Constanze Kleis über den Sonntag

"Brandbeschleuniger für die Familienhölle"

09:08 Minuten
Farb-Foto einer Familie. Zu sehen sind sieben Familienmitglieder verschiedenen Alterns, die an einem gedeckten Tisch sitzen, auf dem ein knuspriger Braten steht. Das Foto ist alt und leicht unscharf.
„Endlich hat man einmal Zeit, geht spazieren, steht herum, sucht mit seiner Gattin Streit, und bringt sie und alle um“, dichtete Erich Kästner. © Unsplash / discovering-film
Moderation: Frank Meyer · 21.06.2019
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"Das Schreckliche am Sonntag ist wahrscheinlich für viele, dass man sich nicht aus dem Weg gehen kann", sagt die Autorin Constanze Kleis, die ein Buch über diesen Tag geschrieben hat. Sie sieht aber nicht nur die dunklen Seiten - und lobt den Sonntagsbraten.
Frank Meyer: Die Journalistin und Autorin Constanze Kleis hat mit "Sonntag! Alles über den Tag, der aus der Reihe tanzt" ein ganzes Buch über den Sonntag geschrieben, eine große Verteidigungsschrift für diesen gesetzlichen Ruhetag. Mutigerweise schaut sie aber auch auf die dunklen Seiten des Sonntags, zum Beispiel mit diesem Sonntagsgedicht von Erich Kästner: "Endlich hat man einmal Zeit, geht spazieren, steht herum, sucht mit seiner Gattin Streit, und bringt sie und alle um."
Oh, wie schrecklich Sonntage sein können, darüber schreiben Sie, Frau Kleis, auch, mit diesem Gedicht von Erich Kästner unter anderem. Was kann denn alles schrecklich sein am Sonntag?
Kleis: Das Schreckliche am Sonntag ist wahrscheinlich für viele Leute, dass man sich nicht aus dem Weg gehen kann so wie im Rest der Woche. Für mich als Kind war der Sonntag immer ziemlich schrecklich und sehr langweilig, weil man damals noch nicht rausgehen durfte zum Spielen, weil man sich schicke Klamotten anziehen musste, weil man zu Ausflügen genötigt wurde, die man freiwillig nicht gemacht hätte.

Der Sonntagsbraten war früher ein kleiner Horror

Meyer: Und auf der anderen Seite wollen Sie jetzt aber den Sonntag retten mit diesem Buch. "Der Sonntag ist der letzte wahre Superheld" schreiben Sie sogar. Warum ist denn der Sonntag ein Superheld?
Kleis: Im Prinzip auch aus all den genannten Gründen, weil alle diese Rituale da ja einen sehr, sehr guten Kern haben. Zum Beispiel der Sonntagsbraten war ja früher auch so ein kleines bisschen Horror, so ein Exerzierplatz schwarzer Pädagogik. Aber er ist auch diese Idee, dass man einmal die Woche Fleisch isst und dann ein sehr gutes Stück Fleisch und dass das auch vollkommen reicht. Dann die Sache mit dem Sonntagsstaat, ein gutes Kleid, das ein bisschen teurer sein darf, das man hegt und pflegt, anstatt irgendwie fünf Tüten mit Billigklamotten, die unsere Müllberge immer nur noch weiter wachsen lassen.

Die Fortsetzung einer ganz langen Geschichte

Meyer: Für den Sonntagsbraten haben Sie auch - also für das negative Image aus der Vergangenheit - die schöne Formulierung: "Es kann ein Brandbeschleuniger für die Familienhölle sein, der Sonntagsbraten." Wie halten Sie es denn heute mit dem Sonntagsbraten?
Kleis: Ich habe sozusagen die Sonntagsbraten-Verantwortung für meine Mutter übernommen, die vor einigen Jahren gestorben ist. Ich fahre also wirklich jeden Sonntag zu meinem Vater, der hier im Umland wohnt, mit meinem Mann zusammen. Da mache ich ein kurz gebratenes Fleisch – leider bin ich nicht so eine gute Köchin, wie meine Mutter, aber ich gebe mir Mühe. Dann sitzen wir noch zusammen. Mein Vater war Bäcker und backt immer noch leidenschaftlich gerne. Er hat dann meistens einen Kuchen gemacht, den essen wir noch zusammen, und so zelebrieren wir auch ein bisschen Familienleben und auch Tradition. Das ist ja sozusagen die Fortsetzung von einer ganz langen Geschichte, auch einer eigenen Familiengeschichte.
Meyer: Also Sie halten das Ritual dieses sonntäglichen Treffens, Familie kommt zusammen, isst zusammen, verbringt Zeit zusammen?
Kleis: Ja.
Meyer: Halten Sie richtig hoch?
Kleis: Ja, ich finde, das ist ganz wichtig, und es ist auch sozusagen … Also das ist, glaube ich, so einer der großen Produktvorteile des Sonntages, dass er die Menschen wieder zusammenbringt. Also es muss nicht Familie sein, auch Beziehungen, Freunde und so weiter. Also am Sonntag kommen wir zu anderem und zu anderen. Das ist so die Grundidee, die mir besonders gut gefällt am Sonntag.

Von Versuchen, den Sonntag abzuschaffen

Meyer: Jetzt wandern Sie in Ihrem Buch durch ganz viele Aspekte dieses besonderen Tages. Also Sie erzählen dann von eigenen Erfahrungen, von Ritualen, eben diesem Sonntagsbraten zum Beispiel. Sie erzählen auch von Versuchen, den Sonntag abzuschaffen. Das gab es in der Französischen Revolution, und dann gab es das wieder in der Sowjetunion unter Stalin. Wenn wir da mal draufschauen, was sollte denn da in der Sowjetunion an die Stelle des Sonntags treten?
Kleis: Also man hat eine Art Arbeitsschichtplan geschaffen, einen Fünf-Ta… Also man hat die arbeitende Bevölkerung in fünf Gruppen geteilt, die jeweils an fünf Tagen versetzt arbeiten sollten, und dann hat man auch schon zwar einen freien Tag gehabt, aber nicht alle hatten den gleichen freien Tag, was zu sehr großen Verwerfungen geführt hat. Also die Produktion hat sich überhaupt nicht gesteigert, nicht so, wie Stalin sich das vorgestellt hatte. Die Geburtenrate ging zurück, weil man ja nicht mal mehr Zeit fand, sich zu paaren, also auf einen Termin zur Paarung zu einigen.
Meyer: Tatsächlich, so tiefe Auswirkungen.
Kleis: Ja, genau. Lenin hatte mal gesagt, das, was die Revolution mal erobert hätte, würde sie niemals wieder zurückgeben können oder wollen. Das hat sich dann nicht bewahrheitet beim Sonntag, der war zählebiger. Also 1931 hat Stalin ein bisschen abgesoftet, und 1940 war dann auch Schluss mit dem Sonntag-Abschaffen.
Meyer: Bei uns fordert, soweit ich weiß, niemand offiziell, den Sonntag abzuschaffen, aber dann doch seinen Kern auszuhöhlen, also zumindest die, die finden, man sollte jetzt am Sonntag auch frei und ungehemmt konsumieren können. Sie zitieren dafür unter anderem den FDP-Chef Christian Lindner für diese Forderung. Das sind jetzt ganz und gar nicht Ihre Freunde, oder, die den Sonntag für den Konsum freigeben wollen?
Kleis: Wenn man den Sonntag für den Konsum freigibt, gibt man den Sonntag frei, weil diese Idee, dass ja dann nur die Verkäuferin arbeitet, halte ich auch für ein bisschen naiv, denn arbeitet erst einmal die eine Bevölkerungsgruppe, arbeiten auch bald die anderen. Dann ist es, finde ich, ein wahnsinnig verkürzter Blick auf den Sonntag. Also gerade die Beschäftigung jetzt für das Buch hat mir noch mal gezeigt, wie unfasslich viele Facetten, schöne Facetten in diesem Tag stecken, und wenn wir das einfach nur auf diesen Punkt reduzieren, dass man nicht einkaufen darf, dann wäre es ungefähr so, als würden wir uns nur über Goethes kurze Beine unterhalten und nicht über sein Werk. Dann ist es so, dass es ja schon Erfahrungen gibt mit der Abschaffung der Ladenschließzeiten am Sonntag. Das hat man in Polen versucht, in Italien, da wird es gerade rückgängig gemacht, weil sich auch gezeigt hat, dass diese Idee, dass mehr konsumiert werden würde, sich nicht bewahrheitet hat. Man kann einen Euro eben auch nur einmal ausgeben.

Der Schutz des Sonntags steht im Grundgesetz

Meyer: Und Sie gehen in Ihrem Buch auch zurück zu den Quellen sozusagen, wo kommt der Sonntag eigentlich her, was mir auch nicht mehr bewusst war. Darüber schreiben Sie, dass die Quelle für den Sonntag bei den zehn Geboten in der Bibel ja ganz weit vorne steht, schon an dritter Stelle, du sollst den Tag des Herrn heiligen. Man kann bei Ihnen auch nachlesen, wie der Sonntag bei uns im Grundgesetz verankert wird. Da heißt es sinngemäß, der Sonntag bleibt als Tag der seelischen Erhebung geschützt. Finden Sie das noch zeitgemäß, der Sonntag als Tag der seelischen Erhebung?
Kleis: Ich finde, das eröffnet ein ganz breites Spektrum, ob man jetzt seine Seele erhebt beim Fußball, selber spielen oder zuschauen oder bei einem guten Buch lesen oder beim Ausflug mit der Familie. Das Wesentliche ist ja am Sonntag, dass er die Gelegenheit gibt, rauszukommen, auch aus der Tretmühle, aus den Zwängen, aus diesem engen Korsett, in dem wir manchmal stecken, weil wir arbeiten gehen, weil wir anderweitig Verpflichtungen haben, auch aus diesem Korsett des Konsumierens. Dieser gesetzlich geschützte Feiertag ist aber jetzt nicht geschützt worden, weil wir jetzt Gelegenheit haben sollten, in den Gottesdienst zu gehen. Das können wir natürlich auch gerne machen. Es ist einfach im Rahmen von Arbeitsschutzmaßnahmen so festgelegt worden 1919 in der Weimarer Verfassung und später dann auch in der Bundesrepublik Deutschland.
Meyer: Was mir auch gefällt an Ihrem Buch, ist Ihr Blick für das, sagen wir mal, sehr besondere Detail. Zu Ihren Sonntagserfahrungen gehört auch ein Mann, der Ihnen mal mit einer Schürze entgegenkam mit einem großen Stoffpenis dran, so richtig dreidimensional in Überlebensgröße. In welchem Sonntagszusammenhang ist Ihnen denn das passiert?
Kleis: Ja, das ist sozusagen die erweiterte Version des Vereinslebens. Mein Mann hat sich sehr lange hier im Fußballverein engagiert, und zu diesem Vereinsleben gehören natürlich auch Grillfeste, Sommerfeste. Es gibt ja immer was zu feiern. Anlässlich eines dieser Grillfeste hatte das eine Vereinsmitglied, kann man schon sagen, die Grillwürstchen...
Meyer: In dem Zusammenhang interessant, ja!
Kleis: ... genau, unter sich, und da habe ich mal diese Schürze des Grauens gesehen. Ich wusste gar nicht, dass es sowas überhaupt auf dem Markt gibt. Ja, der Sonntag eröffnet einem auch da ganz neue Perspektiven.

Aber auch kein Sonntagsdogma

Meyer: Da würde ich jetzt zum Schluss gerne mal noch was kontrollieren: Sie sind ja eine große Verteidigerin der Sonntagsruhe, überhaupt des Sonntags. Wir haben jetzt schon gehört, dass Sie in der Küche durchaus einiges zu tun haben am Sonntag mit der modernen Interpretation des Sonntagsbratens. Wie haben Sie es sonst zum Beispiel am vergangenen Sonntag mit dem Arbeiten gehalten?
Kleis: Ich muss gestehen, dass ich relativ häufig auch am Sonntag arbeite, aber das ist natürlich ein anderes Arbeiten als unter der Woche, weil, A, werde ich nicht angerufen, also es gibt keine Ansprache, es gibt keine Verpflichtung zu arbeiten, ich kann das ganz freiwillig machen, ich mache es auch gerne, weil das unter anderen Koordinaten stattfindet. Ich arbeite natürlich nicht den ganzen Tag, sondern nur so viel wie ich mag, und ich habe eine ganz andere Ruhe auch für bestimmte Sachen. Also das finde ich ganz schön. Ich tue das nicht jeden Sonntag, aber es ist jetzt nicht so ein ganz arbeitsfreier Sonntag für mich.
Meyer: Wie schön, dass Sie auch keine Sonntagsdogmatikerin sind!
Kleis: Nein, auf keinen Fall!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandfunk Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.

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