Daniel Kahneman und Amos Tversky

Wie zwei Psychologen unser Denken veränderten

Der israelisch-amerikanische Psychologe Daniel Kahneman (L) erhält von US-Präsident Barack Obama die Freiheitsmedaille überreicht, in Washington am 20. November 2013.
Der Psychologe Daniel Kahneman (L) erhält die Freiheitsmedaille überreicht. © EPA / MICHAEL REYNOLDS
Von Martin Tschechne · 30.01.2017
Autor Michael Lewis erzählt in seinem Buch "Aus der Welt" die Entstehungsgeschichte der Erkenntnis zweier Psychologen: Daniel Kahneman und Amos Tversky. Nobelpreisträger Kahneman und sein Kollege Tversky konnten belegen, dass Entscheidungen selten logisch getroffen werden.
Manchmal können Bücher eine Welt aus den Angeln heben. "Schnelles Denken, langsames Denken" war ein solches Buch. Vor sechs Jahren wies der mit dem Nobelpreis für Wirtschaft ausgezeichnete Psychologe Daniel Kahneman darin nach, wie politische und ökonomische Strategien, aber auch ganz alltägliche Entscheidungen allen möglichen Illusionen und Bedürfnissen folgen – nur die Logik der Tatsachen spielt dabei meist eine Nebenrolle. Jetzt erzählt der amerikanische Wissenschaftsautor Michael Lewis in "Aus der Welt" die Geschichte dieser intellektuellen Revolution.
Wissenschaft ist Wissenschaft, und alles andere ist alles andere. Dieser Satz gilt in der wissenschaftlichen Welt als eine Art Grundgesetz. Aber genau darum geht es in "Schnelles Denken, langsames Denken": felsenfeste Gewissheiten aus der Welt zu schaffen. Also nimmt sich auch Michael Lewis die Freiheit, verknüpft Forschung mit Biografie und schaut neuer Erkenntnis gewissermaßen beim Entstehen zu.

Zwei Wissenschaftler, grundverschieden in ihrem Temperament

Dazu gehört zuallererst, dass es zwei Wissenschaftler sind, aus deren jahrelanger Zusammenarbeit ein Werk wie "Schnelles Denken…" erwachsen konnte, nämlich Kahneman selbst und Amos Tversky, Bruder im Geiste, aber auch Konkurrent. Beide stammten aus Israel, hatten in der Armee gekämpft und später als Psychologen für das Militär gearbeitet. Hochintelligente Außenseiter – doch grundverschieden in ihrem Temperament: Kahneman eher zögerlich und von Zweifeln geplagt, Tversky forsch und genial.
Erst in diesem Spannungsfeld, so Lewis, konnte ein Werk entstehen, das zur Grundlage einer ganz neuen Disziplin der Sozialwissenschaft wurde, der Verhaltensökonomik. In unzähligen Versuchen belegen Kahneman und Tversky, wie nicht Vernunft und nüchterne Analyse das Verhalten bestimmen, sondern Heuristiken – also vorgefasste Muster zur Beurteilung einer Wirklichkeit, die nur sehr selten in all ihren wichtigen Aspekten zu überschauen ist. Denkfaulheit spielt eine Rolle, Vertrautheit, das Bedürfnis, das Geschehen auf der Welt in eine plausible Geschichte, ein Narrativ zu ordnen. Und natürlich: Der Manipulation durch Werbung, Hetze oder Fake News ist Tür und Tor geöffnet.

Sie stritten, kämpften, lachten

Wer in Lewis' packend erzählter Geschichte zweier Genies nicht allzu gut wegkommt, ist ein Wissenschaftsbetrieb, der Kooperation erschwert, indem er fortwährend zur Konkurrenz anfeuert. Tversky wurde geehrt, Kahneman fühlte sich zurückgesetzt, am Ende zerbrach die Beziehung darüber. Tversky starb 1996, zu früh, um den Nobelpreis zu bekommen. Kahneman bekam ihn 2002 für ein Werk, das nur von zwei Forschern hervorgebracht werden konnte. Sie stritten, sie kämpften, aber oft hörte man sie hinter der Tür ihres Büros laut lachen.
Manchmal aber erliegt auch der Ideen-Biograf Michael Lewis der Versuchung, die Wirklichkeit einem Narrativ unterzuordnen. Wie er mit den akademischen Kritikern seiner beiden Helden umgeht – das ist bisweilen schäbig. Aber die Gründe dafür lassen sich ganz leicht im Original nachlesen, in "Schnelles Denken, langsames Denken".

Michael Lewis: Aus der Welt
Campus Verlag, 358 Seiten, 24,95 Euro

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