Cohen und Kathedrale

Von Gerald Beyrodt |
Bald ist wieder Urlaubszeit, und viele Ehen stehen vor einer Zerreißprobe. Denn es droht die Frage: Sehenswürdigkeiten ja oder nein? Eine Glosse klärt auf: über männliche Kulturmuffel, weibliche Freskomanie und schließlich über den praktischen Sinn von jüdischer Priesternachkommenschaft.
Männer und Kultur, das geht meist nicht gut. Sagen Sie jetzt nicht, das sei ein Klischee. Beobachten Sie Paare im Urlaub, und Sie stellen fest: Die Ehe ist eine Klischeebestätigungsanstalt auf vier Beinen.

Schnell einen Blick auf die Mona Lisa werfen - das halten Männer noch aus, wenn es hinterher drei Bier und aufmunternde Worte der Angetrauten gibt: "Hast du toll gemacht, Karlheinz." Außerdem können Männer Sehenswürdigkeiten ertragen, wenn sie dozieren und sich dabei wichtig fühlen dürfen, wenn sie den Faltenwurf von Statuetten, die Bedeutung von Fresken und die Entstehungszeit der Qumran-Rollen erklären dürfen. Doch es überwiegt die männliche Ungeduld: "Wie viele sixtinische Madonnen denn noch?" Die Angetraute kennt kein Erbarmen und zwingt ihn munter weiter zu den Sehenswürdigkeiten.
Lange haben Männer gegrübelt, wie sie sich zur Wehr setzen können. Nur nützen die weltberühmten männlichen Migräneattacken vor dem Museum leider gar nichts, weil die Gattin sie noch vom letzten Jahr kennt. Jüdische Männer haben herausgefunden, wie man Schluss macht mit Kirchen, Kapellen und Kathedralen. Die ultimative Ausrede lautet: "Schatz, ich bin Cohen." Ja Cohen, so wie Leonard Cohen. Cohen bedeutet übersetzt: Priester.

Für die Priester im Jerusalemer Tempel galten viele Verbote. Beispielsweise durften sie nicht mit Toten in Berührung kommen. Der Tempel ist zwar seit knapp zweitausend Jahren zerstört, und es gibt keine Priester mehr im Judentum, aber das ist für unser Problem gleichgültig. Auch die Nachkommen der Cohanim dürfen nicht an Orte gehen, wo Menschen begraben sind. Und das, Jungs, ist in fast jeder Kathedrale der Fall: irgendein Fürstengrab von Heinrich dem Allerletzten oder eine Reliquie vom Heiligen Sankt Bimbam gibt es immer.

Das heißt: aus die Maus, Schluss mit Fresken und Friesen, Schluss Gotik und Romanik, Schluss mit goldgetäfelten Altären. Leider ist nicht jeder, der mit Nachnamen Cohen oder Kohn heißt, ein Nachkomme der Priester. Diese Information sollten Männer tunlichst für sich behalten. Für sie ist viel wichtiger: Auch wer nicht Cohen heißt, kann Nachkomme der Priester sein.

Eine cohanitische Abkunft kann einem ganz schnell vor der Kathedralentür mal einfallen. Wirklich nachprüfbar ist das auf die Schnelle nicht. Während sie drinnen wie gebannt auf die Deckenmalerei stiert, sucht er draußen notgedrungen ein Lokal auf - die Zeit will überbrückt sein. In der Kneipe muss dann gar nicht alles so furchtbar koscher sein. Man will es nicht übertreiben mit der Religion.
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