Konzertbranche nach Corona

Superstars laufen, Clubs leiden

11:43 Minuten
Personen stehen an Stehtischen vor der Bühne im Konzertsaal und warten auf ihre Impfung. Auf der Bühne legt ein DJ Musik auf. Im Konzertsaal des "Capitol" werden vom frühen Abend bis Mitternacht und das gesamte Wochenende Impfungen gegen das Corona-Virus angeboten.
Während Corona standen Konzertsäle leer und wurden in Impfzentren umfunktioniert. Jetzt gibt es wieder Konzerte, gerade in Clubs sind sie aber oft schlecht besucht. © picture alliance / dpa / Michael Matthey
Berthold Seliger im Gespräch mit Vladimir Balzer · 02.11.2022
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Auch ohne Coronabeschränkungen bleiben viele Konzertsäle leer. Superstars füllen zwar weiter die Hallen, sagt Konzertveranstalter Berthold Seliger. Er sieht aber die kleinen Veranstalter bedroht - und damit die unabhängige Musikkultur als Ganzes.
Für Konzertveranstalter Berthold Seliger bedeutet Corona nicht automatisch eine Krise für die Konzertbranche. Ihm zufolge gibt es auch Konzerte, die "wie Bombe" laufen. "Riesen-Probleme" gebe es vor allem bei den Clubs mit kleineren Konzerten.
Diese Bandbreite erlebe er auch in seiner eigenen Konzertagentur: "Ich habe eine supererfolgreiche Patti-Smith-Tour im Sommer gehabt, mit Rekordzahlen für Deutschland. Zwei Monate später bei einer Tour mit der Band 'Der Mann' waren die Clubs weitgehend leer."

"Die 30 bis 60-Jährigen gehen nicht aus"

Das "Superstar-Geschäft" und die Clubkultur hätten sich aber auch vor Corona schon auseinanderentwickelt, meint Seliger. Ausschlaggebend für den Konzertbesuch sei auch das Alter des Publikums.
"Konzerte, auf die die unter 30-Jährigen hingehen, laufen wie verrückt. Die jungen Menschen freuen sich, nach zwei Jahren Pandemie wieder feiern zu gehen", erklärt Seliger. Auch Bob Dylan sei nach wie vor ausverkauft: "Die über 60-Jährigen besuchen ihre Heroen von Bob Dylan bis Rolling Stones."
Patti Smith während eines Konzerts auf der Bühne.
Superstars wie Patti Smith haben nach Corona nicht weniger Publikum. Im Gegenteil, sagt Konzertveranstalter Berthold Seliger.© picture alliance / dpa / CTK / Michal Kamaryt
Das Problem liege für die Konzertveranstalter bei den 30- bis 60-Jährigen: "Dieser Teil der Leute geht nicht aus." Das könne, so Seliger, einerseits mit Corona-Ängsten und andererseits auch mit der wirtschaftlichen Situation zu tun haben.
Er beobachte aber auch, so Seliger, "dass die Künstlerinnen und Künstler, die durch Personality oder eine besondere Show etwas Einzigartiges darstellen, weiter ein treues Publikum haben."

Überangebot an Konzerten

Dadurch, dass dieses Jahr die Konzerte von drei Jahren nachgeholt würden, gebe es außerdem ein "dramatisches Überangebot", erläutert Seliger. Deshalb würden auch Zusatz-Tourneen nicht mehr funktionieren, zuletzt so geschehen bei Tocotronic. Die Band habe ihre Zusatztour verschieben müssen.
Alles in allem habe Corona der Konzertbranche extrem geschadet, fasst Seliger zusammen. Die Leute hätten sich isoliert und zurückgezogen. Heute seien die Restaurants voll, aber die Clubs weniger besucht: "Ich glaube, da macht sich auch ein Mentalitätswandel deutlich."
Bei den deutschen Bands gibt es Seliger zufolge eine verhängnisvolle Entwicklung, und zwar deshalb, "weil die staatlichen Förderungen an Produktivität gebunden waren." Man habe also auf Tournee gehen oder einen neuen Tonträger veröffentlichen müssen, um das Geld zu erhalten, erklärt Seliger. Durch diese künstlich hergestellte Produktivität sei der Markt geflutet worden. "Das trägt auch nicht zur Qualität der Musik bei."

Eine "Katastrophe für die unabhängige Musikkultur"

"Eigentlich finde ich es furchtbar, wenn wir als Konzertbranche nach dem Staat rufen", räumt Seliger ein: "Aber in der jetzigen Notsituation bleibt uns gar nichts anderes übrig." Doch der Staat müsse zielgenau unterstützen, betont der Konzertveranstalter: Die Hilfe müsse an die kleinen, unabhängigen Veranstalter und weniger bekannte Musikerinnen und Musiker gehen, meint er.
"Die Superstars werden weiter funktionieren, Großkonzerne weiter ihre Geschäfte machen", sagt Seliger. "CTS Eventim ist ein riesiger Corona-Gewinner. Die haben im letzten Jahr einen Gewinn von 208 Millionen Euro gemacht."
Probleme in der Konzertbranche haben Seliger zufolge dagegen die kleinen Clubs, wo Künstler ihre Karrieren aufbauen könnten. "Da muss subventioniert werden, die Strukturen und die Institutionen", fordert der 62-Jährige.

Düstere Aussichten

Jetzt im Herbst und Winter machten die Konzertveranstalter ein drastisch reduziertes Programm, auch vor dem nächsten Sommer stehe ein großes Fragezeichen: "Die Ticketpreise steigen, die Festivals werden teurer."
Im Clubbereich steigen zudem die Kosten für Energie und Personal. "Da können wir die Tickets eigentlich nicht mehr unter 40 Euro anbieten. Das wird der Markt nicht hergeben", befürchtet Seliger. Wenn die Politik da nicht gegensteuere, drohten die Strukturen kaputt zu gehen und das wäre, so Seliger, "eine Katastrophe für die unabhängige Musikkultur".
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