Covid-19-Forschung

Am Rechner nebenher die Welt retten

06:44 Minuten
Eine Illustration des Coronavirus
Bei der Erforschung des Coronavirus können wir Wissenschaftler unterstützen - mit Rechenleistung. © imago images / Chromorange
Von Friedemann Brenneis |
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Einen großen Teil der Zeit nutzen wir unseren Computer nicht wirklich. Das Projekt Folding@home bündelt die überschüssige Rechenpower von Freiwilligen, stellt sie Forschern zur Verfügung, um Krankheiten wie Covid-19 zu ergründen. Ein Selbstversuch.
Jetzt, genau in diesem Moment, während ich zu Hause an diesem Radiobeitrag schreibe, rette ich die Welt. Wobei – genau genommen bin es eigentlich weniger ich, der die Welt rettet, als vielmehr mein Laptop. Während ich diese Zeilen tippe, simuliert der nämlich im Hintergrund die "Nucleoprotein RNA bindind domain von SARS-CoV-2".
Was das genau bedeutet, verstehe ich ehrlich gesagt nicht. Muss ich aber auch nicht. Denn im Rahmen des Folding@home-Projekts " target="_blank" href="https://foldingathome.org/">Folding@home-Projekts Nummer 16404 stelle ich ja nur einen Teil meiner nicht benötigten Rechenleistung zur Verfügung. Diese und die von Tausenden anderen Rechnern weltweit braucht wiederum gerade der Biophysik-Doktorant Sukrit Singh am anderen Ende der Welt für seine Forschung. An der Washington University im US-amerikanischen St. Louis will er verstehen, wie das Coronavirus im Detail funktioniert.

Bisher ist der Preis eines Curecoins nicht der Rede wert

Das sagt mir zumindest ein kleines Infofeld in meinem Browser. Und auch, dass mein Rechner seine Teil-Aufgabe in diesem großen Unterfangen bereits zu 36 Prozent erledigt hat. Und dass ich 420 Punkte bekomme, wenn die Aufgabe in voraussichtlich fünf Stunden abgeschlossen sein wird.
Also habe ich noch ein bisschen Zeit, mich um meine Curecoin-Wallet zu kümmern. Die muss ich mir nämlich noch installieren, will ich für meinen Beitrag zur Covid-19-Forschung nicht einfach nur irgendwelche lustigen Punkte bekommen, sondern zusätzlich auch noch bares Geld! Das verspricht mir jedenfalls ein curecoin-begeisterter YouTuber.
"Curecoin ist ein Altcoin. Das bedeutet, dass du statt nur beliebiger Nummern jeden Tag tatsächlich auch in Curecoin ausbezahlt wirst. Je nachdem, wie viel Rechenleistung du bereitstellst. Einfach nur, indem du Proteine faltest und Teil des Curecoin-Teams wirst. So gewinnt jeder!"
Wobei, Curecoin als "Geld" zu bezeichnen, ist wohl doch etwas übertrieben. Man kann diese Kryptowährung zwar in echtes Geld, also Bitcoin, umtauschen. Allerdings nicht über eine der großen und etablierten Kryptowährungsbörsen im Netz. Stattdessen muss man dafür relativ unbekannten Webseiten vertrauen, bei denen man nie sicher sein kann, ob sie das Kryptogeld nicht bei der ersten Gelegenheit stehlen. Abgesehen davon ist der Preis mit rund fünf Cent pro Curecoin ohnehin aktuell kaum der Rede wert.
Andererseits: Wer den Cent nicht ehrt, ist den Euro nicht wert. Und außerdem stand der Curecoin im letzten großen Kryptowährungshype vor gut zwei Jahren ja auch schon einmal bei über einem Euro. Warum also sollte ich diese Chance liegen lassen? Das eigentlich Aufwendige, die Folding@home-Software, läuft ja ohnehin schon auf meinem Computer. Da ist nun noch eine Wallet runterzuladen und mich im Curecoin-Forum anzumelden, kein großer Mehraufwand. Vor allem, wenn man Curecoin weniger als echte Bezahlung, sondern vielmehr als eine Art Bonuspunkteprogramm betrachtet. So verstehe ich zumindest ein anderes YouTube-Video.
"Ich bin mir nicht ganz sicher, wann du bezahlt wirst und wieviel es sein wird, aber mit einer einfachen Google-Suche findest du online entsprechende Kalkulatoren, die dir ungefähr sagen, wieviel du hiermit – in Anführungszeichen – verdienen wirst."

Teil eines Teams sein und die Rangliste mit anführen

Das eigentlich Interessante am – in Anführungszeichen – Verdienen von Curecoins ist außerdem viel weniger, wie viele Coins man bekommt. Rein monetär betrachtet, als Versuch echtes digitales Geld zu erschaffen, spielt der Curecoin neben Bitcoin sowieso keine Rolle; ist eher eine harmlose technische und konzeptionelle Spielerei.
Gerade das macht ihn aber zu einem bemerkenswerten Beispiel für die Wirksamkeit eines auf direkter Belohnung basierendem Anreizsystems. Als schrobiger Altcoin, der letztlich nur dazu da ist, die Motivation zu erhöhen, dem Folding@home-Projekt Rechenleistung zur Verfügung zu stellen, ist er nämlich außerordentlich erfolgreich.
Entsprechend des Gamifizierungsansatzes bei Folding@home bekommt man für seine Rechenleistung nicht nur Punkte, sondern kann sich auch in Teams zusammenschließen und sich so direkt in einer Tabelle miteinander messen. Seit rund 20 Jahren läuft dieser Wettbewerb nun schon. Erst 2013 dazugestoßen, führt das Team "Curecoin" die Folding@home-Rangliste mittlerweile mit bemerkenswertem Abstand an.
Als einziges Team haben die Curecoiner bereits mehr als eine Billion Punkte sammeln können. Das ist mehr als die Teams auf Platz zwei bis vier zusammen.
"Und an dieser Stelle endet unser Video. Während du mit folding@home eine – in Anführungszeichen – Kryptowährung minest, lassen wir das jetzt einfach laufen und schließlich wirst irgendwann auch du die ersten Transaktions reintröpfeln sehen."

Reich wird man nicht, dafür hilft man der Forschung

Und tatsächlich sind mittlerweile auch bei mir die ersten Curecoins angekommen. Zwei Wochen habe ich meinen Laptop nun schon nebenbei Proteine falten lassen und dafür insgesamt mehr als 10.000 Punkte bekommen. Nun bin ich stolzer Besitzer von 0,267 Curecoins im Wert von ziemlich genau einem Cent.
Das ist deutlich weniger, als ich erwartet habe, letztlich aber auch nicht überraschend. Denn während die Anzahl der zu verteilenden Curecoins begrenzt ist, ist die Rechenleistung des Folding@home-Netzwerks seit Beginn der Coronakrise rasant angestiegen.
Fast eine halbe Million Teilnehmer sind allein in den vergangenen Wochen neu dazugestoßen. Dadurch ist die Leistung, mit der nun SARS-CoV-2-Proteine gefaltet werden können, größer als die der sieben stärksten Supercomputer der Welt zusammengenommen.
Was mir neben ein paar Bruchteilen einer skurrilen Kryptowährung am Ende also bleibt, ist damit zumindest die Gewissheit, Teil eines großen und wichtigen Projektes zu sein. Einfach nur, indem ich zu Hause am Rechner sitze und nebenbei ein bisschen Strom und Rechenleistung spende.
Und ganz ehrlich: Wenn es so leicht ist mitzuhelfen, die Welt zu retten, dann ist es für mich auch vollkommen in Ordnung, damit nicht auch noch reich zu werden.
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