Coronapandemie

Impfstoffpatente müssen ausgesetzt werden

04:03 Minuten
Illustration einer Spritze die die Welt in Form eines Coronavirus impft.
Viele Länder gehen beim Bemühen um Impfstoff leer aus. Das kritisiert die politische Referentin Elisabeth Massute. © imago / Marcus Butt
Ein Kommentar von Elisabeth Massute · 17.06.2021
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Während die Corona-Bedrohung in reichen Ländern abnimmt, bleibt der Impfstoff weltweit knapp. Nur eine Aussetzung der Patente kann die Impfstoffproduktion weltweit ausweiten und so die Pandemie stoppen, meint Elisabeth Massute von Ärzte ohne Grenzen.
In der Covid-19-Pandemie befinden wir uns alle im gleichen Sturm. Aber wir sitzen nicht im gleichen Boot. In vielen reichen Ländern gibt es jetzt Hoffnung auf ein Ende der Pandemie, viele Maßnahmen werden gelockert, auch bei uns in Deutschland. Doch in vielen ärmeren Ländern steigen die Infektionen gerade wieder an. Die Bilder aus Indien sind uns noch im Kopf. Dort herrscht eine humanitäre Katastrophe. Aber auch in Peru und Südafrika nimmt Covid-19 wieder zu, und das Gesundheitswesen steht vor dem Kollaps.

Ärmere Länder haben kaum Impfstoff erhalten

Weltweit sind bis heute so viele Impfdosen verabreicht worden, dass es auch für das Gesundheitspersonal und die Risikogruppen in ärmeren Ländern gereicht hätte, berichtet die WHO. Aber: Der allergrößte Teil der Impfstoffe wurde an reichere Länder geliefert. In ärmeren Ländern kam nur ein Prozent an.
Warum ist das so? Es gab einmal einen Plan, den Impfstoff gerecht zu verteilen. Doch der ist schon im Frühsommer 2020 gescheitert. Die USA, die EU und andere haben entschieden, jeder für sich Impfstoffe einzukaufen. Der Markt wurde also von einigen wenigen geleert. Zugleich gab es quasi eine künstliche Verknappung der Impfstoffe durch die Hersteller. Sie haben die Patente und das Know-how nicht freigegeben. Damit haben sie verhindert, dass so schnell wie möglich so viele Fabriken wie möglich weltweit Impfstoff produzieren können.

Die Gesellschaft hat Corona-Forschung finanziert

Das internationale Handelsrecht sieht für den Fall einer Pandemie explizit die Möglichkeit vor, Patente auszusetzen. Über einhundert Staaten und sogar die USA unterstützen diesen Vorschlag. Doch die Europäische Kommission und die deutsche Regierung blockieren ihn, wahrscheinlich auch um die Interessen ihrer heimischen Pharmaindustrie zu schützen. Stattdessen will man jetzt Zwangslizenzen erlassen. Doch Zwangslizenzen dauern sehr lange, denn jedes Land muss dafür einzeln mit den Herstellern verhandeln, für jedes Mittel einzeln. Das wird sehr viel Zeit kosten in einer Situation, in der jeder Tag zählt. Zwangslizenzen sind nicht für Pandemiezeiten gedacht und sie sind dafür auch völlig ungeeignet.
Die Gegnerinnen und Gegner einer Patentfreigabe argumentieren, dass die Unternehmen ihre Entwicklungskosten wieder reinholen müssen. Doch die Covid-19-Impfstoffe wurden mit Milliarden Euro Steuergeldern gefördert. Wir alle haben das bezahlt. Im Jahr 2018, also zwei Jahre vor Covid-19, stammte nicht einmal ein Prozent der Forschungsgelder für Coronaviren von Unternehmen. Selbst bei den Erregern, die eine Pandemie auslösen können, waren es weniger als zehn Prozent privater Gelder.
Auch in den reichen Ländern hat also vor allem die Gesellschaft die Forschung zu Covid-19 bezahlt. Deshalb müssen nun auch die Impfstoffe, Medikamente und andere Materialien allen zur Verfügung stehen. Das sieht übrigens auch das Europäische Parlament so: Es hat in der vergangenen Woche einen Beschluss verabschiedet, der den Vorschlag unterstützt, die Patente auszusetzen. Die EU muss sich jetzt an dieses Votum ihrer Volksvertreterinnen und Volksvertreter halten. Sonst wird Europa in die Geschichte eingehen als der Kontinent, der ein schnelleres Ende der Pandemie verhindert hat, nur um für einige wenige Firmen noch höhere Gewinne zu sichern.

Zwangslizenzen sind keine Lösung

Die Weltgemeinschaft hat das Wissen, um diese Pandemie zu stoppen. Jetzt braucht sie auch den Willen. Zwangslizenzen sind keine Lösung in einer Pandemie. Nur eine Aussetzung der Patente, verbunden mit einem umfassenden Transfer von Know-how von Technologien, kann den Weg frei machen, um die Produktion von Impfstoffen weltweit auszuweiten.

Elisabeth Massute ist politische Referentin in der Medikamentenkampagne von Ärzte ohne Grenzen. Schwerpunkt ihrer Arbeit ist der gerechte und bezahlbare Zugang zu lebenswichtigen Arzneimitteln für Menschen weltweit.

© Jannette Kneisel
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