Corey Robin: "Der reaktionäre Geist"

Das Buch, das Trump vorhergesagt hat?

Der US-Präsident Donald Trump bei einer Rede, daneben das Cover des Buchs "Der reaktionäre Geist" von Corey Robin.
Manche meinen, das Buch von Cory Robin sei prophetisch gewesen mit Blick auf die Präsidentschaft von Donald Trump. © picture alliance / dpa
Von Florian Felix Weyh · 03.11.2018
Bereits vor fünf Jahren skizzierte Corey Robin in seinem Buch "Der reaktionäre Geist" das Bild von Konservativen, die auf perfide Weise alles dem Machterhalt unterordnen. Jetzt ist das Buch – um ein Trump-Kapitel erweitert – auf Deutsch erschienen.
"Das Buch, das Trump vorhergesagt hat", prangt fett auf dem Buchumschlag. Doch das Zitat aus dem "New Yorker" führt in die Irre, denn das 2013 erstmals erschienene Buch prophezeite keinen Donald Trump. Es lässt sich lediglich im Nachhinein als Begründung für Trumps scheinbar zwangsläufigen Aufstieg lesen. Nach dessen Wahl fügte der Autor 2017 ein Schlusskapitel über Trump hinzu, um den Bogen zu runden, der im Wesentlichen aus einer zentralen Diagnose besteht: "Konservatismus bedeutet vor allem eins: Die Erfahrung, Macht zu haben, diese Macht bedroht zu sehen und sie behalten oder zurückgewinnen zu wollen. (…) Die theoretische Überformung dieses Lebensgefühls macht den Kern dieser politischen Ideologie aus."
Das bezieht sich natürlich auf den Urknall der Französischen Revolution, das Schöpfungsmoment der Konservatismus. Er stellt bei Robin eine reine Gegenreaktion auf den Machtverlust des Ancien Régime dar und will letztlich immer wieder zu den alten Verhältnissen zurück. In der Folge wehrten sich Konservative gegen Freiheit für alle und verwarfen das Gleichheitspostulat – bei der Abschaffung der Sklaverei wie beim Kampf für Frauen-, Arbeiter- und Bürgerrechte.

Warum wählen Arbeiter rechts und nicht links?

Wieso sie mit diesen Positionen im demokratischen System oft genügend Wähler fanden und finden, erklärt Corey Robin ebenfalls mit dem Machtpostulat: Ein Arbeiter wählt konservativ, weil ihm diese Ideologie seinen Status als Herrscher in der Familie weiterhin garantiert: "Der Konservative verteidigt nicht die überkommene Herrschaft an sich, er macht sich überall zum Fürsprecher überkommener Herrschaftsformen: in der Familie, in der Fabrik oder in bäuerlichen Strukturen. Dort ist es ganz gewöhnlichen Männern und manchmal auch Frauen möglich, die Rolle kleiner Herrscher und Herrscherinnen einzunehmen und ihre Untergeben so zu kontrollieren, als würden alle auf einem Gutshof leben."
Ein solche Gesellschaft lehnt der Autor ab, der sich – ohne den Namen je zu nennen – eher mit der Habermas'schen Idealgesellschaft des herrschaftsfreien Diskurses identifizieren kann. In ihr gibt es per definitionem einen derartigen Machtkonservatismus nicht mehr, weil sich Hierarchien durch Vernunft und Dialog bestimmen.

Verkürzter Blick mit schrägen Hitler-Parallelen

So interessant das klingt, so verkürzt kommt Robins Sicht auf den Konservatismus daher. Es wirkt reichlich tollkühn, wenn der Autor alles in einen Topf wirft und sich dazu auch noch offensiv bekennt:
"Die Wörter konservativ, reaktionär und konterrevolutionär benutze ich synonym. Zwar sind Konterrevolutionäre nicht notwendig konservativ, (...) doch alle Konservativen sind in der einen oder anderen Weise konterrevolutionär. Philosophen, Staatsmänner, Sklavenhalter, Schreiberlinge, Katholiken, Faschisten, Evangelikale, Geschäftsleute, Rassisten und Opportunisten sitzen bei mir alle am selben Tisch."
Auf deutsche Verhältnisse gemünzt, säßen Armin Laschet und Björn Höcke im selben Boot, und rechts neben Höcke wäre noch Platz frei. An einer Stelle lässt der Autor den deutschen Leser dann ob seiner historischen Ungerührtheit zusammenzucken: Nonchalant parallelisiert er den Aufstieg Hitlers mit dem Durchmarsch Trumps. Hier dient Hitler als bloße Illustration für Trumps Schlechtigkeit.
Robins Überlegungen lassen sich in der linksliberalen Binnendiskussion amerikanischer Intellektueller verorten und richten sich nicht an Europäer. Doch ohne Bezug zu Europa funktioniert das Buch nicht. Fast alle intellektuellen Stichwortgeber waren Europäer, von Thomes Hobbes über Joseph de Maistre und Edmund Burke bis zu Nietzsche oder Carl Schmitt. Auch die in den USA eminent einflussreiche "Österreichische Schule der Nationalökonomie" mit Hayek und Mises war europäisch.

Die feinen Unterschiede interessieren Corey nicht

Trotzdem ist der Umgang des US-Publizisten mit diesem hochkomplexen Feld typisch amerikanisch: Während hierzulande allerfeinste Differenzierungen zwischen den Beteiligten ausgelotet würden, bezeichnet Robin all diese Autoren als "konterrevolutionär" im Sinne seine Grundprämisse des Machterhalts führender Schichten. Was sie voneinander trennt, interessiert ihn nicht.
Da das Buch eine Sammlung von Essays ist und kein stringenter Text, bleiben außer dem stetig betonten roten Faden wenige Erkentnisse übrig. Leider zählt Corey Robin auch nicht zu den eleganten Essayisten, sondern zeigt sich als schwerfälliger Schreiber mit einer Vorliebe für lange Zitate, zwischen denen seine eigene Argumentationslinie leicht verlorengeht; in einem Fall zitiert er einen halbseitigen Text von Edmund Burke gleich zweimal innerhalb eines Kapitels.
Am Ende gehen interessante Passagen und Gedanken unter. Auffallend für den Konservatismus ist zum Beispiel, dass etliche seiner originellsten Denker selbst gar nicht ins konservative Gesellschaftsraster passen. Seltsamerweise gelingt es dieser eigentlich so konformistischen politischen Richtung, dennoch Außenseiter – meist Aufsteiger – anzulocken und an ihre Sache zu binden. Und dass eine Ideologie, die sich vom Machtbesitz her definiert, auch niemals befriedet werden kann, sondern vom Krieg fasziniert bleibt und letztlich auch die Ökonomie als Kampfdisziplin begreift, erklärt Corey Robin zwar plausibel. Doch es fällt schwer, ihm dabei zu folgen.

Corey Robin: Der reaktionäre Geist
Von den Anfängen bis Donald Trump
344 Seiten, 25 Euro
Ch. Links Verlag