Schelmenroman

Täglich eine Dosis

Ein zusammengerollter Geldschein neben zwei Linien Kokain
"Endlich Kokain" ist ein typischer Lottmann-Schelmen-und Trottelroman © picture alliance / Romain Fellens
Von Gerrit Bartels · 27.05.2014
"Endlich Kokain" heißt der neue Roman Joachim Lottmanns, der von der Fangemeinde ungeduldig erwartet wurde. Am besten wie im Rausch in einem Zug zu lesen, dann ist der Spaß am allergrößten, meint unser Rezensent.
Wer Joachim Lottmanns letzten, 2011 veröffentlichten Roman "100 Tage Alkohol" gelesen hat, dürfte seinen neuen, inzwischen neunten Roman "Endlich Kokain" mit einer gewissen Skepsis in die Hand nehmen. Denn von Alkohol war in "100 Tage Alkohol" nur wenig die Rede - von wegen Drogenroman - , stattdessen von Lottmanns nicht ganz unkompliziertem und nicht ganz freiwilligem Umzug von Berlin nach Wien.
Dass "Endlich Kokain" nun nicht auch so eine Produktenttäuschung wird. Dass das Sprüchlein "Es kommen Drogen, Sex und Abenteuer" hinten auf dem Cover nicht nur Mogelspeck zum Fangen gieriger Drogenmäuse und süchtiger Lottmann-Leseratten ist.
Doch es kann Entwarnung gegeben werden: Lottmann hat dieses Mal einen echten Drogenroman geschrieben; einen, auf dem wirklich auf fast jeder Seite gekokst wird, weil der übergewichtige Held Stephan Braum, seines Zeichens frühpensionierter ORF-Redakteur, nach ersten, für ihn ganz neuen Erfahrungen mit Kokain täglich seine Dosis nimmt: erst aus wissenschaftlichen und diätetischen Gründen, dann wegen der Frauen und der gewachsenen Attraktivität (Gewichtsabnahme!), und nicht zuletzt natürlich wegen der sich unweigerlich einstellenden Abhängigkeit.
Braum fühlt sich von Tag zu Tag besser, lernt junge, verwirrte Frauen wie Doreen und Xenia kennen, hat endlich Sex - und wird dazu nach und nach eine große Nummer im Wiener und später Berliner Kunstbetrieb. Erst als Schützling des großen, an Martin Kippenberger erinnernden Malers Hölzl, dann als dessen Nachlassverwalter, da Hölzl drogenbedingt ins Koma fällt und unzählige unfertige Bilder auf ihre Verwertung durch Braum warten.
Schön lustig und quatschig
Braum ist ein typischer Lottmann-Schelm, "Endlich Kokain" ein typischer Lottmann-Schelmen-und Trottelroman. Diese Fassade erlaubt es dem fast 60-jährigen Lottmann, zum einen sexistisch und politisch inkorrekt zu sein, aber immer mit gebotener Spießigkeit, zum anderen aber auch schön lustig und quatschig vor sich hinzufabulieren.
Natürlich erwähnt Lottmann Pitigrilli ("Kokain"), M. Agejew ("Roman mit Kokain") und Jörg Fauser ("Rohstoff"), soviel Tradition muss sein, aber auch zu Goethes "Dichtung und Wahrheit" und "Werther" setzt sein Held sich in Beziehung, soviel Popzitat darf sein. Und ob in Wien, Paris oder am Ende in Berlin: Überall tauchen Figuren auf, die man aus dem echten Leben zu kennen meint, von Diedrich Diederichsen über Lottmanns Bruder Eckhart (hier: Manfred Braum) bis hin zu dem Berliner Eigen&Art-Galeristen Harry Lybke (hier: Harry Schmeling), von Sven Lager über Helene Hegemann bis hin zu Boris Becker. Und klar, irgendwann steht auch Rainald Goetz irgendwo mit Block und Stift herum.
Lottmann versteht es, Tempo zu machen und seinen zunehmend süchtiger werdenden Helden gar eine Entwicklung zu einem immer größeren Durchgeknalltsein durchlaufen zu lassen - und locker über viele Klischees und manche Redundanz hinwegzutäuschen. Ein Schreib- und Erzählhändchen aber hat er, das muss man Lottmann lassen. Am besten ist es, "Endlich Kokain" wie im Rausch in einem Zug zu lesen, dann ist der Spaß am allergrößten. Sonst könnte man leicht auf den Gedanken kommen, schon bessere Drogenromane und Kunstbetriebssatiren gelesen zu haben.
Joachim Lottmann: Endlich Kokain
Kiepenheuer & Witsch, Köln 2014
251 Seiten, 9,99 Euro
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