Cittaslow in Mecklenburg

Der Zukunft entgegenschleichen

07:04 Minuten
Ansicht der Alten Burg Penzlin und umliegender Wiesen an einem sonnigen Sommertag.
Entschleunigtes Penzlin: Seit sechs Jahren gehört die 4000-Einwohner-Stadt zum Cittaslow-Netzwerk. © Picture Alliance / dpa - Report / Hans Wiedl
Von Silke Hasselmann · 17.10.2019
Audio herunterladen
Bauernmärkte statt Discounter, Stadtfeste ohne Wegwerfgeschirr: Penzlin in Mecklenburg, Mitglied im Cittaslow-Netzwerk, setzt auf Umweltschutz, Regionalität und Entschleunigung. Das passt zum grünem Zeitgeist – und will doch nicht politisch sein.
Oktober – die hohe Zeit der Herbst-, Apfel-, Kürbis- oder Bauernmärkte. Auch die Durchfahrt von Klein Lukow ist an einem dieser Wochenenden für sechs Stunden gesperrt, denn auf rund einhundert Metern der einzigen Dorfstraße findet der "Penzliner-Land-Markt" statt. Schlagermusik dröhnt aus den Lautsprecherboxen. Kinder toben um einen knatternden Kleintraktor herum. Die einen bieten Gartenobst, Marmeladen und Säfte feil, andere gebrauchtes Spielzeug, Bücher, Handwerksarbeiten. Auf den ersten Blick ein Markt wie viele andere. Doch dieser hier, sagt Miterfinder und Organisator Fritz Krüger, sei besonders:
"Da Penzlin ja Mitglied der Cittaslow-Gemeinden ist seit einigen Jahren, haben wir uns gedacht, dass wir etwas machen müssen, was diesem Gedanken eigentlich entspricht. Da kamen wir auf die Idee mit diesem Markt hier, und unser Anspruch ist immer noch, dass wir durch die Ortsteile gehen. Wir wollen keinen Ramschmarkt oder Trödelmarkt, sondern wollen einen Markt haben, wo sich die Leute mit ihren kreativen Angeboten darstellen können. Wir wollen wirklich, dass die Leute aus der Region zeigen, was sie können, sich aufs traditionelle Handwerk berufen. Und das ist ja alles etwas, was im Cittaslow-Gedanken drin ist."

Eine Idee aus Italien

"Città" ist italienisch und heißt "Stadt". "Slow" kommt aus dem Englischen und bedeutet "langsam". Am 15. Oktober 1999 nahm die Idee des damaligen toskanischen Bürgermeisters Paolo Saturini Gestalt an, den Kampf gegen den Verlust von Esskultur durch immer mehr Schnellimbissketten in den Städten zu erweitern. Mit anderen Bürgermeistern damaliger Slow-Food-Städte in Italien gründete Saturini das Netzwerk Cittaslow.
Man wolle sich, so hieß es, "nicht länger damit zufrieden geben, dass sich die als gesichtslose Ballungsräume gebauten Städte alle ähneln und es keine Rolle mehr spielt, in welcher wir leben". Es gehe darum, die "Bedeutung historischer Stadtkerne zu entdecken, die sozialen Beziehungen der Bewohner neu zu gestalten, wieder auf heimische Produkte zurückzugreifen". 2001 nahm das Städtenetzwerk die erste von heute 21 deutschen Gemeinden auf. Wie es für das mecklenburgische Penzlin begann, erklärt Stadtrat Mirko Meinhart:
"Wie kommen wir zu Cittaslow? Nun, der Ortsteil Marihn war schon 2007 der 'Internationalen Gemeinschaft lebenswerter Städte' beigetreten. Als einzige ostdeutsche Kommune, müssen Sie wissen. Dann hat es eine Fusion gegeben. Die Gemeinde Marihn ist eingemeindet worden in die Stadt Penzlin, und dann hat sich die Stadt als Gesamtheit noch einmal um dieses Label bemüht."

"Wir sind strikt unpolitisch"

Seit sechs Jahren gehört Penzlin zum Cittaslow-Netzwerk, so wie ca. 240 weitere Städte und Gemeinden aus aller Welt. Auf den jährlichen Frühjahrs- und Herbsttagungen beschäftige man sich mit Nachhaltigkeit, Heimatverbundenheit, dem Schutz der Umwelt. Und das schon immer und politisch unabhängig, betont Mirko Meinhart.
"Zum Beispiel die Initiative aus Maikammer, die ging gerade durch die Presse, es zu untersagen, Schotter in Vorgärten auszubringen. Dass man sagt: 'Nein, das wollen wir nicht! Blühen soll es. Insekten sollen sich wohlfühlen.' Oder auch: Wir haben viele Weinbaugemeinden mit dabei, die eben auf Glyphosat verzichten. Was man aber auch sagen muss: Wir sind strikt unpolitisch. Wir lassen uns nicht vereinnahmen, auch wenn sich der Zeitgeist möglicherweise in die eine oder andere Richtung neigt, und da brauchen wir auch keine öko-fundamentale Belehrung von sonst irgendjemandem."

Entschleunigt, nicht behäbig

Übrigens: Dass ausgerechnet in der ohnehin dünn besiedelten und wenig hektischen Mecklenburgischen Seenplatte eine Gemeinde betont "entschleunigt" ticken will, bedeute natürlich nicht, dass die Bürgerdienste behäbig arbeiten, versichert Verwaltungschef Meinhart. Cittaslow und Penzlin – das heiße vielmehr historische Burg und Johann-Heinrich-Voß-Museum für den Sohn der Stadt und späteren "Homer"-Übesetzer. Es bedeute Stadtfeste ohne Wegwerfgeschirr, die Erweiterung des Stadtwaldes und – na klar – den "Penzliner-Land-Markt" im Oktober.
Zwei Penzliner Stadträte stehen auf einem Herbstfest vor einer orangefarbenen Schnecke aus Pappmaché.
Die Penzliner Stadträte Fritz Krüger und Mirko Meinhart sehen in der Schnecke ein gelungenes Maskottchen für Cittaslow.© Silke Hasselmann
Diesmal also im Gemeindeteil Klein Lukow, und Mirko Reinhart und Fritz Krüger sorgten dafür, dass auch sie wieder dabei ist: die riesige Schnecke aus Pappmaché, sonnenblumengelb und mit angedeuteten Städten auf ihrem Gehäuse. Zwei junge Paare mit Kinderwagen bleiben davor stehen. Hübsch, aber keine Ahnung, was sie bedeuten soll, sagt Anne Papenbroock.
"Wo steht die sonst? Tja, ich sehe die zum ersten Mal." Ihr Begleiter vermutet: "Die Schnecke würde mir vielleicht sagen 'langsames Internet im ländlichen Raum'". "Okay. Schneckentempo - ja. Okay."
Stadtrat Mirko Meinhart klärt auf: "Die Schnecke als Symbol dafür auch des Langsamen, aber nicht des Trägen. Sondern sich durch Hektik nicht beeindrucken Lassende, die immer ihr Häuschen dabei hat. Die sich selbst schützt sozusagen. Das war eben die Idee hinter dem Schneckensymbol: entschleunigte Stadt."

Traditionen und die Region stärken

Fritz Krüger ergänzt: "Die kam aus Italien und sie wollten das Leben entschleunigen. Sich auf Traditionen berufen. Regionale Akteure mit ins Bild bringen. Das ist Cittaslow. Das ist der Gedanke, der eigentlich auch hinter diesem Markt steht."
"Erkennen Sie das ein bisschen wieder, indem Sie sagen: 'Ja, also entschleunigtes Leben – das haben wir hier in Penzlin?'"
Anne Papenbroock: "Ja, das haben wir wirklich. Also im angenehmen Sinne, die Ruhe. Obwohl es eine Stadt ist, ist es trotzdem Dorf-Feeling, muss ich sagen." So sieht es auch dieser junge Mann: "Man hat alles vor Ort. Einkaufsläden und so. Passt schon. Also ich fühle mich wohl."
"Genau. Hier gehe ich raus einkaufen, treffe viele Leute, die ich kenne. Wir halten einen kleinen Small Talk. Ich brauche gefühlt ewig, aber es macht trotzdem Spaß."
Die Idee scheint angekommen zu sein, auch wenn sie noch überall nicht bekannt ist. Mirko Meinhart ist zuversichtlich: "Ja, wir hoffen, dass es noch besser durchdringt." Fritz Krüger nimmt es mit Humor: "Wir haben auch noch gut zu tun, dass diese Idee sich weiter fortpflanzt und weiter ins Bewusstsein der Leute rückt. Es geht um Umwelt, es geht um Landwirtschaft und alles Traditionelle möglichst. Das schaffen wir schon noch, dass wir das immer weitertragen. Es geht nur – wie bei einer Schnecke – etwas zu langsam."
Mehr zum Thema