Cyber-Überwachung

Erst spinnt das Handy, dann wird man überfallen

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Die Aufschrift "Your iPhone knows a lot about you. But we don't." steht auf einer Hauswand in Manhattan.
Das iPhone weiß mehr über uns, als uns lieb ist. Das weiß auch Apple und wirbt damit, unsere Privatsphäre besser zu schützen. Doch was bringt das? © picture alliance / Hauke-Christian Dittrich
Von Carsten Probst · 03.07.2021
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Das Recherchenetzwerk "Forensic Architecture" widmet sich dem Thema Cyber-Überwachung in einer Ausstellung in Berlin. Es zeigt, wie sich Staaten privater Firmen bedienen, um Personen der Zivilgesellschaft zu überwachen und teilweise zu terrorisieren.
Digitale Überwachung durch staatliche Stellen ist nichts Neues. Was in Deutschland als Bundestrojaner diskutiert wird, ist in anderer Konfiguration bereits als Überwachungssoftware unter dem Namen Pegasus im Einsatz. Sie wird von manchen Regierungen auch zur Überwachung von Personen der Zivilgesellschaft, Menschenrechtlern oder Regimekritikern genutzt. Hier über vage Verdachtsmomente hinauszukommen und tatsächlich eine Evidenz zu schaffen, erwies sich bislang als schwierig.
Deshalb hat sich das vor zehn Jahren am Londoner Goldsmiths College gegründete Recherchenetzwerk Forensic Architecture, das sich aus Künstlern und Wissenschaftlerinnen verschiedener Disziplinen zusammensetzt, mit anderen NGOs zusammengeschlossen – wie Amnesty International, Citizen Lab, Bellingcat –, um diese Recherchen durchzuführen. Diese Gruppe nennt sich "Investigative Commons" und versteht sich als Gegenöffentlichkeit gegen staatliche Desinformation, Menschenrechtsverletzungen und staatliche Gewalt.

Seltsame Handyprobleme und physische Gewalt

In Deutschland kennt man Forensic Architecture vermutlich vor allem wegen ihrer Untersuchungen zum Mordfall Halit Yozgat, der 2006 vom NSU erschossen wurde. Diese Recherche wurde auf der Kasseler documenta 14 gezeigt. Nun hat das Netzwerk seit 2021 auch ein Büro in Berlin, das sich "Forensis" nennt.
Shourideh Molavi aus der Recherchegruppe erklärt das Vorgehen: Zunächst seien alle Länder überprüft worden, aus denen es Berichte über den Einsatz der Pegasus-Software gegeben habe. Genannt werden zum Beispiel Saudi-Arabien, Marokko, die Vereinigten Arabischen Emirate, Mexiko, aber zum Beispiel auch Israel im Konflikt mit den Palästinensern. Dann wurde ein Cross-Check mit bestimmten politischen Ereignissen durchgeführt, vor allem aber mit Berichten von Betroffenen. Und da, so berichtet Shourideh Molavi, ergaben sich offenkundige Zusammenhänge:
"Alle, die irgendwelche merkwürdigen Erlebnisse mit dieser Software hatten: seltsame Dysfunktionen ihrer Smartphones, seltsame E-Mail-Anfragen, erlebten in einem gewissen zeitlichen Zusammenhang auch physische Gewalt, Hausdurchsuchungen, Belästigungen, Überfälle oder wie im Fall Jamal Khashoggi, des saudi-arabischen Journalisten, auch Mord."

Edward Snowden meldet sich zu Wort

Die NSO-Group ist ein israelisches Unternehmen, dessen Vorzeigeprodukt eben Pegasus ist, das den verschiedenen Staaten eigentlich im Kampf gegen Terror oder feindliche Staaten oder organisierte Kriminalität angeboten, de facto aber von gewissen Regimen systematisch gegen die Zivilgesellschaft eingesetzt wird, ergänzt der Gründer von Forensic Architecture, der Architekt Eyal Weizman.
Die NSO-Group ist ein Unternehmen, das seine Auftraggeber beim Militär oder bei den Geheimdiensten hat, um Cyberwaffen zu entwickeln, und das diese dann, wie ebenfalls durch die Recherchen belegt wurde, an andere Staaten verkauft, die normalerweise keine Handelsbeziehungen mit Israel unterhalten, vor allem nicht im militärischen Bereich.
Die Bedrohung durch einen solchen Export von Cyberüberwachungssystemen und diesen offenkundig wachsenden Wirtschaftszweig hat auch Edward Snowden veranlasst, sich erstmals in einer Echtzeitschalte bei dieser Präsentation aus seinem Moskauer Exil öffentlich zu Wort zu melden:
"Dieser Wirtschaftssektor und diese Technologie sind das Wichtigste für verdeckte Operationen. Es gibt zwar vereinzelte Berichte darüber, aber wir haben bisher noch nie vergleichbare Operationen gesehen, die Zugriff auf die globalen Netzwerke haben. Was hier von Unternehmen angeboten wird, sind Werkzeuge für den systematischen Datenraub, ein Spionagenetz, von dem wir alle abhängen."Insgesamt sind die Basisinformationen nicht neu, und wie immer bei Forensic Architecture werden die Untersuchungen auch aufwendig digital, filmisch und musikalisch orchestriert angeboten. Aber tatsächlich macht allein dieser Versuch, eine sichtbare Evidenz in einem vollkommen dunklen und spekulativen Bereich der Cyberspionage zu schaffen, die Bedrohung durch diese Netzwerke sehr real.

Das Projekt Digital Violence wurde im Rahmen der Ausstellung "Investigative Commons" im Haus der Kulturen der Welt in Berlin vorgestellt, die bis zum 8. August 2021 gezeigt wird.

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