Chronische Abstoßungsreaktion

Wenn ein Gesichtstransplantat sich vom Körper löst

Die US-Amerikanerin Charla Nash, aufgenommen am 21.3.2012: Nach der Attacke eines Schimpansen erhielt sie im Jahr 2010 eine komplette Gesichtstransplantation.
Die US-Amerikanerin Charla Nash: Nach der Attacke eines Schimpansen erhielt sie eine komplette Gesichtstransplantation. © imago / ZUMA Press
Von Peter Kaiser · 21.07.2016
Vor fünf Jahren wurden Charla Nash beim Angriff eines Schimpansen Augenlider, Nase, Lippen und Hände abgerissen. Sie erhielt eine totale Gesichtstransplantation, die dritte ihrer Art in den USA überhaupt. Nun stößt ihr Körper das Gesicht immer mehr ab – ein weltweit einmaliger Fall.
Die ersten Gesichtstransplantationen begannen 2005 mit der Verpflanzung von Nasen, Kinn, Lippen und Wangen. Im Dezember 2008 wagte die Chirurgin Maria Simionow an der Cleveland Clinic in Ohio zum ersten Mal die Transplantation eines fast ganzen Gesichtes. Sie verpflanzte 80 Prozent des Gesichtes. Maria Simionow sagte damals zu dem Eingriff:
"Die Techniken sind bekannt, und sie werden täglich eingesetzt. Sie beinhalten das Ernten der Haut als Hauptkomponente. Es geht nicht darum, das Gesicht von jemandem zu nehmen und es auf einen anderen drauf zu setzen. Wir reden über die Hautummantelung, über Hauttransplantation."

Transplantation als lebenslange Last

Wenn es heißt, etwa 40 Menschen würden weltweit das Gesicht von Toten derzeit tragen, so stimmt diese Aussage nur bedingt. Da die Kopfform eines jeden Menschen immer individuell ist, lässt sich ein Gesicht nicht eins zu eins übertragen. Das alte Gesicht wird sich über den neuen Knochen neu fügen, mehr oder weniger stark. Einerseits ist diese Transplantation ein medizinischer Triumph, andererseits für den Empfänger auch eine lebenslange Last.
Denn was immer man transplantiert - ein Herz, Nieren, Hände, Haut, oder eben Gesichter - in allen Fällen reagiert der Empfängerkörper sofort. Er will das Spendergewebe wieder loswerden, sagt Jan-Dirk Raguse, leitender Oberarzt an der Klinik für Mund-, Kiefer- und Gesichtschirurgie der Berliner Charité:
"Wir sprechen einmal von einer akuten Abstoßungsreaktion, die relativ dramatisch und schnell verläuft. Aber relativ gut behandelt werden kann."

Medikamente unterdrücken die Immunabwehr

Alle Transplantationspatienten müssen lebenslang sogenannte Immunsuppressiva einnehmen, also Mittel, die die Immunabwehr des Patientenkörpers gegenüber dem Spendergewebe unterdrücken. Doch nicht immer wirken die Medikamente.
"Zusätzlich gibt es noch chronische Abstoßungsreaktionen, und diese treten schleichend auf. Hier kommt es mehr oder weniger dazu, dass der Körper das Transplantat nicht wirklich abstößt, sondern dass es zu langsamen Umbauvorgängen im Transplantat kommt. Grade innerhalb der kleinen Gefäße, der Muskulatur, was eben zur Folge hat, dass das Transplantat nicht abfällt, wie man sich das jetzt so vorstellen würde, sondern ganz einfach langsam vernarbt und funktionsunfähig wird."
Genau das ist jetzt bei Charla Nash geschehen, einer Amerikanerin aus Connecticut, deren Gesicht und Hände bei einem Schimpansenangriff schwer verletzt wurden. Vor fünf Jahren bekam die heute 62-jährige neue Hände und ein neues Gesicht. Jetzt stößt ihr Körper das Gesicht langsam wieder ab. Das heißt konkret, das Gesicht wird immer starrer.
"Das Organ verliert dann irgendwann wieder seine Funktion, quasi wieder dahin, wo es angefangen hat. Zur absoluten Unbeweglichkeit, und zur Starre, zur Vernarbung, dass das ganze Gewebe derb und hart wird."

Erhöhte Gefahr von Tumorbildung

Das Problem ist nicht die Transplantation an sich. Das Problem sind die Immunsuppressiva nach der Transplantation, meint Bodo Hoffmeister, Leiter der Klinik für Mund-, Kiefer- und Gesichtschirurgie der Berliner Charité:
"Die Patienten müssen lebenslang Medikamente zu sich nehmen, die im Prinzip ihr Immunsystem, zwar nicht so ganz stark wie früher, aber dennoch unterdrücken. Und über die Jahrzehnte, es handelt sich häufig um jüngere Patienten, denen man solche Immunsuppressiva verabreicht, da wissen wir eigentlich auch noch nicht, was nach 30, 40 Jahren da passiert."
Das ist das Dilemma. Zwar können die Ärzte den Patienten technisch helfen, hinsichtlich der Abstoßungsreaktionen stehen sie relativ ratlos da. Denn es geht nicht nur darum, dass der Körper die neue Hand, das Herz, das Gesicht wieder abstößt. Das Problem ist vielschichtiger.
"Wir wissen dass diese Patienten unter der immunsuppressiven Therapie ein zwei- bis vierfaches höheres Risiko haben Tumore zu entwickeln. Diese Tumore sind häufig Hauttumore, das ist bei allen Organtransplantierten so, und das bedeutet, dass diese Patienten dann eine entsprechende Chemotherapie erhalten müssen. Und das hat zur Konsequenz, dass gegebenenfalls für die Zeit der Chemotherapie, die immunsuppressive Therapie vielleicht heruntergefahren werden muss. Das ist wiederum ein Risiko, dass eine chronische Abstoßungsreaktion da ihren Anfang nimmt."

Unvorstellbare Leiden der Patienten

Charla Nash sagte in einem Interview, dass sie das Absetzen der Immunsuppressiva, das Teil eines US-Militär-Experiments war, wiederholen würde. Denn die Erkenntnisse, die die Ärzte an ihrem Fall gewinnen, helfen womöglich anderen Menschen in einer ähnlichen Situation. Deren Leiden, so die Cleveland-Ärztin Maria Simionow, sind kaum vorstellbar:
"Wir reden über die Patienten, die entstellt sind, weil sie wirklich sehr schwere Verbrennungen haben, und die für gewöhnlich schon 30, 40 chirurgische Korrektur-Eingriffe über sich ergehen lassen mussten. Es ist sehr schwierig, und es ist sehr herausfordernd irgendwie den Patienten zu helfen der Welt wieder das Gesicht zu zeigen."
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