"Da ich bei den Idioten sowieso auf der schwarzen Liste stehe…"

Von Tomas Fitzel · 10.05.2013
Georg Hermann galt als Fontanes Nachfolger, aber auch als Volksschriftsteller. Analytisch und genau wusste er das jüdische Leben in Berlin zu beschreiben. Als überzeugter Demokrat und Republikaner schikanierten ihn die Nazis früh, sodass er 1933 in die Niederlande flüchtete. 1943 wurde Georg Hermann nach Auschwitz deportiert und kam um.
"Es gibt auch Romanschlüsse, die ins Nichts münden, sich verflüchtigen, wie Gas. Die in den leeren Raum verwehen. Ohne Bestand, ohne Hoffnung, ohne Spuren."
Vorwort in "Der etruskische Spiegel", 1936, über Romanschlüsse

Der Autor Georg Hermann im Vorwort zu seinem im holländischen Exil geschriebenen Roman "Der etruskische Spiegel". Georg Hermann war ein genauer Analytiker und Soziologe seiner Zeit und deswegen einer der Lieblingsautoren von Sigmund Freud. Doch Georg Hermann hatte das Pech, entweder zu spät oder zu früh und immer etwas zu viel und etwas zu wenig zu sein. Man nannte ihn den jüdischen Fontane. Aber mit seinen beiden Bestsellern "Jettchen Gebert" sowie "Henriette Jacoby" war er viel zu erfolgreich, um als wirklich bedeutsam zu gelten. Andererseits war er für einen Volksautor dann doch wieder zu intellektuell. Den Traditionalisten war er zu modern und den Modernen zu sehr Fontane, den Konservativen zu links und den Linken zu temperiert in seinem Kommunismus, den einen zu jüdisch, den anderen zu deutsch, nur die Nazis scherte das alles nicht, setzten ihn auf Liste der auszumerzenden Autoren und durchsuchten schon Anfang März ’33 seine Wohnung.

"Da ich bei den Idioten sowieso auf der schwarzen Liste stehe – "Eines schönen Tages wird die Schildkröte schon zuschnappen" – schrieben sie mir bereits zum sechzigsten Geburtstag im "Völkischen Beobachter" – so sagte ich mir, ich habe keine Lust, den Märtyrer zu spielen und ging, wie ich ging und stand nach Holland."
An die Tochter Hilde, 13.3.1933

Georg Hermann an seine Tochter Hilde, die früh nach Dänemark emigriert war. Den Krieg hatte er immer gehasst. Als der erste Weltkrieg ausbrach, war er 43. Keiner beschrieb so feinsinnig den gesellschaftlichen Umbruch von 1918. Ein leidenschaftlich engagierter Demokrat, aber nie ein Parteimensch. Er gehörte zu den Gründern des Schriftsteller-Schutzverbandes. Nur in einem hatte er sich gründlich getäuscht: dem antisemitischen Bodensatz in Deutschland.

"Also bis 1914 wusste man eigentlich kaum, dass man Jude war, oder erst in dritter Linie. Antisemitismus war da, lästig wie Mücken an einem Sommerabend; aber man scheuchte sie weg und fand es doch ganz schön draußen, weich und warm."
"Weltabschied", 1935

Als er ins holländische Exil geht, ist er 62. All seine Bücher sind geschrieben. Er ist schwer Zucker- und Herzkrank. Es gibt keine Zukunft mehr für ihn. Er schreibt seine Lebensbilanz mit dem Titel "Weltabschied". Ein Abschied von seinen Kindern.

"Kinder. Außer Euch habe ich niemand, von dem ich mich hier verabschieden musste; macht es gut."
"Weltabschied", 1935

Aber noch sind zehn Jahre im Exil zu überstehen.

"Mein geliebtes Mulleviechen, vielen Dank für Deinen Glückwunsch zu meinem 68."
An die Tochter Hilde, 10.10.1939

Hermann an seine Tochter, 1939.

"Jedenfalls kann ich Glück brauchen und wünschen tue ich mir eine Menge. Vor allem Geld, denn dank der herrlichen Zeiten bin ich vollkommen pleite und werde nächstens die größten Löcher ins Hungertuch nagen. Mit Arbeiten ging es bislang so, aber augenblicklich habe ich alle Lust eigentlich verloren. Dabei sitze ich an einer wichtigen Sache – so etwas, was geschrieben werden muss. Selbst wenn es nicht Literatur ist. Aber es ist grässlich, dass man so gar keine Resonanz mehr hat. Diese Dinge werden ja doch in der Welt von den Menschen, sowie es Sturm gibt, als überflüssiger Ballast zuerst über Bord geworfen."
An die Tochter Hilde, 10.10.1939

1943 wird Georg Hermann deportiert. Nach Auschwitz. Das Ziel wird er als schwerer Diabetiker wahrscheinlich nicht lebend erreicht haben. Verschollen und vergessen. Zwar lassen sich seine beiden Romane "Jettchen Gebert" und "Henriette Jacoby" auch heute noch in vielen Haushalten finden, aber bei dem Namen Georg Hermann zucken selbst Literaturexperten meist ratlos mit den Schultern. Anfang 2000 wurde eine hervorragende, längst überfällige Werkausgabe begonnen. Nie vollendet, wurde sie irgendwann billig verramscht, gegenwärtig erhält man Bücher von Georg Hermann nur noch antiquarisch.

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