Christen, Heiden, Rechtsextreme

Der Glaubenskampf um die Externsteine

07:35 Minuten
Externsteine im Teutoburger Wald, mit dem Mond am Himmel im Hintergrund.
Mit reichlich Bedeutung beladene Felsen: die Externsteine im Teutoburger Wald. © picture alliance / blickwinkel / S. Ziese
Von Christian Röther · 20.12.2020
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Um die Externsteine bei Detmold ranken sich zahlreiche Legenden. Einige halten sie für einen heidnischen Kraftort. Rechtsextreme feierten Sonnenwendkulte in ihrem Schatten. Christliche Gottesdienste sind dort von manchen nicht gern gesehen.
Mitten durch den Teutoburger Wald führt ein alter Handelsweg, auf dem schon vor mehreren Tausend Jahren Menschen unterwegs waren. Dann enden die Bäume und wie aus dem Nichts tauchen sie auf: fünf schroffe Sandsteinfelsen, bis zu 40 Meter hoch, gezeichnet von Wind und Wetter.
Ursprünglich lagen die Steine flach im Boden. Aufgerichtet wurden sie vor rund 60 Millionen Jahren, als sich Kontinentalplatten verschoben. Das ist unstrittig. Gestritten wird aber darüber, ob es sich bei diesen Felsen um ein vorchristliches Heiligtum handelt.

Keine schriftlichen Zeugnisse, keine heiligen Zeichen

"Wir haben keine Ahnung davon, was unsere Vorfahren wirklich geglaubt haben", sagt Cornelia Müller-Hisje. "Denn unser großes Problem ist natürlich unter anderem: Die Vorfahren, die hier waren – seien es nun germanische Stämme, seien es nun Sachsen gewesen –, die haben alle keine schriftlichen Aufzeichnungen gemacht. Das heißt, wir haben nichts, wo wir jetzt sagen könnten: Das ist vorher tatsächlich hier mal ein Heiligtum gewesen."
Cornelia Müller-Hisje führt seit vielen Jahren Gäste zu den Externsteinen. Sie kennt die Spekulationen um die Felsen genauso wie den aktuellen Stand der Forschung. Zwar haben Ausgrabungen ergeben, dass Jäger und Sammler hier schon vor rund 10.000 Jahren unterwegs waren. Beweise dafür, dass die Felsen bereits religiös genutzt wurden, bevor das Christentum hierherkam, wurden bislang aber nicht gefunden.

Moderne Druiden zünden Kerzen an

Trotzdem hält sich diese Überzeugung hartnäckig. Manche meinen sogar, keltische Druiden hätten hier Kulte gefeiert. "Druiden an den Externsteinen können wir verneinen", sagt Müller-Hisje, "hatten wir nicht."
Heute allerdings kann man hier manchmal modernen Druiden begegnen, denn die Externsteine sind seit einigen Jahrzehnten ein Treffpunkt des Neuheidentums, von Menschen also, die oft davon überzeugt sind, ihre Vorfahren hätten hier schon vor Tausenden Jahren eine vorchristliche Religion praktiziert.
Im Gegensatz zu ihren vermeintlichen Vorfahren hinterlassen die heutigen Besucher Spuren, so Müller-Hisje: "Hier werden immer überall kleine Kerzen hingestellt. Die, die mit den Kerzen kommen, sind sehr häufig diejenigen, die das als heidnischen Ort ansehen."

Kontroverse um ein Kreuzrelief

Warum ist diese Interpretation heute so populär? Um das nachzuvollziehen, muss man sich zunächst die christlichen Spuren anschauen. Denn die gibt es tatsächlich. An einem der Felsen ist ein Relief nicht zu übersehen. Es ist vier mal sechs Meter groß und zeigt, wie Christus vom Kreuz genommen wird. Datiert wird es meist auf das 12. Jahrhundert.
Entscheidend für die neuheidnische Sicht auf die Externsteine ist nun ein Detail dieses Reliefs: ein Gegenstand, auf den der Pharisäer Nikodemus geklettert ist, um Jesus vom Kreuz zu lösen. Manche erkennen darin eine Pflanze, andere einen Stuhl, wieder andere eine Säule.
"Also, wenn wir uns das aufgerichtet vorstellen, dann hätten wir eine Gabelsäule", sagt Cornelia Müller-Hisje, "eine Säule, die sich oben gabelt. Da sind wir dann natürlich sehr schnell bei dem, was uns erzählt wird. Also, Sachsen und Wikinger hatten die Vorstellung, die Erde ist eine Scheibe, wir haben die Himmelskuppel darüber, die wird gehalten von einer entsprechenden Gabelsäule. Und überall dort, wo sie eben ihre Gottesdienste abhielten, haben sie so etwas hingestellt."

Die Irminsul: heilige Säule der Sachsen

Manche sehen in dem Gebilde sogar die sächsische Gabelsäule schlechthin, die Irminsul. Sie soll im frühen Mittelalter das wichtigste Heiligtum der Sachsen gewesen sein. Es heißt, dass Karl der Große die Säule zerstören ließ, als er die Sachsen zum Christentum bekehrte.
Wo genau die Irminsul sich befunden haben soll, darüber wird viel spekuliert. Manche vermuten: Sie stand oben auf den Externsteinen, und das Kreuzabnahmerelief zeigt die gebeugte Irminsul.
"Wenn sie es ist, gibt es natürlich mehrere Interpretationsmöglichkeiten", sagt Maik Fleck, der viele Jahre Pfarrer in einer nahe gelegenen evangelisch-reformierten Gemeinde war:
"Entweder wollte derjenige, der eine gebogene Irminsul dort hingemacht hat, sagen: Das ist etwas, was erledigt ist. Man kann auch eine freundliche Formulierung finden, die bedeutet: Es ist etwas, was jemandem hilft, zu Christus zu kommen."

Anziehungspunkt für Neuheiden und Neonazis

Weithin bekannt wurde die Irminsul-These, als auch die Nationalsozialisten in den Externsteinen ein vorchristliches Heiligtum sehen wollten. So zieht es bis heute nicht nur Neuheiden zu den Felsen, sondern auch Neonazis.
"Das letzte Mal, dass ich mit einer Gruppe vor drei Monaten an den Externsteinen war, ist es mir passiert, dass ich eben als Pfarrer beschimpft worden bin", erzählt Fleck: "Ich hätte da nichts zu suchen, das wäre der geheiligte Platz unserer germanischen Vorfahren."
Maik Fleck hat an den Externsteinen schon einige Gottesdienste gefeiert. In der Osternacht, aber auch zur Wintersonnenwende kurz vor Weihnachten, in einer Nacht also, die auch für viele Neuheiden von religiöser Bedeutung sei:
"Ganz viele Adventslieder gehen von der tiefsten Nacht aus. Die ist nun mal zwischen dem 21. und dem 22. Von daher war es zunächst mal kalendarisch naheliegend, hat aber auch das deutliche Signal: Wir sind da."

Steine flogen auf die Feiernden

Es ist dem Pfarrer wichtig, die Externsteine nicht den Rechtsextremen zu überlassen. Die kamen bis vor einigen Jahren vor allem zum 1. Mai und zur Sommersonnenwende, neben Neuheiden, Esoterikern und anderen, bis die Behörden die großen Feiern verboten haben.
"Ich würde nicht zur Sommersonnenwende das machen, weil da würde ich viel stärker in die Konfrontation gehen. Das will ich nicht. Ich habe nicht vor, Märtyrer zu werden", sagt Fleck, denn er hat an den Externsteinen auch schon gefährliche Situationen erlebt:
"Es ist, Gott sei Dank, nichts passiert, aber es hat durchaus ein Jahr gegeben, dass eben Steine von oben auf uns unten vorm Kreuzabnahmerelief geworfen worden sind."

Verknüpfung von Rechtsextremismus und Religion

"Die harte rechte Szene ist ganz stark geprägt von einem christenfeindlichen Heidentum", sagt der Theologe Johann Hinrich Claussen. "Und da stehen die Externsteine in ganz besonderer Weise für eine Verknüpfung von Rechtsextremismus und Religion".
Claussen hat gerade ein Buch über "Die seltsamsten Orte der Religionen" veröffentlicht, in dem es auch um die Externsteine geht:
"Da waren zu Sonnenwendzeiten Zehntausende und trommelten und tanzten und rieben sich an den Felsen und hatten auch noch andere Geschichten am Laufen. Da ist es, finde ich, völlig richtig, wenn eine Behörde das unterbindet und auch einschränkt."
Wichtiger aber als das Einschränken sei natürlich das Informieren, "sodass man sich selbst ein Bild machen kann."

Die Felsen regen die Fantasie an

Dieses Informieren übernimmt auch die Gästeführerin Cornelia Müller-Hisje. Immer wieder muss sie aufräumen mit vorchristlichen Deutungen der Externsteine, obwohl sie gut verstehen kann, dass die Felsen die Fantasie anregen:
"Also das ist schon sehr mystisch. Vielleicht haben andere Zeiten das anders gesehen. Vielleicht sind wir gerade auch auf der Suche nach etwas Mystik, weil uns das Leben einfach viel zu real geworden ist."
So sagen die Legenden und Konflikte um die Externsteine vor allem etwas über uns selbst aus. Man streitet sich über uralte Felsen – und damit auch über unsere heutige Identität.

Johann Hinrich Claussen: "Von versteckten Kirchen, magischen Bäumen und verbotenen Schreinen. Die seltsamsten Orte der Religionen"
Verlag C.H. Beck, München 2020
239 Seiten, 20 Euro

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