Rechtsanwältin Christina Clemm

Das schönste Lob kommt nach dem Schlussplädoyer

35:02 Minuten
Porträt der Rechtsanwältin Christina Clemm. Sie hat lange rote Haare und trägt eine Brille.
Rechtsanwältin Christina Clemm © Sibylle Baier
Moderation: Susanne Führer  · 20.01.2022
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Als Vertreterin der Opfer von sexualisierter Gewalt hat sich die Anwältin Christina Clemm einen Namen gemacht. Trotz aller gesetzlichen Verbesserungen nimmt die Gewalt gegen Frauen nicht ab. „Wir müssen über Männlichkeit sprechen“, sagt sie.
In einem ihrer ersten Strafverfahren fiel Christina Clemm im Gerichtssaal in Ohnmacht. Die junge Anwältin hatte die Kinder einer getöteten Frau vertreten und die Details des rechtsmedizinischen Gutachtens, das dort vorgetragen wurde, „noch nicht aushalten“ können.
25 Jahre später hat die Rechtsanwältin, die gemeinsam mit Kolleginnen in Berlin eine Kanzlei betreibt, Hunderte Strafverfahren begleitet. Ohnmächtig wird sie heute nicht mehr, trotzdem bringe ihre Tätigkeit auch schlaflose Nächte mit sich. „Ich halte es weiter für einen wichtigen Beruf und eine sehr ernsthafte Aufgabe und das belastet auch.“
Juristin ist sie aus politischen Gründen geworden; schon als Studentin wollte sie nicht nur Betroffene vertreten, sondern auch „bestimmte staatliche Strukturen bekämpfen, die ich für nicht sinnvoll erachte“.

„Im Regelfall ist eine Vergewaltigung ohne jede Spur“

Christina Clemm ist Fachanwältin für Strafrecht und Familienrecht und hat sich auf „geschlechtsspezifische Gewalt“ spezialisiert, insbesondere gegen Frauen und weiblich gelesene Personen. Trotz zahlreicher Verbesserungen im Strafrecht, für die auch sie gekämpft hat, nimmt die Gewalt gegen Frauen nicht ab. Jeden dritten Tag wird in Deutschland eine Frau von ihrem Partner oder Ex-Partner getötet. In 80 Prozent der Fälle von Gewalt in der Partnerschaft ist eine Frau das Opfer.
Dabei sei es die Regel, dass Frauen diese Gewalterfahrung nicht geglaubt werde, sagt Christina Clemm. Zumindest, „wenn es keine objektiven Beweismittel gibt“. Das jedoch sei meistens der Fall, denn selbst schwere Straftaten ließen sich oft nicht nachweisen: „Im Regelfall ist eine Vergewaltigung ohne jede Spur.“ Außerdem gebe es „unglaublich viele Mythen, warum weibliche Personen solche Straftaten erfinden würden“.

„Da ist das deutsche Rechtssystem noch nicht besonders kreativ“

Natürlich sei die Unschuldsvermutung im deutschen Strafrecht „ein sehr hohes Gut, daran sollten wir nicht rütteln“. Gleichzeitig hält die Rechtsanwältin es für sinnvoll, auch eine „Opfervermutung“ geltend zu machen. Das bedeute, in einem Verfahren „eine Person, die sich selbst als Verletzte bezeichnet, so lange so zu behandeln, als sei sie es auch“.
Es gehe darum, Betroffene respektvoll zu befragen. Muss wirklich aufgerollt werden, mit wem sie alles wann welchen Sex hatte? Oft sei für Betroffene nicht die Bestrafung des Täters wichtig, sondern zu erleben, dass es „eine staatliche Stelle gibt, die sagt: Es war Unrecht, was Ihnen widerfahren ist“.
Alternativen zum klassischen Strafprozess findet Christina Clemm, die in der Expertenkommission zur Reform des Sexualstrafrechts saß und mehrfach Sachverständige im Rechtsausschuss des Deutschen Bundestages war, durchaus bedenkenswert. Denn eine Verurteilung des Täters zu einer Gefängnisstrafe sei dann nicht im Sinne der Ex-Partnerin, wenn diese etwa den Kindern einen Vater im Gefängnis ersparen wolle oder selbst vom Unterhalt abhängig sei.
„Entschädigungsverfahren“ könnten in diesem Sinn womöglich hilfreicher sein, aber „da ist das deutsche Rechtssystem noch nicht besonders weit oder kreativ“.

Jeder kann zum Täter werden

Um der Gewalt gegen Frauen auch über juristische Verbesserungen hinaus zu begegnen, müsse sich gesamtgesellschaftlich etwas verändern. „Wir müssen über Männlichkeit sprechen“, sagt die 53-Jährige: „Warum geht diese Gewalt vor allem von Männern aus?“
Täter würden bis heute „so adressiert, als wären es die anderen“. Doch die wenigsten Frauen würden vom „durchgeknallten Psychopathen“ vergewaltigt oder getötet. „In der Regel sind das ganz angepasste Menschen, die einen Freundeskreis haben, die eine Arbeit haben oder auch nicht“, kurz: „Alle können es tun.“

„In meinem Büro wird viel gelacht“

Trotz der oft schwierigen Begleitumstände erlebe sie „auf verschiedenen Ebenen lustige Dinge“ in ihrem Beruf, sagt Christina Clemm. „In meinem Bürozimmer wird wirklich viel gelacht“, oft auch mit den Mandantinnen und Mandanten zusammen.
Es könne mitunter auch „befreiend und schön“ sein, durch ein Strafverfahren zu gehen. „Das schönste Lob“ sei es aber, wenn ihre Mandantinnen nach dem Schlussplädoyer der Anwältin sagten, „Sie haben mir aus dem Herzen gesprochen“.
Oder wenn die Mandantinnen selbst am Ende das Wort ergriffen. Das empfinde sie als „durchaus beglückend“.
(era)
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