Christian Jankowski in der Kunsthalle Tübingen

Im Fluss bleiben

05:41 Minuten
Christian Jankowski hängt mit roten Schnüren gefesselt von der Decke, er hat keine Hose an. Zu sehen ist seine weiße Unterhose. Er hät einen Rollkoffer fest.
Jankowskis Selbstkritik ist omnipräsent, wie zum Beispiel in der Fotoserie „Traveling Artist“, in der er sich, gekleidet wie ein Geschäftsmann, als Opfer einer japanischen Bondage-Künstlerin zeigt. © Christian Jankowski
Von Rudolf Schmitz · 02.07.2022
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Christian Jankowski ist ein Ethnologe unserer eigenen Kultur. Mit seinen Aktionen, Performances und Videos überprüft er unsere Alltagsroutinen und checkt, wo der Konsens endet. Jetzt sind seine Werke in der Kunsthalle Tübingen zu sehen.
Im Fluss bleiben, sich mit dem Strom bewegen, das hat Christian Jankowski in der Stadt Tübingen ganz wörtlich genommen: Er bemächtigte sich eines Stocherkahns, des Wahrzeichens der Neckarstadt, mit dem sich Touristen und Studenten vergnügen und mit langen Stecken die Boote durch den niedrigen Fluss steuern.

„Und der erste Transport, der hier ankam, der wurde dann auch auf den Stocherkahn gelegt“, sagt Christian Jankowski. „Ich habe dann meine erste Stocherkahnerfahrung gehabt, indem ich versucht habe, das Boot selbst zu lenken. Auf den Holzkisten stehen Titel von Selbstoptimierungsbüchern und Lebensberatungsbüchern.“ 

Verstörende Buchgeschenke vom Galeristen

Jetzt steht das mit Transportkisten beladene Boot im zentralen Ausstellungsraum und gibt mit seiner lebensberatenden Fracht uns allen, aber auch dem Künstler selbst zu denken:
„Die Bücher sind mir teilweise von meinem Galeristen mal empfohlen worden. Ein besonders schmerzhafter Titel: „Was Dich bis hierher gebracht hat, wird Dich nicht weiterbringen“. Das von einem Galeristen empfohlen zu kriegen, gibt einem zu denken. Und das war eigentlich die Initialzündung, dieses Werk zu machen.“ 
Christian Jankowski steht auf seinem Stocherkahn mit einem Stecken im Wasser. Auf dem Kahn: Holzkisten mit verschiedenen Beschriftungen. Unter anderem: "Glück - was ist das?"
Christian Jankowski, I was told to go with the flow, 2022© Wynrich Zlomke

Christian Jankowskis Arbeiten sind bis Ende Oktober unter dem Titel "I was told to go with the flow" in der Kunsthalle Tübingen zu sehen.

Uns wird ja ständig empfohlen, über unser Leben nachzudenken und uns mental, ökonomisch, philosophisch und physisch zu optimieren. Das kann einem gewaltig auf den Senkel gehen, aber es steckt auch eine banale Wahrheit darin: Wir alle sind Suchende, und wohl deshalb haben wir die Künstler zu unseren Symbolfiguren gemacht.

Selbstkritik und Anspielungen an Martin Kippenberger

Der Künstler als Reisender, das ist das Motto der aktuellen Ausstellung mit neuen und alten Arbeiten. Zur amüsanten Persiflage wird es in einer Fotoserie, die Christian Jankowski mit Samsonite-Rollkoffer, gekleidet wie ein Geschäftsmann, als Opfer einer japanischen Bondage-Künstlerin zeigt. Zugeständnis an die erotische Dimension der Verknotungen ist lediglich die weiße Unterhose, die der Künstler auf Geheiß der Japanerin entblößen musste.
Jankowskis Selbstkritik ist omnipräsent, auch die Anspielungen an Martin Kippenberger, der den Kunstbetrieb stets genüsslich auseinandernahm. Jankowskis Arbeitsmaterial sind die Menschen, auf die er trifft und die er in entsprechenden Settings zu abenteuerlichen Aussagen und Darstellungen bringt – wie in seinem ersten Supermarktvideo mit dem Titel „Die Jagd“ von 1992.
„Vielleicht ist das ein Grund, warum ich mich in jedem Werk so fühle, als ob es von vorne losgeht“, sagt er. „Das ist aber auch ein erfrischendes Moment, was ich spüre, wenn ich sehr alte Arbeiten sehe, wo ich denke: Was will man noch mehr als diese Supermarktkassiererin, die da ganz routiniert diese Waren einscannt. Besser geht’s nicht.“

Wenn Soldaten in Kampfmontur beim Psychologen erscheinen

Das aktuellste Werk dieser Ausstellung heißt „Verteidigungsmechanismus“. Vor einem Jahr war der Künstler in Rumänien, um dort zu arbeiten. Und was ihm sofort auffiel, war eine Riesenmilitärparade. Und so kamen die Themen „Soldat“ und „Spezialeinheit“ in seine Arbeit.
Soldaten in voller Kampfmontur und Gewehren stehen in der Praxis eines Psychologen und richten ihre Gewehre in alle Richtungen, während er sitzt.
Christian Jankowski, Verteidigungsmechanismus, 2021.© Christian Jankowski
„Wie wär's denn, wenn diese Spezialeinheit ein Haus stürmt, in einen Raum reinkommt, den okkupiert und man erwartet dann als Zuschauer eine Gegenattacke, wie man das aus Filmen kennt. Aber dann geht die Tür einfach auf und die Routine des Therapeuten beginnt, weil der betritt seine Praxis und beginnt mit den eingedrungenen Soldaten ein Gespräch, eine Therapiestunde, die ich mit ihm vereinbart hatte.“  
Die Soldaten tragen Gesichtsmasken, Kampfausrüstung und erzeugen eine bedrohliche Atmosphäre. Der Psychiater versucht, ihre Motivation, Verhaltensweisen, Emotionen zu ergründen, ist aber auch von der präsenten Gewalt zunehmend eingeschüchtert und verwirrt. Neue Spielregeln des Dialogs entstehen. Eine Arbeit, die lange vor dem Krieg in der Ukraine entstand, aber beklemmend aktuell wirkt.

Der ganz normale Irrsinn unserer Tage

Die Schau in der Kunsthalle Tübingen macht trotzdem gute Laune, weil der Künstler niemals besserwisserisch daherkommt, sondern sich mitten im Strudel verwirrender Erkenntnisse und Weltwahrnehmungen zeigt. Mit verblüffenden Neonschriften und -zeichnungen schließt die Reise des Künstlers durch den normalen Irrsinn und die irrsinnige Normalität unserer Tage.
„Hier auf der letzten Wand, die das Ende der Ausstellung ausmacht, sehen wir fünf Neons: Direktübertragungen aus Eintragungen in Gästebüchern aus verschiedenen Kunstinstitutionen. Mich interessiert: Was bleibt übrig, wenn jemand der Kunst begegnet ist? Was sind die Restenergien, die sich da verewigen in den Gästebüchern?“
„Please stop, you're boring me to death“, „Hör auf, du langweilst mich zu Tode“, liest man da. Aber eben auch: „Congratulations!“  

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