Dänemark

Büchereien als Wohnzimmer der Gemeinde

Besucher der Amerika-Gedenkbibliothek in Berlin sitzen zwischen Bücherregalen.
Besucher der Amerika-Gedenkbibliothek in Berlin sitzen zwischen Bücherregalen. © dpa / picture alliance / Tim Brakemeier
Von Dietrich Mohaupt · 22.09.2015
In Dänemark sind Bibliotheken gesetzliche Pflichtaufgabe der Gemeinden - und lebendige Orte, an denen die Ausleihe fast zur Nebensache wird. Anders als in Deutschland, wo ein ein solches Bibliotheksgesetz fehlt und Büchereien vor allem unter Sparzwängen leiden - so wie die Städtbücherei in Flensburg.
Die Gemeindebücherei von Tårnby, einer Kleinstadt mit gut 40.000 Einwohnern wenige Kilometer südöstlich der dänischen Hauptstadt Kopenhagen. Im Erdgeschoss spielen kleine Kinder, einige Eltern sitzen in Gruppen zusammen und klönen, andere arbeiten an Computern oder blättern mit ihrem Nachwuchs in Kinderbüchern. Über große Bildschirme an den Wänden flimmern die neuesten Fernsehnachrichten – ach ja, und ganz vereinzelt finden sich auch ein paar Regale mit Büchern, Zeitschriften, CDs oder DVDs zum Ausleihen. Das Ganze wirkt nicht wie eine Bücherei, es ist aber eine, betont Bibliothekschef Jens Lauridsen.
"Ja es ist eine moderne Bücherei – es ist die Zukunft der Bücherei!"
Die Gemeindebücherei in Tårnby ist Veranstaltungsort, Treffpunkt, Lernort – Jens Lauridsen genießt die quirlige Atmosphäre in "seiner" Bücherei.
"Mehrmals am Tag komme ich in diesen Bereich – ich mag es, wenn hier viele ältere Menschen und auch Kinder sind. Sie halten sich hier gemeinsam auf, beschäftigen sich zum Teil miteinander – sie sind einfach zusammen. Die Erwachsenen könnten – wenn sie das wollten – ihre Zeitung im ersten oder zweiten Stock in Ruhe in eigens eingerichteten News-Lounges lesen. Aber die meisten wollen lieber hier unten in diesem belebten Bereich sein, wo wir Musik spielen, wo die Kinder manchmal etwas laut sind, aber es ist eben ein lebendiger Platz."
Seit 1920 gibt es in Dänemark ein Büchereigesetz, das die Kommunen verpflichtet, öffentliche Büchereien vorzuhalten. Es garantiert den Bürgern den freien Zugang zu Kultur und Informationen – und zwar nicht nur zu in Büchern oder anderen Medien gespeicherten Informationen, betont Kamma Kirk Sørensen von der dänischen Kulturagentur, die im Auftrag der Regierung auch für die Büchereien zuständig ist.
"Information ist nichts Totes, sie muss immer in einem Kontext stehen. Wir nutzen deshalb die Büchereien, um verschiedene kulturelle Aktivitäten anzubieten. Es gibt hier zum Beispiel Dichterlesungen oder Kindertheatergruppen, die in ihren Stücken aktuelle, für die Kinder relevante Themen verarbeiten."
Deutschland auf klassische Ausleihe konzentriert
Regelmäßig finden in der Bücherei Konzerte statt, es werden Gesundheits-, Handwerks- oder Computerkurse angeboten. Die Bewohner der Gemeinde können hier aber auch zum Beispiel einen Pass beantragen oder ihren Führerschein verlängern lassen. Natürlich können sie auch Bücher ausleihen, aber das ist fast schon zur Nebensache geworden, wie fast überall, erklärt Bibliothekschef Jens Lauridsen.
"Im Prinzip verändern sich die öffentlichen Büchereien auf der ganzen Welt in diese Richtung. Ich hatte im vergangenen Frühjahr die Möglichkeit, mich in Australien umzuschauen, die arbeiten dort mit exakt den gleichen Strategien wie wir. Es gibt allerdings auch Länder – zum Beispiel Deutschland – die vielleicht etwas konservativer, mehr auf den klassischen Ausleihbestand orientiert sind."
So wie die Stadtbücherei in Flensburg, direkt südlich der deutsch-dänischen Grenze. Auch hier finden Ausstellungen, Autorenlesungen und andere Veranstaltungen statt, es gibt einen Kinderbereich, ein paar Computer-Arbeitsplätze und eine stark nachgefragte Online-Ausleihe – aber eben auch viele Regale voller Bücher, CDs und DVDs zum Ausleihen. Die Bücherei – wie auch viele andere im Land – ist deshalb nicht hoffnungslos veraltet und unmodern, aber sie ist nicht das kulturelle Zentrum der Stadt, wie das in Dänemark üblich ist. Der Hauptgrund dafür ist nach Ansicht des Direktors der Büchereizentrale Schleswig-Holstein, Heinz-Jürgen Lorenzen, dass es kein Bibliotheksgesetz wie nördlich der Grenze gibt.
"Der Bibliotheksverband ist der Meinung, dass auch hier auf der Grundlage eines derartigen Gesetzes Verpflichtungen entstehen müssen für die Kommunen, Bibliotheken vorzuhalten."
Bibliotheken als Spielball für Kürzungen
Ohne diese gesetzliche Verpflichtung seien die Bibliotheken immer wieder Spielball für Spar- und Kürzungsdiskussionen in den Parlamenten der chronisch klammen Kommunen.
"Die Diskussionen in derartigen Gremien laufen immer darauf hinaus, dass es Einschränkungen in der Nutzung von Bibliotheken gibt, sei es, dass Benutzungsgebühren erhöht werden, sei es, dass Öffnungszeiten gekürzt werden. Alles das führt dazu, dass die Dienstleistungen, die wir über die Bibliotheken an den Bürger geben wollen, immer stärker eingeschränkt werden."
Immerhin: Eckpunkte für ein Bibliotheksgesetz in Schleswig-Holstein liegen auf dem Tisch. Bis zur nächsten Landtagswahl 2017 will die Koalition aus SPD, Grünen und SSW, der Vertretung der dänischen und friesischen Minderheit im Land, ein solches Gesetz auch verabschieden – aber in den Entwürfen fehlt eben der wichtigste Punkt, kritisiert Heinz-Jürgen Lorenzen.
"Für mich ist enttäuschend, dass der gesetzlichen Pflichtaufgabe eine Absage erteilt worden ist. Damit ist nach wie vor der Diskussion auf kommunaler Ebene Tür und Tor geöffnet. Nur das Wort 'gesetzliche Aufgabe' schützt die Bibliotheken vor Willkür bei Spardiskussionen."
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