Christian Kohlross: "Kollektiv neurotisch"

Warum wir Narzissten, Hysteriker und Depressive sind

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Hysterisch, narzisstisch, depressiv - Christian Kohlross attestiert den westlichen Gesellschaften eine kollektive Neurose. © Foto: imago / Cover: Dietz-Verlag
Moderation: Christian Rabhansl |
Hysterisch, visionslos und wegen überhöhter Ansprüche ständig enttäuscht: Dem Therapeuten Christian Kohlross zufolge befindet sich der Westen in einem Zustand kollektiver Neurose. Da hilft nur: Die Gesellschaft auf die Couch!
Nicht nur Individuen, auch Gesellschaften können neurotisch werden – davon ist der Kulturwissenschaftler und Heilpraktiker für Psychotherapie, Christian Kohlross, überzeugt. In seinem neuen Buch attestiert er den westlichen Gesellschaften gleich eine ganze Reihe von neurotischen Störungen.
Zum Beispiel eine depressive: "Depressiv ist unsere Gesellschaft und die derzeitige Krisensituation der westlichen Gesellschaft deshalb, weil wir in großem Ausmaße eigentlich nicht mehr über die Zukunft nachdenken, und vor allem über eine andere Zukunft, eine andere als die gegenwärtige Zukunft uns nicht mehr vorstellen", sagte Kohlross im Deutschlandfunk Kultur.

Gibt es wirklich keine Alternative zum Kapitalismus?

Er kritisierte: "Es gibt nach 1989 keine wirklichen Projekte mehr, wie Gesellschaften, erst recht globalisierte Gesellschaften, anders funktionieren könnten denn, sagen wir, hochkapitalistisch zum Beispiel."
Darauf reagiere die Gesellschaft depressiv: mit Hilflosigkeit, bisweilen mit Antriebslosigkeit und immer mit der Vorstellung, dass es anders als so nicht sein könne.
Ein Porträt von Christian Kohlross, Psychotherapeut und Autor
Christian Kohlross, Kulturwissenschaftler, Psychotherapeut und Autor© privat
Darüber hinaus sieht Kohlross die Gesellschaft auch als narzisstisch gestört an. Dahinter stecke eine übergroße Anspruchshaltung - "vermutlich die Anspruchtshaltung, dass das Leben zu gelingen habe und dass die Gesellschaft dafür verantwortlich ist". Außerdem habe Narzissmus immer sehr stark mit Konkurrenz zu tun, betonte er. "Also mit Abwertung und Aggressionen gegenüber dem anderen, ja, und tatsächlich sind wir eine latent sehr, sehr aggressive Gesellschaft, weil wir eine Konkurrenzgesellschaft sind."

Medien lancieren "übernervöse Erregungszustände"

Allgegenwärtig sei individuell wie kollektiv die Krisenwahrnehmung, so Kohlross weiter. Diese trägt ihm zufolge auch hysterische Züge, weil die Menschen "ganz labile Affekte" hätten und "sehr an der Oberfläche leben, so wie wir es in der Spaßgesellschaft schon lange tun". Die Urteilskraft dafür, was wirklich bedrohlich sei und was nicht, sei der Gesellschaft abhanden gekommen. Das hat Kohlross zufolge auch mit den Medien zu tun, die permanent übernervöse Erregungszustände lancierten. "Und nach einiger Zeit ist das abreagiert und dann kommt das nächste Thema."
(uko)

Christian Kohlross: "Kollektiv neurotisch. Warum die westlichen Gesellschaften therapiebedürftig sind"
Verlag J.H.W. Dietz Nachf., Bonn 2017
144 seiten 16,90 Euro

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