Christoffer Carlsson: "Unter dem Sturm"

Der Orkan in uns

03:59 Minuten
Das Buchcover des Krimis von Christoffer Carlsson, "Unter dem Sturm", auf orange-weißem Hintergrund.
Selten sind Menschen, Land und Natur Schwedens so einfühlsam dargestellt worden wie in diesem Kriminalroman, meint unser Kritiker. © Deutschlandradio / Rowohlt
Von Tobias Gohlis · 17.09.2021
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Wenn Enge, Einsamkeit und Bigotterie in Gewalt umschlagen: Christoffer Carlsson erzählt in "Unter dem Sturm" von einem Mord in einem entlegenen schwedischen Dorf und der schweren Last eines familiären Erbes.
Im reichen Schweden häuft sich die seltene Kombination zweier Berufe in einer Person: die des Kriminologen und des Schriftstellers. Kriminologen sind Sozialwissenschaftler, die Ursachen und Bedingungen von Verbrechen und der gesellschaftlichen Reaktion darauf erforschen. Offenkundig reicht aber diesen seltsamen Heiligen die wissenschaftliche Forschung nicht aus. Sowohl der in Schweden sehr berühmte Leif GW Persson als auch der jüngere, 1986 geborene Christoffer Carlsson sind angesehen als Kriminologen und Schriftsteller zugleich.

Angst, zum Verbrecher zu werden

Die Fragestellungen von Wissenschaftlern und Schriftstellern ähneln sich. Carlsson promovierte etwa über "Kontinuitäten und Wechsel in kriminellen Karrieren". Und den jungen Isak, eine der Hauptfiguren in Carlssons neuem Roman "Unter dem Sturm", plagt die Sorge zum Verbrecher zu werden.
Sein Großvater war gemeinhin als trunksüchtig und gewalttätig bekannt. Vollends zur Qual wird Isaks Sorge, als sein Onkel Edvard verdächtigt wird, die knapp 20-jährige Lovisa ermordet und im Haus ihrer Eltern verbrannt haben zu lassen.
Die Frage, ob Lovisas Verehrer Edvard, der kurz nach Mord und Brand festgenommen und als Mörder verurteilt wurde, tatsächlich der Täter war, ist der große Spannungsbogen in "Unter dem Sturm". Getragen wird er aber durch die grandios beschriebene Atmosphäre der Provinz Halland, aus der Christoffer Carlsson stammt.
Obwohl die Menschen weit verstreut in kleinen Dörfern und Weilern wohnen, herrscht eine eigentümliche Enge von Verdächtigung, gegenseitiger Beobachtung und Kontrolle, die jederzeit in Repression, Ausschluss und Gewalt umschlagen kann. Und Verheerungen in den Seelen der Ausgeschlossenen anrichtet. Die Angst seines Großvaters, Gewalttätigkeit "in sich zu tragen", macht Isak wehrlos.

Unter der Decke der Bigotterie

Drei Menschen, der verurteilte Edvard, der verängstigte Isak und der Ex-Polizist Vidar, der sich immer tiefer in die Suche nach Lovisas Mörder verrennt, leiden "Unter dem Sturm". Sturm ist Metapher und Naturereignis zugleich: 2005 zerstört der Orkan Gudrun große Teile Hallands und kostet Isak beinahe das Leben. Als Metapher steht er für die unter einer undurchdringlichen Decke von Konventionen und Bigotterie tobenden Emotionen und Sehnsüchte, die die Menschen niederwerfen, wie Orkan Gudrun die schwedischen Wälder.
Selten sind Menschen, Land und Natur Schwedens so einfühlsam dargestellt worden wie in diesem Kriminalroman über Schuld, Strafe und Versöhnung in einer herzergreifenden Sprache spricht, an die die wissenschaftliche des Kriminologen nicht heranreicht.

Christoffer Carlsson: "Unter dem Sturm"
Aus dem Schwedischen von Susanne Dahmann
Rowohlt, Hamburg 2021
464 Seiten, 22 Euro

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