Dagmar von Gersdorff: "Vaters Tochter"

Theodor Fontane und seine Tochter Mete

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Buchcover zu "Vaters Tochter. Theodor Fontane und seine Tochter Mete"
Lieblingskind und Muse: Theodor Fontane ließ sich von Tochter Mete zu einigen seiner Romane inspirieren. © Suhrkamp/Insel
Von Edelgard Abenstein · 05.09.2019
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Als klug und selbstbewusst beschreibt Dagmar von Gersdorff Theodor Fontanes Tochter Mete. Aber auch als zerrissene Existenz. Die Biografie liefert nichts Neues, ist aber dennoch mehr als ein Anhängsel zum Fontane-Jubiläumsjahr.
Noch ein Buch über Fontanes einzige Tochter. Es ist zwar schon mehr als zehn Jahre her, dass die Standardbiografie über Martha Fontane erschienen ist. Aber mitten im Jubiläumsjahr liegt der Verdacht nahe, dass das neue Buch den Anlass nutzt, ohne dass wirklich etwas Neues darin erzählt wird. In der Tat: Bahnbrechend Unbekanntes hat Dagmar von Gersdorff nicht aufgetan, doch den Verdacht eines bloßen Jahrestagsanhängsels schlägt die Autorin aus dem Feld – dank der Deutung, der sie ein typisches Frauenschicksal jener Zeit unterzieht.
Martha, die sich selbst Mete nannte, wurde, nach fünf Brüdern, ihres Vaters Liebling und Fontanes wichtigste literarische Gesprächspartnerin.

Zwischen Emanzipation und Standesdünkel

Klug, selbstbewusst, temperamentvoll, erhielt sie eine Ausbildung als Hauslehrerin, spielte Klavier und wurde liberal erzogen. Schon als Kind genoss sie ungewöhnliche Freiheiten. Im Alter von zehn schickte man sie für ein Jahr zu einer befreundeten Familie nach London, um Englisch zu lernen. Ein Potenzial, das sie später nutzte, um als polyglotte Gesellschaftsdame mit einer reichen Amerikanerin und deren Tochter durch Frankreich und Italien zu reisen. Zeitweise verdiente sie ihr eigenes Geld, indem sie den Sprößlingen des Landadels Geografie, Mathematik und Etüden auf dem Piano beibrachte.
Doch zum Kummer ihrer Eltern fand sie lange keinen Bräutigam. Auch ihren Beruf hängte sie nach ersten Krisen mit aufsässigen Schülern alsbald an den Nagel.
Im Gegensatz zu Regina Dieterles Biografie – auf die sie sich selbstverständlich stützt – idealisiert von Gersdorff Martha nicht als früh emanzipierte Frau. Sie schildert ihre Protagonistin als zerrissene Existenz, die tragisch zwischen einander ausschließenden Ansprüchen zerrieben wurde. Einerseits sehnte sie sich nach einem selbstbestimmten Leben, nach Freiheit. Andererseits suchte sie Anerkennung und eine sichere Existenz, wollte dazugehören, zu einer von Standesdünkel geprägten Gesellschaft.

Depressionen und Angstzustände

Ihr Traum hieß: reich sein – mit oder ohne Mann. Allerdings, und daran lässt die Autorin keinen Zweifel, kam dafür kein Exemplar des Mittelmaßes in Frage, so wie ihr Vater das in "Frau Jenny Treibel" für die eigentliche Romanheldin und das literarische Alter Ego seiner Tochter, die kecke Corinna, vorgesehen hatte.
Der Preis, den sie dafür bezahlte, waren tiefe Depressionen, Migräneanfälle, Angstzustände. Dass auch ein glückloses Verhältnis, das die 18-Jährige heimlich zu einem dreimal so alten, verheirateten Tenor unterhielt, eine Schlüsselrolle bei den Dauerkrankheiten gespielt haben könnte, schließt die Autorin nicht aus.

Eine späte Heirat

Das Buch hat den Charakter eines Kammerspiels. Zeitgeschichte, Milieustudien, Berliner Leben bleiben weitgehend ausgeklammert. Im Wesentlichen wertet die Autorin den Briefwechsel zwischen Eltern und Tochter, Freunden und Verwandten aus.
Spät verheiratete sich Mete dann doch noch. Bei der Wahl ihres Bräutigams blieb sie dem Vater eng verbunden. Karl Fritsch, Architekt und Leiter einer führenden Architektur-Zeitschrift, war ein Freund Fontanes – und reich.
Nach dem Tod des Vaters wird ihr Leben als Ehefrau – es sind immerhin siebzehn Jahre – in wenigen Seiten abgehandelt. Bis zum Suizid der 56-Jährigen. Einer Frau, die ein Gleichgewicht im Leben nicht hat finden können.

Dagmar von Gersdorff: "Vaters Tochter. Theodor Fontane und seine Tochter Mete"
Suhrkamp/Insel-Verlag, Berlin 2019
197 Seiten, 18 Euro

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