Claire Thomas: "Die Feuer"

Ein Theaterstück wie das Leben

Das Cover des Romans "Die Feuer" von Claire Thomas
© Hanser Verlag

Claire Thomas

Aus dem Englischen von Eva Bonné

Die FeuerHanser, München 2022

256 Seiten

23,00 Euro

Von Manuela Reichart |
Sie entstammen drei unterschiedlichen Generationen und haben doch ähnliche Ängste und Sorgen: Drei Frauen kommen bei der australischen Autorin Claire Thomas über einem Theaterstück von Samuel Beckett ins Nachdenken.
Auf dem Spielplan des Melbourne Theater steht Samuel Becketts „Glückliche Tage“. Jenes Stück aus dem Jahr 1960, in dem eine „etwa 50-jährige, gut erhaltene Blondine“ in einem Erdhügel sitzt und über das Leben und den Tod, ihren Ehemann und das Wetter räsoniert.
Inszeniert hat hier eine junge Regisseurin, die nicht zuletzt auf Umweltverschmutzung und Klimakatastrophe aufmerksam machen will. Im Zuschauerraum eine ältere, kurz vor der Pensionierung stehende Professorin, die unter ehelicher Gewalt leidet, ihre ehemalige Lieblingsstudentin, die eine reiche Mäzenin geworden ist, und eine junge Platzanweiserin, die sich um ihre Geliebte sorgt.

Eine Mutter, die keine sein wollte

Die drei Frauen beziehen auf höchst unterschiedliche Weise Winnies Monolog auf das eigene Leben, auf ihre Erinnerungen und Sorgen, ihre Hoffnungen und Enttäuschungen. Die rationale Literaturprofessorin Margot versteckt die blauen Flecke, die ihr dementer Mann ihr zufügt. Sie denkt über das gestörte Verhältnis zu ihrem Sohn und seiner Familie nach, darüber, dass sie ebenso wenig gern Großmutter ist, wie ihr die Mutterrolle gefiel:
„Ich war nicht gern mit Adam allein, als er ein Baby war, denkt Margot. Ich habe mich bemüht, aber es gefiel mir nicht. Ich fühlte mich, als würde ich eine Rolle spielen. Ich habe seinen Kinderwagen über die Betonwege der Nachbarn geschoben und mir gewünscht, ein Schild würde mich als die Person ausweisen, die ich vorher gewesen war, BC, beforechild.“

Eine Lieblingsstudentin und eine Platzanweiserin

Margots reiche, mittlerweile 40 Jahre alte ehemalige Studentin kann sich dagegen nicht genug an ihrem kleinen Sohn erfreuen. Ihr erstes Kind war den plötzlichen Kindstod gestorben. Die Trauer und das Trauma hat sie nicht überwunden.
Die zufällige Begegnung mit ihrer alten Professorin lässt die Zeit ihrer Schüchternheit und Geldnot lebendig werden. Sie erinnert sich an eine Pilgerreise zu Becketts Haus. Keinen anderen Schriftsteller hat sie so verehrt.
Die dritte Protagonistin ist eine junge dunkelhäutige Platzanweiserin, die es hasst, als Nachfahrin von Ureinwohnern gesehen zu werden. Sie hat mit der Geschichte der Aborigines nichts zu tun. Ihre weiße Mutter hat sie allein groß gezogen, jede Auskunft über den Vater verweigert.

In den Bergen wütet das Feuer

Sie hat aber ihre große Liebe gefunden: eine selbstbewusste junge Tätowierkünstlerin. Die ist in die Berge aufgebrochen, wo ein horrendes Buschfeuer Haus und Leben ihrer Eltern bedroht. Die Jüngste des Trios, von dem hier erzählt wird, hat Albtraumvorstellungen und ist als Schauspielschülerin gebannt vom Stück:
„Während der Aufführung schließt sie immer wieder die Augen und achtet nur auf Winnies Stimme und ihre Worte. Auf den Rhythmus. Das Echo. Sie ist überzeugt, nie ein vielschichtigeres Stück gesehen zu haben.“

Klarsichtiger Blick auf drei Frauen

Der australischen Autorin, die selbst in Melbourne lebt, gelingt es, drei weibliche Biografien mit all ihren Ängsten und Erinnerungen lebendig werden zu lassen. Der Bezug zu Becketts Monolog wirkt keinen Augenblick bemüht, wenn etwa Winnie über ihren Mann sagt, der sei ein wunderbarer Schläfer.
Dann denkt die Literaturprofessorin an ihre qualvollen schlaflosen Nächte an der Seite ihres Mannes. Oder wenn es immer wieder heißt: „Darf nicht klagen.“ Das könnte als Lebensmotto auch über diesen weiblichen Biografien stehen.
Becketts Monolog verstärkt den klarsichtigen Blick auf die drei Frauen, die auf je altersunterschiedene Weise von denselben Fragen geplagt sind: Was hat das Leben aus mir gemacht, was hat es mir noch zu bieten und was hat es mit mir vor? Die Autorin gibt keine Antworten, lässt uns stattdessen teilhaben am Geschehen auf der Bühne und dem in den Köpfen der Protagonistinnen.
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