Chef des UN-Umweltprogramms: Umdenken in Atompolitik erforderlich
Sollte man die Kernkraft als Lösung für die Zukunft begreifen, seien "4000 neue Kernkraftwerke" nötig, um den weltweiten Energiebedarf zu decken, sagt der Exekutivdirektor des UN-Umweltprogramms (UNEP), Achim Steiner.
Jan-Christoph Kitzler: Das sicherste Anzeichen dafür, dass anderswo im Universum intelligentes Leben existiert, ist, dass noch niemand versucht hat, Kontakt mit uns aufzunehmen. – Dieses Zitat aus "Calvin and Hobbes" passt vielleicht ein bisschen in die aktuelle Zeit. Die Lage in Japan zum Beispiel, sie ist viel zu schrecklich, aber dennoch stellen sich jetzt ganz viele Fragen, zum Beispiel die, wie es jetzt weitergeht mit der Atomkraft. Die Folgen der Explosion und der Kernschmelze im Atomkraftwerk Fukushima 1, sie sind noch gar nicht absehbar, aber natürlich ist das jetzt der Moment zu fragen, ob wir so weitermachen wollen, ob wir nicht eine neue Energiepolitik weltweit brauchen? Darüber spreche ich nun mit Achim Steiner, er ist der Leiter des Umweltprogramms der Vereinten Nationen, UNEP, guten Morgen nach Nairobi!
Achim Steiner: Guten Morgen!
Kitzler: Können Ihre Mitarbeiter denn schon übersehen, gibt es Voraussagen, wie groß die Schäden für die Umwelt in Japan nach der Katastrophe sein werden?
Steiner: Aufgrund der sich stündlich verändernden Entwicklung ist es sicherlich verfrüht, wenn man jetzt schon konkrete Aussagen darüber machen würde, welche Konsequenzen entstehen, denn bis jetzt ist ja noch nicht der sogenannte Super-GAU eingetreten. Das heißt, das, was bislang an radioaktivem Material in die Umwelt gelang ist, ist noch nicht an einem Punkt, wo es von sagen wir mal weitreichenden Konsequenzen sein kann. Wobei wir natürlich im Augenblick jede Stunde verfolgen. Sollte es zu einer Kernschmelze kommen, sollte auch vor allem der Reaktorkern und die Sicherheitsschutzmäntel nicht mehr funktionieren, dann haben wir natürlich einen Austritt von radioaktivem Material von Jod bis Cäsium, das natürlich direkte Konsequenzen auf die Natur – also Mensch vor allem, aber natürlich Säugetiere, das sind die zwei Gruppen, die am ehesten davon betroffen sind –, dann werden natürlich da auch Konsequenzen entstehen. Und hier beziehen wir uns auf die Forschungsarbeit auch aufgrund der Ergebnisse von Tschernobyl, die wir über viele Jahre inzwischen verfolgt haben.
Kitzler: Als ein günstiges Szenario wird jetzt ja beschrieben, wenn die Wolke, wenn sie denn entstehen sollte, nicht auf das Festland getrieben wird, sondern auf den Pazifik. Aber kann die Wolke nicht auch da großen Schaden anrichten?
Steiner: Kann sie, je nachdem inwiefern diese Wolke konzentriert an einem Ort sozusagen wieder entweder auf Land oder auf Lebewesen tritt. Das ist natürlich schwer vorauszusagen, der Pazifik ist eine riesengroße Region. Aber wir wissen ja auch aus der Erfahrung mit Tschernobyl, dass radioaktives Material in der Atmosphäre über Tausende Kilometer weit reisen kann, das heißt, auch Gegenden, die viel weiter entfernt sind von Japan, können dadurch betroffen werden. Aber natürlich ist die Konzentration dann eine viel geringere.
Kitzler: Die Frage ist jetzt natürlich auch, was wir aus der japanischen Katastrophe lernen: Denken Sie oder erwarten Sie, dass es jetzt ein Umdenken gibt weltweit in der Energiepolitik?
Steiner: Ich glaube, wann immer wir solche Katastrophe, solche Krisen haben, ist das auch ein Moment zu reflektieren, ob wir wirklich auf dem richtigen Wege sind, die großen Fragen der Menschheit – ob das die Energieversorgung, die Nahrungsmittelversorgung – in der Zukunft auf die richtigen Gleise leiten. Und natürlich darf man im Augenblick sozusagen im Schlaglicht dieser Krise nicht sofort grundsätzliche Diskussionen führen, man muss erst einmal sehen, wie man eine halbe Millionen Menschen in Japan unterstützen kann, die im Augenblick ohne ein Haus, eine Wohnung, ein Dach über dem Kopf sind, und natürlich auch die Krise mit den Kraftwerken selber bewältigen, aber ich denke mir, die Diskussion wird kommen, wie sie auch in der Vergangenheit gekommen ist, bei Tschernobyl, bei Three Mile Island. Ich hoffe nur, dass man in der Zukunft zwei Fragen ganz konkret angeht: Das eine ist eine Risikoabwägung, denn natürlich, bei jeder Technologie gibt es Risiken, und wir erleben gerade in Japan, dass natürlich die Nukleartechnologie ganz besondere Risiken in sich birgt, und ist das die Antwort auf die zukünftige Energieversorgung auch im Hinblick auf Klimawandel? Und hier muss man sich immer wieder vor Augen halten: Sollte man die Kernkraft wirklich als Lösung für unsere Energiesituation der Zukunft begreifen, dann bedeutet das mindestens 4000 neue Kernkraftwerke weltweit. Das Zweite ist: Haben wir Alternativen, sind sie ökonomisch, sind sie auch von der Infrastruktur her machbar? Und ich glaube, da verändert sich sehr viel in der Welt im Augenblick, nicht zuletzt aufgrund der viel niedrigeren Kosten bei erneuerbaren Energien, und auch die Energieeffizienz denke ich mir wird viel mehr in den Vordergrund treten in den kommenden Monaten.
Kitzler: Die Frage ist natürlich auch, ob wir Alternativen haben, um die Klimaschutzziele zu erreichen. Da wurde ja immer die Atomkraft hergeführt als ein gutes Beispiel, weil die Atomkraft kein CO2 produziert.
Steiner: Das ist in der Tat ein Argument, aber natürlich wie bei allen Technologien muss man Risikoabwägung betreiben. Und ich glaube, wenn man sich heute die Möglichkeiten betrachtet, die die Länder haben, verschiedene Energiemix und Wege zu gehen, dann ist glaube ich das Argument, dass die Kernkraft die einzige Möglichkeit ist, sicherlich ein Argument oder ein Grund, den man erst einmal hinterfragen muss. Es ist, wie viele sie beschreiben, vielleicht eine Brückentechnologie, die Frage ist nur, ist diese Brückentechnologie mit den Risiken, die damit verbunden sind, es wert, dass man noch mal auf sie setzt, oder sollte man jetzt schon viel intensiver erst einmal in Energieeffizienz investieren? Das ist ja fast der einfachste Weg, wie können wir unseren Energieverbrauch erst einmal reduzieren. Und zweitens können wir in alternative Technologien investieren. Und da gibt es sehr viele Möglichkeiten heute, und ein Land wie Deutschland und auch viele andere sind ja inzwischen auch auf dem Weg zu sagen, wir werden in den nächsten 20 bis 40 Jahren bis auf 80 Prozent erneuerbare Energien gehen. Das heißt, kann man diese Zeitlinie verkürzen, kann man durch gezielte Investitionen die Abhängigkeit von einer Technologie reduzieren?
Kitzler: Sie haben hautnah die Verhandlungen mit verfolgt oder mit begleitet über die Klimaschutzziele, die weltweiten. – Was glauben Sie, kann man eine globale Energiewende überhaupt steuern, oder haben Sie jegliche Illusion verloren, dass es überhaupt machbar ist?
Steiner: Erst einmal muss man natürlich sehen, dass sie ja gesteuert wird. Sie wird einerseits gesteuert von denen heute, die die fossilen Brennstoffe auf den Weltmarkt bringen, und das merken wir ja auch an den Preisen im Augenblick, dort findet eine Steuerung statt; zweitens haben natürlich auch die Unternehmen und die Investoren, die in einen bestimmten Technologieweg investiert haben, einen sehr großen Einfluss auf die öffentliche Diskussion. Ich glaube, die Aufgabe von Regierungen und auch von uns allen muss es immer wieder sein zu hinterfragen, ist das die beste Lösung? Und wenn ich Ihnen jetzt sage, dass wir im vergangenen Jahr über 210 Milliarden weltweit in erneuerbare Energien investiert haben und das mehr Geld war als für Öl, Gas und Kohle zusammen genommen, dann sieht man, dass die Erneuerbaren schon in einer ganz anderen Dimension heute eine Alternative darstellen als noch vor zehn Jahren. Und damit darf man sich nicht sozusagen mit dem Argument zufriedengeben zu sagen, wir haben keine Alternativen, wir haben Möglichkeiten! Die Frage ist, sind wir bereit in sie zu investieren auch mit einer langfristigen Perspektive.
Kitzler: Das meint Achim Steiner, der Leiter des Umweltprogramms der Vereinten Nationen, UNEP. Haben Sie vielen Dank dafür!
Steiner: Vielen Dank!
Achim Steiner: Guten Morgen!
Kitzler: Können Ihre Mitarbeiter denn schon übersehen, gibt es Voraussagen, wie groß die Schäden für die Umwelt in Japan nach der Katastrophe sein werden?
Steiner: Aufgrund der sich stündlich verändernden Entwicklung ist es sicherlich verfrüht, wenn man jetzt schon konkrete Aussagen darüber machen würde, welche Konsequenzen entstehen, denn bis jetzt ist ja noch nicht der sogenannte Super-GAU eingetreten. Das heißt, das, was bislang an radioaktivem Material in die Umwelt gelang ist, ist noch nicht an einem Punkt, wo es von sagen wir mal weitreichenden Konsequenzen sein kann. Wobei wir natürlich im Augenblick jede Stunde verfolgen. Sollte es zu einer Kernschmelze kommen, sollte auch vor allem der Reaktorkern und die Sicherheitsschutzmäntel nicht mehr funktionieren, dann haben wir natürlich einen Austritt von radioaktivem Material von Jod bis Cäsium, das natürlich direkte Konsequenzen auf die Natur – also Mensch vor allem, aber natürlich Säugetiere, das sind die zwei Gruppen, die am ehesten davon betroffen sind –, dann werden natürlich da auch Konsequenzen entstehen. Und hier beziehen wir uns auf die Forschungsarbeit auch aufgrund der Ergebnisse von Tschernobyl, die wir über viele Jahre inzwischen verfolgt haben.
Kitzler: Als ein günstiges Szenario wird jetzt ja beschrieben, wenn die Wolke, wenn sie denn entstehen sollte, nicht auf das Festland getrieben wird, sondern auf den Pazifik. Aber kann die Wolke nicht auch da großen Schaden anrichten?
Steiner: Kann sie, je nachdem inwiefern diese Wolke konzentriert an einem Ort sozusagen wieder entweder auf Land oder auf Lebewesen tritt. Das ist natürlich schwer vorauszusagen, der Pazifik ist eine riesengroße Region. Aber wir wissen ja auch aus der Erfahrung mit Tschernobyl, dass radioaktives Material in der Atmosphäre über Tausende Kilometer weit reisen kann, das heißt, auch Gegenden, die viel weiter entfernt sind von Japan, können dadurch betroffen werden. Aber natürlich ist die Konzentration dann eine viel geringere.
Kitzler: Die Frage ist jetzt natürlich auch, was wir aus der japanischen Katastrophe lernen: Denken Sie oder erwarten Sie, dass es jetzt ein Umdenken gibt weltweit in der Energiepolitik?
Steiner: Ich glaube, wann immer wir solche Katastrophe, solche Krisen haben, ist das auch ein Moment zu reflektieren, ob wir wirklich auf dem richtigen Wege sind, die großen Fragen der Menschheit – ob das die Energieversorgung, die Nahrungsmittelversorgung – in der Zukunft auf die richtigen Gleise leiten. Und natürlich darf man im Augenblick sozusagen im Schlaglicht dieser Krise nicht sofort grundsätzliche Diskussionen führen, man muss erst einmal sehen, wie man eine halbe Millionen Menschen in Japan unterstützen kann, die im Augenblick ohne ein Haus, eine Wohnung, ein Dach über dem Kopf sind, und natürlich auch die Krise mit den Kraftwerken selber bewältigen, aber ich denke mir, die Diskussion wird kommen, wie sie auch in der Vergangenheit gekommen ist, bei Tschernobyl, bei Three Mile Island. Ich hoffe nur, dass man in der Zukunft zwei Fragen ganz konkret angeht: Das eine ist eine Risikoabwägung, denn natürlich, bei jeder Technologie gibt es Risiken, und wir erleben gerade in Japan, dass natürlich die Nukleartechnologie ganz besondere Risiken in sich birgt, und ist das die Antwort auf die zukünftige Energieversorgung auch im Hinblick auf Klimawandel? Und hier muss man sich immer wieder vor Augen halten: Sollte man die Kernkraft wirklich als Lösung für unsere Energiesituation der Zukunft begreifen, dann bedeutet das mindestens 4000 neue Kernkraftwerke weltweit. Das Zweite ist: Haben wir Alternativen, sind sie ökonomisch, sind sie auch von der Infrastruktur her machbar? Und ich glaube, da verändert sich sehr viel in der Welt im Augenblick, nicht zuletzt aufgrund der viel niedrigeren Kosten bei erneuerbaren Energien, und auch die Energieeffizienz denke ich mir wird viel mehr in den Vordergrund treten in den kommenden Monaten.
Kitzler: Die Frage ist natürlich auch, ob wir Alternativen haben, um die Klimaschutzziele zu erreichen. Da wurde ja immer die Atomkraft hergeführt als ein gutes Beispiel, weil die Atomkraft kein CO2 produziert.
Steiner: Das ist in der Tat ein Argument, aber natürlich wie bei allen Technologien muss man Risikoabwägung betreiben. Und ich glaube, wenn man sich heute die Möglichkeiten betrachtet, die die Länder haben, verschiedene Energiemix und Wege zu gehen, dann ist glaube ich das Argument, dass die Kernkraft die einzige Möglichkeit ist, sicherlich ein Argument oder ein Grund, den man erst einmal hinterfragen muss. Es ist, wie viele sie beschreiben, vielleicht eine Brückentechnologie, die Frage ist nur, ist diese Brückentechnologie mit den Risiken, die damit verbunden sind, es wert, dass man noch mal auf sie setzt, oder sollte man jetzt schon viel intensiver erst einmal in Energieeffizienz investieren? Das ist ja fast der einfachste Weg, wie können wir unseren Energieverbrauch erst einmal reduzieren. Und zweitens können wir in alternative Technologien investieren. Und da gibt es sehr viele Möglichkeiten heute, und ein Land wie Deutschland und auch viele andere sind ja inzwischen auch auf dem Weg zu sagen, wir werden in den nächsten 20 bis 40 Jahren bis auf 80 Prozent erneuerbare Energien gehen. Das heißt, kann man diese Zeitlinie verkürzen, kann man durch gezielte Investitionen die Abhängigkeit von einer Technologie reduzieren?
Kitzler: Sie haben hautnah die Verhandlungen mit verfolgt oder mit begleitet über die Klimaschutzziele, die weltweiten. – Was glauben Sie, kann man eine globale Energiewende überhaupt steuern, oder haben Sie jegliche Illusion verloren, dass es überhaupt machbar ist?
Steiner: Erst einmal muss man natürlich sehen, dass sie ja gesteuert wird. Sie wird einerseits gesteuert von denen heute, die die fossilen Brennstoffe auf den Weltmarkt bringen, und das merken wir ja auch an den Preisen im Augenblick, dort findet eine Steuerung statt; zweitens haben natürlich auch die Unternehmen und die Investoren, die in einen bestimmten Technologieweg investiert haben, einen sehr großen Einfluss auf die öffentliche Diskussion. Ich glaube, die Aufgabe von Regierungen und auch von uns allen muss es immer wieder sein zu hinterfragen, ist das die beste Lösung? Und wenn ich Ihnen jetzt sage, dass wir im vergangenen Jahr über 210 Milliarden weltweit in erneuerbare Energien investiert haben und das mehr Geld war als für Öl, Gas und Kohle zusammen genommen, dann sieht man, dass die Erneuerbaren schon in einer ganz anderen Dimension heute eine Alternative darstellen als noch vor zehn Jahren. Und damit darf man sich nicht sozusagen mit dem Argument zufriedengeben zu sagen, wir haben keine Alternativen, wir haben Möglichkeiten! Die Frage ist, sind wir bereit in sie zu investieren auch mit einer langfristigen Perspektive.
Kitzler: Das meint Achim Steiner, der Leiter des Umweltprogramms der Vereinten Nationen, UNEP. Haben Sie vielen Dank dafür!
Steiner: Vielen Dank!