Constantin Schreiber: "Die Kandidatin". Roman
Hoffmann & Campe, 208 Seiten, 22 Euro
Katja Bauer, Maria Fiedler: "Die Methode AfD. Der Kampf der Rechten: Im Parlament, auf der Straße – und gegen sich selbst"
Klett-Cotta, 336 Seiten, 20 Euro
"Eine Gesellschaft ohne politische Mitte"
40:01 Minuten
Deutschland in der Zukunft: Eine muslimische Politikerin kämpft um das Kanzleramt, militante Rechte wollen sie beseitigen. Mit dem Roman „Die Kandidatin“ entwirft Constantin Schreiber ein Szenario, das heutige Debatten in eine düstere Welt von morgen weitertreibt.
Ein Wahlkampf der Extreme tobt in Deutschland: Es gibt rechtsextreme Netzwerke, die Linken sind in ihrem Kampf gegen Diskriminierung weit übers Ziel hinausgeschossen, es gibt eine muslimische Kandidatin für das Amt der Bundeskanzlerin. Gegen sie kämpft eine Rechtspartei namens ZfD "Zukunft für Deutschland". Wie weit schaut der Autor des Romans "Die Kandidatin" – den manche Rezensenten mit "Unterwerfung" von Michel Houellebecq vergleichen – in der Entwicklung der Deutschen Gesellschaft voraus? Vier Jahre, acht Jahre?
"Der Roman ist in einem zeitlosen zukünftigen Raum", sagt Constantin Schreiber, "das habe ich bewusst so angelegt, also ich habe an keiner Stelle wirklich gesagt: Das ist in dem und dem Jahr angesiedelt. Es ist ein fiktionaler Raum, der bestimmte Elemente an Zuspitzung und Polarisierung, die ich jetzt schon beobachte, noch mal weiterdreht.
Es geht gar nicht so sehr um den Zeitstrahl an sich, sondern darum, was passiert, wenn wir alle als Gesellschaft bei bestimmten überhitzten Debatten vielleicht nicht irgendwann gegensteuern, sondern diese Zuspitzung immer weiter zunimmt. Stichwort: Die Rechten werden immer rechter und die Linken sind immer mehr in ihrer eigenen Blase verhaftet – was passiert dann mit unserem Land?"
Das globale Panorama hat sich in Schreibers Roman verdüstert: China besetzt Taiwan, die EU liegt in Trümmern, in Berlin gibt es eine Erdogan-Schule und in Deutschland "überall Gewalt, Eskalation und Hass", wie es im ersten Kapitel heißt. Das grundsätzliche Problem in diesem Szenario sei, dass es gar keine unpolitische Mitte der Gesellschaft mehr gibt, sagt Schreiber. Man müsse sich in dieser Zukunft in allen Lebensbereichen zuordnen, ob man rechts oder links ist:
"Selbst wenn man es nicht bewusst macht, werden die Social-Media-Aktivitäten durch Algorithmen analysiert, um zu gucken, welchem politischen Lager man angehört. Es verlangt auch zu bestimmten Themen eine bedingungslose Anhängerschaft. Wenn man links sein will, muss man eine ganz klare Haltung haben zu Quotenregelungen, Immobilienpolitik, Einwanderungspolitik. Es findet kein Dialog mehr statt, es findet innerhalb der jeweiligen Extreme keine Diskussion statt, sondern es ist eine reine Lagerhaltung, die aber auch dazu führt, dass einige sich nur durch Gewalt ausdrücken können, weil sie in dem politischen Rahmen, der noch möglich ist, sich nicht artikulieren können."
Geschicktes Spiel mit Schlagworten
Von dieser Spaltung profitiert in Schreibers Roman die Politikerin Sabah Hussein, die als Kanzlerkandidatin der Ökologischen Partei aufgestellt ist und gute Chancen auf den Wahlsieg hat. "Sie geht sehr geschickt damit um, dass sie Menschen, die sich gegen Rechts positionieren, mit bestimmten Schlagworten hinter sich versammeln kann", sagt der Autor.
"Stichwort sensible Sprache und Gender: Aufgrund ihrer konservativen muslimischen religiösen Haltung ist sie nicht davon überzeugt, dass es drei Geschlechter gibt oder diverse Menschen – aber sie weiß, dass sie das nach außen verkaufen muss. Sie ist taktisch sehr klug und versteht es, die Knöpfe in dieser aufgeheizten Stimmung so zu drücken, dass sie ihr nützen."
Das Deutschland der Zukunft werde weitaus vielfältiger als heute sein, und da bringe Sabah Hussein durch ihre Person sehr viel mit, was "einen ganz großen Teil der Bevölkerung letztlich abholt", meint Schreiber.
Was bei der Radikalisierung der Linken passiert, hat in "Die Kandidatin" recht drastische Konsequenzen: 15 Prozent der Angestellten eines Unternehmens müssen homosexuell sein, es gibt eine Mindestquote für Hijab tragende Frauen, Bewerber sexueller Minderheiten dürfen nicht abgelehnt werden und Menschen ab 70 haben kein Wahlrecht mehr. "Das finde ich nicht so fernliegend", sagt Schreiber. "Das sind ja schon Debatten, die wir in der Realität und in der Gegenwart auch haben. Man muss sich nur in Berlin die Diskussion um eine Migrantenquote für die öffentliche Verwaltung anschauen."
Die satirische Überspitzung in seinem Roman habe auch irreale Züge, etwa Vermerke im Personalausweis, aber es geht Constantin Schreiber darum, die Zuordnung von Personen aufgrund von Schubladen und Kategorien zu problematisieren.
Der Albtraum der AfD wird wahr
Teile des Szenarios aus "Die Kandidatin" könnten auch aus dem Albtraum eines AfD-Anhängers stammen, sagt die Journalistin Maria Fiedler. Sie hat gemeinsam mit Katja Bauer das investigative Buch "Die Methode AfD" veröffentlicht. Die AfD verbreite die Verschwörungstheorie einer angeblichen "Umvolkung" und des "großen Austausches", also dass irgendwann die Weißen in Deutschland in der Minderheit sein würden und dass die Regierung dies strategisch vorantreibe.
"Dahinter stehen Ängste vor einer 'Überfremdung', aber eben auch davor, bestimmte Privilegien und eine Dominanz in der Gesellschaft zu verlieren", analysiert Fiedler. "Solche auf die Spitze getriebenen Quoten beispielsweise für Migranten würde die AfD total furchtbar finden."
Aber man müsse gar nicht in eine dystopische Zukunft schauen wie in Schreibers Roman: "Die AfD findet ja schon die Realität schlimm genug. Die gesellschaftlichen Veränderungen, die nach 1968 stattgefunden haben, würde sie am liebsten rückgängig machen. Die AfD will zurück in eine Vergangenheit, die es nie gegeben hat." Und die Partei tue so, als ob wir uns in Deutschland in einer "Diktatur" befänden, in einer "DDR 2.0", gegen die man "Widerstand" leisten müsse.
Stigmatisierung einer Grünen-Politikerin
Fiedlers Ko-Autorin Katja Bauer betont gegenüber der Fiktion in Schreibers Roman die "dauernde Stigmatisierung" einer realen Politikerin: Die AfD attackiere von Anfang an die erste deutsche Landtagspräsidentin mit Migrationshintergrund, Muhterem Aras in Baden-Württemberg, die den Grünen angehört.
Die AfD-Abgeordnete Christina Baum habe gesagt, dass Frau Aras' Wahl zur Landtagspräsidentin ein Beweis für die "Islamisierung des Abendlandes" sei, berichtet Bauer. Der inzwischen ausgeschlossene antisemitische AfD-Abgeordnete Wolfgang Gedeon habe ihr zugerufen, so könne sie "ein Parlament in Anatolien führen". Bei einer Reise zu NS-Gedenkstätten sei ihr von einem AfD-Politiker vorgeworfen worden, sie nutze dies für "ihre Migranten-Image-Agenda". Außerdem erfahre Muhterem Aras als erste Nicht-Christin in diesem Amt – wie viele andere Menschen ihrer Herkunft – sehr viel Hass.
Eine Landtagspräsidentin sei ein Verfassungsorgan – und auch das sei eine Strategie der AfD, die Institutionen des Staates verächtlich zu machen und das Vertrauen in die staatlichen Organe zu untergraben, sagt Bauer. "Man versucht, diesen Staat zu delegitimieren."
Der Hass und die Polarisierung rechts wie links besorgt Constantin Schreiber. Seine Prognose ist pessimistisch: "Wir sehen jetzt schon, wie unglaublich getriggert manche sind. (...) Wir haben ja schon rechtsextreme Anschläge auf Politiker gehabt, auch da muss man sagen, nicht auf die einflussreichsten im Land.
Diese Menschen, die so ein Gedankengut haben, werden nicht verschwinden. Wenn wir Glück haben, ziehen sie sich zurück. Aber es gibt eine relativ hohe Wahrscheinlichkeit, dass Leute sagen: 'Das will ich in meinem Land nicht, dagegen gehe ich nicht nur mit meiner Wahlstimme vor.' Da brodelt dann die kriminelle Energie hoch."
(cre)