"School of Resistance" in Berlin

Wie Kunst etwas verändern kann

06:27 Minuten
Milo Rau steht mit Megafon auf der Wiese vor dem Reichstag.
Milo Rau rief 2017 zum Sturm auf den Reichstag. Heute wirkt es, als sei die Aktion von Verschwörungstheoretikern gekapert worden. © imago / ipon
Von Dorothea Marcus · 26.02.2021
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Kann Kunst die Welt verbessern? Seit über 15 Jahren beschäftigt sich der Theatermacher Milo Rau mit dieser Frage. Seine Film- und Diskussionsreihe „School of Resistance“ in der Berliner Akademie der Künste will die Strategien des Widerstands lehren.
Berlin, November 2017. Gerade hat Milo Rau zum Sturm auf den Reichstag aufgerufen. 500 Menschen stürmen auf das Gebäude zu, um bildgewaltig zu markieren, dass sie etwas ändern wollen. In der Welt. In den global ausbeutenden Lieferketten. In der demokratischen Teilhabe.
Der "Sturm auf den Reichstag" von 2017 war inszeniert und bildete den Schlusspunkt eines dreitätigen "Weltparlaments", das Aktivisten aus der ganzen Welt versammelte, um global agierenden Firmen den Prozess zu machen.

Symbolische Institutionen

Im Jahr 2021, wenige Monate nach der Stürmung der Reichstagstreppen durch Coronaleugner, und nur wenige Wochen nach dem US-amerikanischen Sturm aufs Kapitol, hat Milo Raus symbolische Bilderschaffung von damals einen seltsamen Beigeschmack. Als sei sie von Populisten und rechten Verschwörungstheoretikern gekapert worden.
Der 17-minütige Film steht trotzdem am Beginn der "Schule des Widerstands" in der Berliner Akademie der Künste. Denn er erklärt einfach zu gut Milo Raus Vorgehensweise: mit Hilfe von Kunst symbolische Institutionen zu schaffen, die wirklich etwas verändern könnten. Etwa die Palmölindustrie verklagen für die Amazonas-Rodungen oder die Schweizer Firma Glencore für das Elend der kongolesischen Bauern: Quasi "Best Practice" für eine bessere Praxis.

Die Revoultion im Unbewussten

Sechs Filme werden an den vier Tagen gezeigt. Aber es soll um mehr gehen als um einen Rückblick auf Milo Raus Schaffen der letzten 15 Jahre, auch wenn das durchaus ein Grund sein könnte, zuzusehen. Etwa bei seinem legendär gewordenen Re-Enactement der Exekution der Ceaușescus: die letzte Stunde des Diktatorenpaares wird in einem Bühnenraum mit Schauspielern nachgestellt, vermeintlich exakt bis hin zu den vergilbten Vorhängen.
Und man sieht einen Milo Rau, 2009 studentenhaft jung, aber auch schon die extremen Reaktionen des Publikums im rumänischen Theater, denen sich die Erinnerung an die Revolution von 1989 tief ins Unbewusste gebrannt hat.

Exquisite Gesprächspartner

Wie Traumata mit Hilfe von Kunst bearbeitet werden kann, berichtet auch Eyal Weizman vom israelischen Künstlerkollektiv "Forensic Architecture".
In insgesamt 13 Gesprächsrunden hat die Akademie der Künste exquisite Gesprächspartner an den Tisch gebracht. Spannend, wenn Andres Veiel etwa erzählt, wie eine seiner wichtigsten politischen Aktionen 1987 mit kunstbegeisterten Gefängnisinsassen der JVA Berlin stattfand.
Oder wenn Thomas Ostermeier von der Berliner Schaubühne flammend appelliert:
"Als engagierter Künstler ist es wichtig, auf die Straße zu gehen. Wir haben einen Punkt in der Welt erreicht, wo wir auf der Straße sein müssen, nicht im Probenraum."

"Die Orthodoxen haben alle Ziele erreicht"

Sprengkraft in Bezug auf das heutige Putin-Russland erzeugt der Film "Die Moskauer Prozesse" von 2013: Nach Art eines Schauprozesses untersuchten Rechtsanwälte, Aktivisten und Vertreter der Orthodoxen Kirche, ob Künstlerinnen wie etwa Pussy Riot verurteilt werden dürften. Heute, so die Russland-Spezialistin Sandra Frimmel, sei so eine Inszenierung in Moskau nicht mehr möglich:
"Ich habe nie verstanden, wie Milo Rau es geschafft hat, diese Leute in einem Raum zu versammeln. Die Zeiten, in denen Künstler und Orthodoxe miteinander sprechen konnten, sind lange vorbei. Heute haben die Orthodoxen alle ihre Ziele erreicht. Sie können Kunst jederzeit zensieren, jedes religiöse Symbol ist verboten. Alles wird benutzt, um neue Gesetze einzuführen."

Einer schöner Film ist nicht genug

Heute, so Milo Rau, habe sich seine Strategie erweitert: nicht nur symbolisch agieren, sondern mit Hilfe der beteiligten Aktivisten in echte Aktionen gehen, sei es durch Crowdfunding oder die Unterstützung von lokalen Kinos durch seinen Film "Das neue Evangelium", der zum Abschluss am 28.2. noch gezeigt wird.
"Wir arbeiten mit der Kommune, mit Kirchen, mit aktivistischen Gruppen vor Ort zusammen, es ist ein langer Prozess. Es ist nicht genug, einen schönen Film zu machen, wir wollen damit ein Netzwerk kreieren – und mit jedem Film einen Stein in den See werfen", sagt Rau.

School of Resistance
Eine Film- und Diskussionsreihe
24. bis 28. Februar 2021
Akademie der Künste, Berlin

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