150. Geburtstag von C.G. Jung
Der Schweizer Psychotherapeut Carl Gustav Jung beschäftigte sich nicht nur mit der menschlichen Seele, sondern auch mit Mandalas, Alchemie, Okkultem und Mythen. Eine faszinierende, aber auch umstrittene Persönlichkeit. © picture alliance / Keystone / str
Jeder kann beim Traumdeuter fündig werden

Carl Gustav Jung gilt als zentrale Figur der frühen Psychoanalyse. Er verband Psychologie mit Mythologie und Religion und war eine schillernde Persönlichkeit. Vor 150 Jahren, am 26. Juli 1875, wurde er geboren.
Im Internet finden sich jede Menge Zitate - oder vermeintliche Zitate - von C.G. Jung. „Alles, was uns an anderen stört, kann uns helfen, uns selbst besser zu verstehen" wird beispielsweise gerne auf Bildkacheln gepostet. Auch sehr beliebt: „Wer nach außen schaut, träumt; wer nach innen schaut, wacht auf". Oder:, „Man muss jeden Menschen wirklich als Menschen nehmen und darum seiner Eigenart entsprechend behandeln“.
C.G. Jung, Begründer der analytischen Psychologie, passt anscheinend wunderbar in unsere Zeit des Coaching, der Selbstfindung und Selbstoptimierung, der Suche nach dem individuellen Glück. Oberflächlich gesehen jedenfalls. Doch wer war C.G. Jung und welche Bedeutung hat sein Werk heute noch?
Was sind Jungs wichtigste Theorien?
Der 1875 geborene Schweizer Pfarrerssohn hat ein ebenso weitläufiges wie vages psychologisches Lehrgebäude errichtet. Das zentrale Konzept in Jungs therapeutischen Arbeiten – der sogenannte Individuationsprozess – lässt sich vereinfacht in dem Satz zusammenfassen: Werde, wer du bist.
„Dahinter steckt der Gedanke, dass das Unbewusste uns einen Weg weist zu unserer wahren Persönlichkeit“, sagte der Psychologe und Wissenschaftsjournalist Steve Ayan in der Sendung „Sternstunden der Philosophie“ auf 3sat.
Während es bei Sigmund Freuds Analyseansatz vor allem um individuelle, oft verdrängte Erfahrungen geht, die in der Therapie wieder offengelegt werden, basiert Jungs Ansatz auf der Annahme, dass es ein kollektives Unbewusstes gibt - einen Pool an festgeschriebenen, archetypischen psychischen Mustern und Verhaltensweisen, die den Menschen innewohnen und von einer Generation auf die nächste vererbbar sind.
Wir besitzen also Jung zufolge eine Art wahres Wesen, das nur noch entfaltet werden muss. „Der Mensch trägt ein Ziel bereits in sich. Und der Mensch geht den Weg auf dieses in sich habende Ziel hin. Das ist die Lebensaufgabe“, beschreibt Psychotherapeutin Elisabeth Kauder vom C.G. Jung-Institut Stuttgart im BR-Podcast „Religion – Die Dokumentation“ einen der zentralen Punkte von Jungs analytischer Psychologie.
Um dem eigenen Lebensziel – ob von Gott gegeben oder von eigenen Erfahrungen und Kräften getragen – Raum zu geben, können oder müssen wir uns mit dem Unterbewussten auseinandersetzen, so die These Jungs. Er nennt den Weg Individuationsprozess.
Wer war Carl Gustav Jung?
Carl Gustav Jung wird am 26. Juli 1875 im Schweizer Kanton Thurgau geboren. Der Vater ist evangelischer Pfarrer. Die Mutter interessiert sich für Spiritismus und Okkultismus. In seiner Autobiografie „Träume, Erinnerungen, Gedanken“ schildert Jung, wie Träume ihm bereits als Kind den Weg zu seiner späteren Laufbahn weisen. Jung studiert Medizin und promoviert mit einer Arbeit zur „Psychologie und Pathologie sogenannter okkulter Phänomene“.
Als junger Assistenzarzt arbeitet er an der Züricher psychiatrischen Klinik Burghölzli. Diese gilt zur damaligen Zeit als fortschrittlich, denn dort werden schon Therapien angewandt, während psychisch Kranke anderswo nur weggesperrt werden.
Jung führt in Burghölzli Assoziationsexperimente mit Patienten durch. Auf vorgelesene Worte geben die Patienten freie assoziative Antworten. Jung möchte dadurch auf sogenannte Komplexe schließen – auf unbewusste Konfliktpunkte der Patienten.
Jung sieht Parallelen zwischen seiner und Sigmund Freuds Arbeit. Er schickt eine Kopie seines Buches „Diagnostische Assoziationsstudien“ an Freud. Der ist begeistert. Freud wird zu einer Art Vaterfigur für C.G. Jung.
Freud wiederum ist glücklich, einen nichtjüdischen Anhänger seiner Lehren gefunden zu haben. Auf Bitten Freuds hin wird Jung erster Präsident der neu gegründeten „Internationalen Psychoanalytischen Gesellschaft“. Sigmund Freud, Alfred Adler und Carl Gustav Jung werden zu zentralen Figuren der frühen Psychoanalyse.
Was sind die Unterschiede zwischen Jung und Freud in der Erforschung des Unbewussten?
Für Freud als auch Jung ist die Traumanalyse ein zentraler Punkt im jeweiligen Werk. Freud sieht im Traum ein Medium der Verarbeitung von Triebkonflikten, verpönten Wünschen und verdrängter Sexualität. Für Jung verbinden Träume den Menschen mit urmenschlichen Erfahrungen. Auch kann es in Träumen seiner Ansicht nach um Weichenstellungen und Vorhersagen im Hinblick auf die Zukunft gehen.
Jung entwickelt seine eigene psychologische Schule, deren zentrale Vorstellung darin besteht, dass in jedem Menschen ein eigenes Lebensziel liegt und es ein kollektives Unbewusstes gibt. Spiritualität und Religion spielen für Jung dabei eine zentrale Rolle. In seiner Schrift „Wandel und Symbole der Libido“ distanziert er sich von der Freudschen Sexualtheorie.
Auch Freuds für die Psychoanalyse grundlegendes Werk „Die Traumdeutung“ verwirft Jung, es kommt zum Bruch zwischen den beiden Denkern. Danach beginnt Jung, seine eigenen Träume und Fantasien in einem Tagebuch festzuhalten. Niemand bekommt dieses „Rote Buch“ zu Gesicht. Erst lange nach seinem Tod wird es veröffentlicht.
C.G. Jung und der Nationalsozialismus
C.G. Jung schließt sich nicht offen dem Nationalsozialismus an, doch als die Nazis die psychologischen Fachgesellschaften in Deutschland gleichschalten und deren jüdische Mitglieder ausschließen, wird Jung der neue Präsident der Psychotherapie-Gesellschaft. Auch äußert er sich zu einem vermeintlichen "arischen" und "jüdischen" Unbewussten.
„Prominenz scheint Jung über alles gegangen zu sein, Neid und Ressentiment ließen ihm keine Ruhe, er wollte berühmter sein und besser schreiben als Freud. Darob wurde er zum Opportunisten“, schreibt Urs Hafner im „Tagesanzeiger“ über die Motive von Jungs Verbindung zu den Nationalsozialisten.
Auch lege Jungs Theorie vom kollektiven Unterbewussten mit seinen Märchen und Mythen den Gedanken nahe, „das auf verschiedene Nationen und Kulturgeschichten zu beziehen, also eine Art Völkerpsychologie zu betreiben“, sagt der Psychologe und Wissenschaftsjournalist Steve Ayan. „Das hat Jung auch sehr früh schon getan. Das ist ein kritischer Aspekt, von dem wir uns heute eher distanzieren würden.“
Welche Bedeutung hat C.G. Jung heute?
Jung war schon zu Lebzeiten populär. Wissenschaftsjournalist Steve Ayan beschreibt ihn als eine „sehr charismatische Gestalt“: groß, athletisch und mit einem großen Selbstbewusstsein ausgestattet. „Sein Name ruft bis etwa in die 1980er-Jahre Begeisterung hervor unter Menschen, die psychologisch interessiert sind, sich aber nicht in die starren Regeln einer Psychoanalyse nach Sigmund Freud begeben wollen“, heißt es im BR-Podcast „Religion – Die Dokumentation“.
Heute – 150 Jahre nach seiner Geburt – ist C.G. Jung in Bezug auf die Psychoanalyse weniger im Gespräch. Doch findet sich sein Name immer wieder in der Ratgeber- und Lebenshilfeliteratur und bei Persönlichkeitstests wieder: beispielsweise beim sogenannten Myers-Briggs-Typenindikator (MBTI), der umstritten ist.
Dass Jungs Name sich heutzutage so oft in der Welt des Coaching und der Lebenshilfe findet, mag daran liegen, dass er ein Grenzgänger zwischen Wissenschaft und Spiritualität war und reichlich Raum lässt, um sein Werk zu interpretieren. Die Jungsche Psychologie verbindet Literatur, Mythologie, Religion, Völkerkunde und Okkultismus mit einer Theorie der Entwicklung der individuellen Persönlichkeit: Jeder, der hier sucht, kann fündig werden.
lkn