"Im Schweiße deines Angesichts"
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Arbeit ist wichtig, heißt es in der Bibel. Im Paradies war sie unbeschwert, nach der Vertreibung daraus voller Mühe. Im Protestantismus wendete sich das Blatt: Arbeit konnte Berufung werden, aber Arbeitseifer damit auch zur gottgegebenen Pflicht.
Ora et Labora, bete und arbeite, gilt als Leitspruch des Benediktinerordens: Die Arbeit ist dem Gebet gleichwertig und hatte nicht nur bei den Benediktinern einen hohen Stellenwert.
"Arbeit ist die Grundlage von Leben, und deswegen nimmt es nicht Wunder, dass sich alle Religionen in der einen oder anderen Form mit Arbeit auseinandergesetzt haben", sagt der Religionswissenschaftler Jörg Rüpke. "Wenn man bei Konfuzius schaut, dann findet man schon früh Aussagen über Pflichten, und wenn er von Pflichten spricht, geht es da natürlich auch um Arbeit."
Arbeit an der Schöpfung
Gerade in der jüdisch-christlichen Überlieferung spielte die Arbeit von Beginn an eine besondere Rolle, so Rüpke: "Wenn wir jetzt mal den Schöpfungsbericht zugrunde legen, da ist Gott eben zunächst einmal selbst derjenige, der arbeitet und Menschen in diesen Arbeitsprozess mit hineinnimmt, nämlich zur Erhaltung der Schöpfung."
Sogar im Paradies wurde schon gearbeitet. Adam bestellt mit Freude das Feld im Garten Eden. Ganz anders sehen Griechen und Römer Arbeit. Bei Homer ist sie noch positiv bewertet, aber mit dem Wachsen der Sklavenwirtschaft ändert sich die antike Vorstellung von Arbeit, erklärt der Religionswissenschaftler Robert Vorholt:
"Für die griechisch-römische Antike wird man sagen können: Zumindest aus der Lebensperspektive der Eliten ist Arbeit das Gegenteil eines sinnvollen Lebens. Arbeit ist Sache von Sklaven, eine der niedrigsten Stufen menschlicher Betätigung. Das Höchste ist Erkenntnis, Philosophie, geistige Arbeit, und das ist die Kontrastfolie zum Menschen- und Gottesbild des Alten und Neuen Testaments."
Dornenreicher Acker
Doch auch in der jüdisch-christlichen Überlieferung ist Arbeit nicht nur Spaß. War sie im Paradies noch himmlisches Vergnügen, nach dem Sündenfall – Adam und Eva hatten einfach vom Baum der Erkenntnis genascht - muss der Mensch "im Schweiße seines Angesichts" für sein Auskommen sorgen.
Allerdings wird nicht die Arbeit selbst verdammt, sondern der Ackerboden, der nun Dornen und Disteln tragen soll. Durch den Rauswurf aus dem Paradies ist der Mensch entfremdet von der Schöpfung. Das Mittel, sich ihr wieder zu nähern, ist: körperliche Arbeit.
Das heißt, Arbeit ist in der Schöpfungserzählung ein ambivalenter Begriff: Strafe und Mühe einerseits, andererseits schöpferisch als Teilhabe am Gotteswerk.
Im Neuen Testament wird an vielen Stellen eindeutiger wertschätzend von der Arbeit gesprochen: Auch Jesus und seine Jünger sind Arbeiter, in seinen Gleichnissen stellt Jesus Arbeit wieder sehr positiv dar. Trotzdem schätze er auch die Ruhe, sagt Robert Vorholt:
"Es gibt immer auch Momente, wo Jesus skizziert wird als einer, der sich zurückzieht, der die Ruhe sucht, übrigens auch die Ruhe des Gebets, die Beschaulichkeit, die Stille sucht. Da haben wir Hinweise, dass Ausruhen, Freizeit, Chillen eine Berechtigung und auch einen Wert hat."
Unterhalt für Apostel
Diese Ruhe ist nicht zu verwechseln mit Müßiggang. Nein, sie ist notwendig. "Wer nicht arbeiten will, soll auch nicht essen", schreibt der Apostel Paulus in einem seiner Briefe. Auch er selbst legt Wert darauf zu arbeiten, obwohl er es nicht müsste: "Die frühchristlichen Gemeinden haben dafür gesorgt, dass ihre Apostel nicht zusätzlich zu ihrer apostolischen Arbeit einer Arbeit nachgehen mussten, um ihren Lebensunterhalt sicherzustellen", erklärt Vorholt.
Dass Paulus darauf besteht, weiter als Handwerker zu arbeiten, hat strategische Gründe, sagt Jörg Rüpke:
"In einer Zeit, in der viele – wir würden heute sagen - 'religiös Bewegte' herumlaufen, steht Paulus in dieser problematischen Situation, dass er klarmachen muss, dass er nicht einer dieser schrägen Vögel ist, die mit einer neuen Religion schlicht Geld verdienen wollen. Der Trick ist, dass er sagt: Meinen Lebensunterhalt verdiene ich mir selbst."
Auch der Kirchenvater Augustinus sieht in körperlicher Arbeit etwas Gutes. Schon im Paradies – vor dem Sündenfall – wurde freudig gearbeitet. So seine Auslegung, die das christliche Denken stark geprägt hat.
Martin Luther: Beruf als Berufung
Andererseits gab es auch die Auffassung, dass geistige Arbeit – das Beten und Theologiebetreiben der Mönche im Mittelalter zum Beispiel – mehr wert sei als körperliche Arbeit. Für Martin Luther ein Unding: Er postuliert, dass jeder ernsthaft ausgeübte Beruf gleichwertig mit geistlicher Arbeit sei – das macht den alltäglichen Beruf zur gottgewollten Berufung.
Mit der Reformation kommt so eine neue Arbeitsmoral in die Welt, so die These des Soziologen Max Weber. Und zwar eine, die den modernen Kapitalismus erst richtig stimuliert habe, erklärt Jörg Rüpke: "Die berühmte Protestantismus-These von Max Weber bezieht sich in erster Linie auf Unternehmer, auf diejenigen, die anderen Arbeit geben."
Weber meint damit vor allem Unternehmer, die dem Calvinismus anhängen, einer Strömung innerhalb des Protestantismus, die die Prädestinationslehre prägte: Sie besagt, dass Gott vorbestimmt hat, wer erlöst und wer verdammt wird, und dass wir daran auch durch gute Werke nichts ändern können.
Calvinismus: Profit und Askese
Aber Calvinisten wollen dennoch Gewissheit über ihr Schicksal, meint Weber. Deshalb wollen sie sich mit rastloser Arbeit ihres Seelenheils vergewissern. Diesen Glauben sieht Weber in wirtschaftlich besonders fortgeschrittenen Ländern des Frühkapitalismus wie England oder den Niederlanden am Werk. "Dort sieht er dann, dass sich Unternehmer ihrer Heilssituation dadurch vergewissern, dass sie wirtschaftlichen Erfolg suchen", sagt Rüpke.
Das Spannende daran sei nicht, dass die Akteure Profit suchten, das hätten Händler schließlich schon immer gemacht. Aber sie verbrauchten diesen Profit nun nicht für sich selbst, sondern investierten den Gewinn mit einer asketischen Grundhaltung wieder neu und trugen damit zu einer Kapitalbildung bei, so Rüpke.
Auf diese Weise befeuerten sie den entstehenden Kapitalismus: Der calvinistische Unternehmer strebt nicht Luxus an, wie die Fürsten, sondern eine fruchtbare Weiterverwertung des Vermögens.
Geliebte Arbeit und verhasster Job
Insbesondere die Puritaner, eine calvinistisch inspirierte Reformationsbewegung der Anglikanischen Kirche in England, haben unseren heutigen Begriff von Arbeit stark geprägt, meint auch der 2020 verstorbene Kulturanthropologe David Graeber. Sie hätten die biblische Vorstellung von Arbeit als Fortsetzung der Schöpfung Gottes übernommen, allerdings betonten sie die Mühsal.
Denn mit dem neuen Kapitalismus hätten Massen junger Männer nicht mehr als selbständige Handwerker arbeiten können, sondern als abhängige Lohnarbeiter schuften müssen, so Graeber. Puritanische Vordenker wie Thomas Carlyle hätten mit Sätzen wie diesen die Rechtfertigung für diese Fron geliefert: "Ein Leben der Bequemlichkeit ist für die Menschen nicht gemacht. Unsere höchste Religion ist die Anbetung der Trübsal."
Diese Vorstellung von Arbeit finde sich auch heute noch, meinte Graeber. Und zwar als Paradox: Studien würden immer wieder zeigen, dass die meisten Menschen Arbeit als Selbstverwirklichung betrachten, aber ihren eigenen Job hassen. Ein Widerspruch, der seine Wurzeln vielleicht schon in der Bibel hat: wo selbst im Paradies gearbeitet werden musste.