Christoph Antweilers "Anthropologie im Anthropozän"

Den Menschen in seiner tiefenzeitlichen Dimension erkennen

10:16 Minuten
Nicht schön: In idyllischem, rotgelbem Abendlicht sind im Vordergrund ein Kran, im Hintergrund Industrieschornsteine und Rauch zu sehen.
Welche Stellung hat der Mensch in der Natur? Diese und andere Fragen behandelt das Buch "Anthropologie im Anthropozän" von Christoph Antweiler. © imago images / Future Image
Christoph Antweiler im Gespräch mit Christian Rabhansl · 02.07.2022
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Die Menschheit lebt erst seit kurzer Zeit auf dem Planeten, ihr Einfluss ist aber gewaltig. Hat der Mensch damit sein eigenes erdgeschichtliches Zeitalter eingeläutet, das Anthropozän? Aus dieser Frage ergeben sich auch poltische Konsequenzen.
In den letzten Jahren ist es in Mode gekommen, die – verglichen mit der Erdgeschichte – wenigen Augenblicke der Menschheit als ein eigenes Zeitalter zu bezeichnen: als Anthropozän, das Zeitalter des Menschen.
Genau damit befasst sich auch der Geologe und Ethnologe Christoph Antweiler in seinem Buch „Anthropologie im Anthropozän“. Darin versucht er, die kulturwissenschaftliche und die geologische Perspektive zusammenzuführen, wie er sagt.

"Eine zentrale Einsicht ist, dass der Mensch zwar diese Geosphäre extrem prägt, aber das oft in ungeplanter und unkontrollierbarer Weise geschieht. Es ist eben nicht so, dass wir die Erde im Griff haben."

Christoph Antweiler, Geo- und Ethnologe

Mit Anthropozän ist gemeint, so Antweiler, „dass die Menschheit derart intensiv, dauerhaft und wahrscheinlich unumkehrbar unsere Geosphäre prägt, dass es heute keinen Ort der Welt mehr gibt, auch nicht in der Inneren Mongolei oder in der Arktis, wo nicht menschliche Spuren zu finden sind.“
„Der Clou der These ist nun, dass Geologen, die in sehr, sehr langen Zeiträumen denken und normalerweise sehr konservative Menschen sind, überlegen, ob man dieser kurzen Phase – 70 oder vielleicht 200 Jahre – schon den Titel einer geologischen Epoche gibt", hebt Antweiler hervor: "Darin liegt das Alarmsignal.“

Außer Kontrolle

Der Begriff Menschenzeitalter sei aber nicht so zu verstehen, als sei der Mensch der König der Geschichte, sondern: „Eine zentrale Einsicht ist, dass der Mensch zwar diese Geosphäre extrem prägt, aber das oft in ungeplanter und unkontrollierbarer Weise geschieht. Es ist eben nicht so, dass wir die Erde im Griff haben, dass wir das kontrollieren könnten.“
Der Mensch wird zu einer die Erdoberfläche formenden Naturkraft. Würde man alles, was die Menschen je gebaut haben, also alle Straßen, alle Gebäude, alle Tunnel, auf der Landfläche der Erde gleichmäßig ausbreiten, so Antweiler, dann lägen auf jedem Quadratmeter 50 Kilo. 
So könne es durchaus sein, dass eine Geo-Anthropolgin der Zukunft, wie Antweiler sie in seinem Vorwort beschreibt, bei Ausgrabungen erdweit Schichten findet, die eindeutig dem Anthropozän zuzuordnen sind – in Form von Plastik, Metallen und Radionukliden.

Tiefenzeitliche Dimension

Doch das ist alles Spekulation, wie Antweiler erklärt, mit Vorsicht zu genießende Hypothesen, „denn wir wissen ja gar nicht, wie lang die Spuren des Menschen wirklich in geologischer Zeit erhalten bleiben“.
Als Ethnologe findet Antweiler den Begriff Anthropozän wichtig und zentral, als Geologe ist ihm die Phase aber viel zu kurz.
Zudem gebe es die politische Dimension: Das Anthropozän hebe die herkömmliche Gesellschaftskritik nicht auf, gebe ihr aber einen neuen Rahmen: "Der ist nicht einfach nur global und ökologisch", sagt Antweiler, "sondern auch tiefenzeitlich, das heißt, dass man die Wirkungen des Menschen in ihrer tiefenzeitlichen Dimension sieht.“
Damit einhergehend werde die Frage nach einem grundlegenden Umbau unseres Wirtschaftssystems und unserer Lebensweise aufgeworfen, so Antweiler.

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