Daniel C. Dennett: "Von den Bakterien zu Bach – und zurück"

Kultureller Fortschritt braucht keine menschliche Erfindungsgabe

Cover von Daniel C. Dennett: "Von den Bakterien zu Bach – und zurück. Die Evolution des Geistes", im Hintergrund ist ein Notenblatt zu sehen
Der Philosoph Daniel C. Dennett führt die Entwicklung menschlicher Kultur auf natürliche Mechanismen zurück. © Suhrkamp / imago / Collage: Deutschlandradio
Von Susanne Billig · 20.07.2018
Nicht der Mensch denkt, sondern sein Gehirn. Nicht der Mensch liebt, sondern seine Hormone. Nun malt, komponiert und dichtet er auch nicht mehr, meint der Philosoph Daniel C. Dennett und bedient damit das Narrativ eines fundamentalistisch-naturwissenschaftlichen Lagers.
In seinem Buch "Von den Bakterien zu Bach – und zurück" führt Daniel C. Dennett die Entwicklung menschlicher Kultur auf natürliche Mechanismen zurück. Ausführlich befasst er sich mit dem Denken Darwins, um danach Möglichkeiten aufzuzeigen, wie Selektionsprozesse die Entstehung von Sprachen und komplexen kulturellen Phänomenen verursachen konnten.
Erfolgreiche Lebewesen, so betont der Philosoph, müssen die Vorgänge in ihren Körpern und Gehirnen nicht begreifen. Ebenso wie der Computer seine Algorithmen weder selbst erzeugt noch durchschaut, sondern nur elektronisch zur Anwendung bringt, sind Körper und Gehirn aus ihren eigenen biologischen Gründen aktiv, die mit den Gründen, die sich das Lebewesen zurechtlegen mag, wenig zu tun haben.

Menschliche Erfindungsgabe braucht es kaum

Ansatzpunkte kulturellen Fortschritts sind für Dennett, analog zu Genen "Meme". Gemeint ist damit die "Weisen, etwas zu tun", sei es ein Werkzeuggebrauch, die Art ein Wort auszusprechen oder eine Kleidermode zu befolgen. Während die biologische Evolution ihren Selektionsdruck auf die körperliche Anpassung der Lebewesen ausübt, dockt die kulturelle an der Beliebtheit der Meme an. So "formte" das Meer absichtslos und frei von bewusstem Gestaltungsbedürfnis des Menschen die ersten Boote: Alle Boot-Meme, die nichts taugten, gingen unter und wurden von niemandem nachgebaut – menschliche Erfindungsgabe brauchte es kaum.
Es ehrt Dennett, dass er sich in einem Kapitel ausführlich mit Einwänden gegen diese Meme-Theorie auseinandersetzt und sogar zugibt, dass sie zum Verständnis kultureller Erscheinungen wenig beiträgt, was die Geisteswissenschaften (denen Entwicklungsprozesse in Kulturen ja nicht gänzlich verborgen geblieben sind) nicht schon längst wissen – nur dass sie keine Streitwagen an biologischer und programmiertechnischer Terminologie auffahren, wie Dennett es tut, sondern von Gebräuchen, Sitten, kulturellen Phänomenen sprechen.

Dennett "de-psychologisiert" kulturelle Entwicklungen

In seinem Buch, das der Autor leider mit unnötig komplizierten Einführungen in computertechnische, linguistische und philosophische Seitendisziplinen überfrachtet, beharrt Dennett dennoch auf seinem Ansatz, bietet der ihm doch einen entscheidenden Vorteil: Er kann damit kulturelle Entwicklungen "de-psychologisieren". Ob Bootsbauer oder Johann Sebastian Bach: Wenn Menschen sich als bewusste Gestalter ihrer Werke erleben, sei dies reine "Benutzerillusion" – in Wahrheit formen blinde Kräfte auch die geistige Welt.
In diesem Blick schrumpfen einzelne Menschen, soziale Kontexte, Macht- und Herrschaftsgefüge zur analytischen Bedeutungslosigkeit. Das Narrativ, das der Philosoph bedient, ist bekannt aus dem Kulturkampf, den ein fundamentalistisches naturwissenschaftliches Lager derzeit führen zu müssen meint: Nicht der Mensch denkt, sondern sein Gehirn. Nicht der Mensch liebt, sondern seine Hormone. Nun spricht, malt, komponiert und dichtet auch der Mensch nicht mehr, sondern beziehungslose egoistische Meme geistern durch die Zeiten. Um der Deutungshoheit der Naturwissenschaften willen unterstützt Daniel C. Dennett die Vertreibung des Menschen aus sich selbst.

Daniel C. Dennett: "Von den Bakterien zu Bach – und zurück. Die Evolution des Geistes"
Übersetzt von Jan-Erik Strasser
Suhrkamp Verlag, Berlin 2018
511 Seiten, 34,00 Euro

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