Chronik einer angekündigten Katastrophe
Volker Reinhard rekonstruiert in "Blutiger Karneval" die Ereignisse vom 6. Mai 1527. Damals hatte ein Heer die Mauern der Stadt Rom erstürmt und danach ein Terrorregiment errichtet.
Die Römer müssen bis zum Schluss geglaubt haben, dass es nicht passieren würde. Nicht ihnen. Umgab nicht die Aurelianische Mauer die Stadt wie der Stein gewordene Nimbus antiker Größe? Mehr als tausend Jahre alt, aber immer noch stark genug, um einem Haufen ausgehungerter Landsknechte standzuhalten? Zumal die Angreifer nicht einmal Geschütze hatten, nur ein paar schnell gezimmerte Sturmleitern.
Als dann noch ihr Anführer, Charles de Bourbon, in den Morgenstunden des 6. Mai 1527 dem Schuss einer Arkebuse erlag, ließ der Papst Dankgebete anstimmen. Doch da waren die Feinde bereits in der Stadt, getrieben von Verzweiflung und durch die Fahrlässigkeit der Verteidiger begünstigt, die ein Fenster in der Mauer nur notdürftig vernagelt hatten.
Am Abend waren sie die Herren von Rom, ein Heer von 24.000 deutschen Landsknechten und ihren spanischen und italienischen Verbündeten, führerlos und allesamt stinksauer, weil der, der sie angeheuert hatte, Kaiser Karl V., ihnen seit Monaten den Sold schuldig geblieben war. Was nun begann, ist als ‚Sacco di Roma’ in die Geschichte eingegangen:
"Rasch wurde die Schwärze der Nacht jetzt von den wandernden Lichtpunkten der Fackeln gesprenkelt, die Totenstille wich den Schreien der Gepeinigten und dem Röhren von Feuersbrünsten. Spätestens an diesem Punkt löste sich für die Römer die Geschichte in Geschichten des Schreckens. Für ihre Feinde aber war ein Märchen angebrochen: Schlaraffenland auf Söldner-Art."
Es ist die Chronik einer angekündigten Katastrophe, die Volker Reinhardt in seinem Buch ‚Blutiger Karneval’ erzählt. Den nackten Fakten, seit Jahrhunderten bekannt, hat auch er nichts Neues hinzuzufügen. Wie andere vor ihm erkennt er in Papst Clemens VII. mit seinem Wankelmut den Hauptverantwortlichen für das furchtbare Ereignis, das schon Ferdinand Gregorovius in nicht zu überbietender Drastik geschildert hat und das seit Jakob Burckhardt als Endpunkt der Renaissance gilt. Zumindest jener Renaissance, deren Zentrum das Rom der Päpste war, die Renaissance Bramantes, Raffaels, Michelangelos.
Die Unbekümmertheit und der Optimismus dieser Epoche wurden in jener langen Nacht zu Grabe getragen, zusammen mit den Tausenden, die um ihres Geldes willen gefoltert und ermordet wurden, zusammen mit der Würde der vergewaltigten Frauen und den hochfliegenden Hoffnungen der Päpste, den Mächtigsten dieser Welt gebieten zu können. Die Künstler kehrten Rom den Rücken.
Volker Reinhardt erzählt die Geschichte des Sacco di Roma mit Tempo und Witz, sachkundig und pointiert. Das ist an sich keine Kleinigkeit, doch er tut noch mehr. Der Schweizer Historiker macht aus dem Sacco ein Lehrstück über das Böse in der Geschichte. Fast genüsslich breitet er die zahllosen kleinen Fehler, Dummheiten, Gemeinheiten aus, die in die große Katastrophe mündeten. Er inszeniert Geschichte als Tollhaus.
"Den 6. Tag im Mai haben wir Rom mit dem Sturm gewunnen, ob 6000 Mann darin zutot geschlagen und die ganze Stadt geplündert; haben in allen Kirchen und ob der Erd genommen, was wir gefunden, einen guten Teil der Stadt abgebrannt und seltsam hausgehalten …"
So schilderte der Söldner Sebastian Schertlin später den Sacco, nicht unzufrieden mit sich und im fatalistischen Gefühl, Gottes Werkzeug gewesen zu sein. Schertlins ist nur eine von vielen Stimmen, die Reinhardt im zweiten Teil seines Buches zu Wort kommen lässt, Stimmen von Zeitzeugen, von Römern, Söldnern und Humanisten, die dem Geschehenen einen Sinn abzuringen versuchten. Doch die Versuche, die Gewalt als Strafe Gottes für die Sünden der Kirche zu rechtfertigen, entlarven sich als hilflos.
Nur einzelne erhoben sich über den Nebel der Illusion, wie der päpstliche Parteigänger Francesco Guicciardini, der aus dem Sacco di Roma eine zutiefst pessimistische – und damit sehr moderne – Sicht der Geschichte entwickelte. Reinhardt fasst zusammen:
"Die Geschichte Europas zwischen 1490 und 1535 ist ein Maskenball, auf dem die Mächtigen die Larven der Frömmigkeit tragen, doch wie reißende Wölfe agieren. Die Gemengelagen der europäischen Politik sind von Täuschungsmanövern erzeugt, die dann besonders verhängnisvoll ausfallen, wenn sich die Protagonisten selbst belügen. Und das kommt nicht nur im Falle Clemens VII. vor – der Mensch ist so beschaffen, dass er sich über sich selbst permanent in Illusionen wiegt."
Am Ende bleibt dem Leser keine Lehre und keine Moral, nur das verstörende Bild eines grotesken Spektakels, eines blutigen Karnevals, in dem das Untere nach oben gekehrt ist, der kleine Mann die Mächtigen verhöhnt. "Was soll ich der ich schreib nit lachen wir haben den papst laufen machen", ritzte ein namenloser Landsknecht in eine römische Wand.
Volker Reinhardt: Blutiger Karneval: Der Sacco di Roma 1527 - eine politische Katastrophe
Wissenschaftliche Buchgesellschaft, Darmstadt 2009
Eine zusätzliche Literaturliste über Rom finden Sie hier PDF-Dokument
Als dann noch ihr Anführer, Charles de Bourbon, in den Morgenstunden des 6. Mai 1527 dem Schuss einer Arkebuse erlag, ließ der Papst Dankgebete anstimmen. Doch da waren die Feinde bereits in der Stadt, getrieben von Verzweiflung und durch die Fahrlässigkeit der Verteidiger begünstigt, die ein Fenster in der Mauer nur notdürftig vernagelt hatten.
Am Abend waren sie die Herren von Rom, ein Heer von 24.000 deutschen Landsknechten und ihren spanischen und italienischen Verbündeten, führerlos und allesamt stinksauer, weil der, der sie angeheuert hatte, Kaiser Karl V., ihnen seit Monaten den Sold schuldig geblieben war. Was nun begann, ist als ‚Sacco di Roma’ in die Geschichte eingegangen:
"Rasch wurde die Schwärze der Nacht jetzt von den wandernden Lichtpunkten der Fackeln gesprenkelt, die Totenstille wich den Schreien der Gepeinigten und dem Röhren von Feuersbrünsten. Spätestens an diesem Punkt löste sich für die Römer die Geschichte in Geschichten des Schreckens. Für ihre Feinde aber war ein Märchen angebrochen: Schlaraffenland auf Söldner-Art."
Es ist die Chronik einer angekündigten Katastrophe, die Volker Reinhardt in seinem Buch ‚Blutiger Karneval’ erzählt. Den nackten Fakten, seit Jahrhunderten bekannt, hat auch er nichts Neues hinzuzufügen. Wie andere vor ihm erkennt er in Papst Clemens VII. mit seinem Wankelmut den Hauptverantwortlichen für das furchtbare Ereignis, das schon Ferdinand Gregorovius in nicht zu überbietender Drastik geschildert hat und das seit Jakob Burckhardt als Endpunkt der Renaissance gilt. Zumindest jener Renaissance, deren Zentrum das Rom der Päpste war, die Renaissance Bramantes, Raffaels, Michelangelos.
Die Unbekümmertheit und der Optimismus dieser Epoche wurden in jener langen Nacht zu Grabe getragen, zusammen mit den Tausenden, die um ihres Geldes willen gefoltert und ermordet wurden, zusammen mit der Würde der vergewaltigten Frauen und den hochfliegenden Hoffnungen der Päpste, den Mächtigsten dieser Welt gebieten zu können. Die Künstler kehrten Rom den Rücken.
Volker Reinhardt erzählt die Geschichte des Sacco di Roma mit Tempo und Witz, sachkundig und pointiert. Das ist an sich keine Kleinigkeit, doch er tut noch mehr. Der Schweizer Historiker macht aus dem Sacco ein Lehrstück über das Böse in der Geschichte. Fast genüsslich breitet er die zahllosen kleinen Fehler, Dummheiten, Gemeinheiten aus, die in die große Katastrophe mündeten. Er inszeniert Geschichte als Tollhaus.
"Den 6. Tag im Mai haben wir Rom mit dem Sturm gewunnen, ob 6000 Mann darin zutot geschlagen und die ganze Stadt geplündert; haben in allen Kirchen und ob der Erd genommen, was wir gefunden, einen guten Teil der Stadt abgebrannt und seltsam hausgehalten …"
So schilderte der Söldner Sebastian Schertlin später den Sacco, nicht unzufrieden mit sich und im fatalistischen Gefühl, Gottes Werkzeug gewesen zu sein. Schertlins ist nur eine von vielen Stimmen, die Reinhardt im zweiten Teil seines Buches zu Wort kommen lässt, Stimmen von Zeitzeugen, von Römern, Söldnern und Humanisten, die dem Geschehenen einen Sinn abzuringen versuchten. Doch die Versuche, die Gewalt als Strafe Gottes für die Sünden der Kirche zu rechtfertigen, entlarven sich als hilflos.
Nur einzelne erhoben sich über den Nebel der Illusion, wie der päpstliche Parteigänger Francesco Guicciardini, der aus dem Sacco di Roma eine zutiefst pessimistische – und damit sehr moderne – Sicht der Geschichte entwickelte. Reinhardt fasst zusammen:
"Die Geschichte Europas zwischen 1490 und 1535 ist ein Maskenball, auf dem die Mächtigen die Larven der Frömmigkeit tragen, doch wie reißende Wölfe agieren. Die Gemengelagen der europäischen Politik sind von Täuschungsmanövern erzeugt, die dann besonders verhängnisvoll ausfallen, wenn sich die Protagonisten selbst belügen. Und das kommt nicht nur im Falle Clemens VII. vor – der Mensch ist so beschaffen, dass er sich über sich selbst permanent in Illusionen wiegt."
Am Ende bleibt dem Leser keine Lehre und keine Moral, nur das verstörende Bild eines grotesken Spektakels, eines blutigen Karnevals, in dem das Untere nach oben gekehrt ist, der kleine Mann die Mächtigen verhöhnt. "Was soll ich der ich schreib nit lachen wir haben den papst laufen machen", ritzte ein namenloser Landsknecht in eine römische Wand.
Volker Reinhardt: Blutiger Karneval: Der Sacco di Roma 1527 - eine politische Katastrophe
Wissenschaftliche Buchgesellschaft, Darmstadt 2009
Eine zusätzliche Literaturliste über Rom finden Sie hier PDF-Dokument