Charles Foster: „Jagen, sammeln, sesshaft werden"

Radikale Selbstexperimente

06:35 Minuten
Cover von Charles Fosters Buch „Jagen, sammeln, sesshaft werden".
© Malik

Charles Foster

Aus dem Englischen von Gerlinde Schermer-Rauwolf und Robert A. Weiß

Jagen, sammeln, sesshaft werden. Meine Abenteuer in 40.000 Jahren MenschheitsgeschichteMalik, München 2022

416 Seiten

24,00 Euro

Von Susanne Billig · 19.10.2022
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Der Naturkundler und Schriftsteller Charles Foster hat schon versucht, sich in Otter, Dachs und Hirsch zu verwandeln. Er scheiterte am Mauersegler. In seinem neuen Buch interessiert ihn nun das Scheitern der gesamten Menschheit.
Was er sage, sei abgedroschen, schimpft der Professor. Der Mensch sei ein Tier – na und? Noch der lahmste seiner Studierenden könne die darwinsche Binsenweisheit im Schlaf herunterbeten.
In seinem neuen Buch „Jagen, sammeln, sesshaft werden“ erzählt Charles Foster, wie er tief Luft geholt hat, um jenen Professor, der keine Form der Erkenntnis jenseits der exakten Naturwissenschaften gelten lassen wollte, argumentativ an die Wand zu pressen. Genauso funktioniert sein Buch: Charles Foster holt Luft, schärft Gefühl und Messer – und schlägt los.

Foster haust in Wäldern, hungert, friert

Dazu dienen ihm einmal mehr radikale Selbstexperimente. Um das Leben des Homo sapiens in der jüngeren Altsteinzeit nachvollziehen zu können – vor 40.000 Jahren soll sich „kulturelle Modernität“ entwickelt haben, mit Begräbnisriten, Musik und Malerei – haust er in Wäldern, hungert und friert und kämpft mit den tausend Dämonen, die der Prozess der Zivilisation ihm implantiert hat.
Manchmal zieht am Horizont als Vision Urahn X vorbei, lächelnd vielleicht oder mit seinen feinen Sinnen ganz woanders. „Jäger und Sammler waren Nomaden“, schreibt Charles Foster, „aufs Innigste, in ehrfürchtiger und oft ekstatischer Weise mit dem Land und vielen Geschöpfen verbunden“.

Der Mensch als Herrscher und Gegenentwurf

Im zweiten Teil taucht der Autor in die Jungsteinzeit ein. Brutalisierung, Rodung, Zähmung und Zurichtung. Der Mensch als Herrscher und Gegenentwurf. Charles Foster besucht Öko-Bauern, schockt sie mit seiner Verachtung, lässt sich in Schlachtfabriken das Killen am Fließband zeigen. Im letzten Drittel dann die Begegnung mit dem „Aufklärungstaliban“, wie er den Professor nennt, dem die Lust am gemeinsamen Abendessen vergeht, als Foster ihm von Intuitionen und außerkörperlichen Bewusstseinszuständen erzählt.
Sprunghaft schreibt der Autor, Teile seiner Selbstexperimente stranden im erzählerischen Nirgendwo. Dann wieder schwingt er sich, bewehrt mit Sachliteratur, aus der er intensiv zitiert, zu kraftvollen Höhen auf, beflügelt von einem ansteckenden Furor wider die selbstgewählte Unmündigkeit und Käfighaltung aufgrund eines absurd verengten Verständnisses dessen, was es heißt, zu denken, zu wissen, zusammen zu sein.

Wach, lebendig, neugierig

Nein, Charles Fosters Ansatz ist nicht abgedroschen. Als Homo sapiens, kleine Teilmenge der fühlenden Lebewesen, haben wir weit über 90 Prozent unserer Zeit auf diesem Planeten genauso gelebt wie alle anderen, unterstreicht der Autor. Nicht als Herrscherinnen und Herrscher, nicht einmal als Gegenüber, sondern mittendrin, wach, lebendig, neugierig, aufmerksam, beobachtend, selten eingreifend, als Einzelne ohne besondere Bedeutung, weil offensichtlich war, dass sich die atemberaubende Schönheit und Mächtigkeit des Ganzen aus dem Fluss der Vielen ergab.
Das ernst zu nehmen, kann nur heißen, aus den akademischen Kästchen, dem Festtackern in Schriften und Begriffen auszubrechen, es zu malen, zu musizieren, zu tanzen, in schamanischen Reisen zu durchmessen. Als „exzentrisch“ wird der Brite Charles Foster von der Buchkritik häufig bezeichnet. Ein dummes Klischee, denn das hier ist keine Exzentrik, sondern hingebungsvolle Konsequenz.
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