was im Hintergrund. Und dann sagt man, ja, klar, ist Film, da sollte besser was im Hintergrund passieren – und das führt dann wieder zu einer generellen Öffnung. Und das andere natürlich: Wenn man einen Film schreibt, hat man natürlich ganz oft zu tun mit der Frage, lohnt sich das, ist das zu teuer. Bei "Felix Krull" gibt es eine wunderbare Szene bei Thomas Mann in einer Zirkusarena. Ich habe das zunächst mal ins Drehbuch reingeschrieben, zwei Minuten, tolle Szene, nicht wichtig für die Handlung, aber eine schöne Erweiterung des Charakters, wo er als Kind ins Kino geht.
Dann sagt natürlich sofort der Produzent mit Recht, Du, das kostet eine Million und dauert zwei Minuten und bringt den Film nicht weiter. Da sagt man, ja, stimmt eigentlich, und streicht das wieder. Aber wenn man dann an den Schreibtisch zurückgeht und Prosa schreibt, dann freut man sich doppelt, dass man jede teure Abschweifung machen kann. Und, auch ganz wichtig, dass man "nachdrehen" kann. Wenn der Film fertig ist und man hat nicht eine teure Hollywood-Produktion, dann ist er fertig. Bei der Prosa, wenn das Manuskript fertig ist und es fällt einem noch was ein, kann man zurückgehen und alles umschreiben. Das kommt einem ganz selbstverständlich vor, bis man mal Film gemacht hat – und wenn man mal Film gemacht hat, dann freut man sich so an dieser Möglichkeit, nachdrehen zu können auf dem Papier so viel man möchte.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandfunk Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
Der Film "Das Verhör in der Nacht" läuft am 27. November 20.15 Uhr auf Arte und am 30. November 20.15 Uhr im ZDF, oder ist jetzt schon in der Arte-Mediathek zu sehen.
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