Buttermilch statt Pfeffernüsse

Von Kirsten Westhuis · 03.12.2011
Fasten vor Ostern, das kennen viele Christen. Fasten im Advent, das ist eher unbekannt. Ursprünglich war der Advent aber genau dafür vorgesehen. Im Benediktiner-Kloster Nützschau in Schleswig-Holstein kommen Gläubige heute noch zum Fasten zusammen.
Klare Gemüsebrühe dampft in den Terrinen auf den Tischen im Speisesaal des Klosters Nütschau bei Bad Oldesloe, nordöstlich von Hamburg. 18 Männer und Frauen löffeln schweigend ihre Suppe. Brühe, Tee, Wasser, Saft und ein Glas Buttermilch - 10 Tage lang verzichten sie komplett auf feste Nahrung.

Eine Ärztin steht täglich für medizinische Fragen rund ums Fasten zur Verfügung. Um die Kalorien geht es hier im Kloster nicht. Heil-Fasten bezieht sich hier auf das geistliche Heil, sagt Pater Willibrord Böttges, der Leiter des Kurses:

"Im Kloster wird auf den geistlichen Aspekt sicher mehr eingegangen, weil wir den Menschen ganzheitlich sehen. Seele, Leib, aber wir sehen auch immer die Seele als das in Anführungszeichen Kontaktorgan zu Gott, sodass ich sagen würde, der Mensch ist in seiner Ganzheit gesehen, wenn der Glaube mit hineinspielt."

Glauben und glaubern: Am ersten Tag geht es noch um den Körper, die Darmentleerung mithilfe von Glaubersalz oder um kleine Startschwierigkeiten wie Kopfschmerzen und Müdigkeit. Doch ganz schnell breiten sich Kontemplation und Stille aus. Willibrord Böttges gibt geistliche Impulse, betet und meditiert mit den Gästen:

"Das christliche Fasten ist immer auf etwas ausgerichtet, es ist ausgerichtet darauf, sensibler zu werden für die Gegenwart Gottes, in der ich immer lebe, die ich aber schwer wahrnehmen kann. Und durch das Fasten werden die inneren Sinne sensibler, die Sinne der Seele, die inneren Augen gehen auf, die inneren Ohren gehen auf und darum geht es eigentlich, da gehört Stille und Fasten zu."

Von vielen Figuren der jüdisch-christlichen Tradition ist überliefert, dass sie fasteten. So etwa Mose, bevor er die Israeliten aus Ägypten führte, König David ebenso wie Johannes der Täufer und Jesus selbst, der für 40 Tage in die Wüste ging. Vor wichtigen Ereignissen stand eine Fastenzeit. So wurde es schließlich auch in der frühen Kirche gehalten: vor den Hochfesten, vor der eigenen Hochzeit, vor der Teilnahme an der Eucharistie und üblicherweise mittwochs und freitags zur Erinnerung an Verrat und Kreuzigung Jesu.

In Nütschau schweigen die Fastenden bis zum Nachmittagstee um halb drei. Danach gehen sie in Gummistiefeln und dicken Winterjacken in den Wald.

A. M. Wauter: "Wir sägen auf'n Meter genau. Und das bringt richtig Spaß und wir haben uns so einen Brocken ausgesucht hier. Mit drei Mann ist das eine Leichtigkeit für uns. Nach der Buttermilch morgens und mittags die leckere Suppe - es ist einfach herrlich. Und jetzt dürfen wir reden, was wir sonst in Schweigen hüllen."

Peter Tietjen: "Es ist schön, dass man hier mal so den ganzen Müll abbauen kann, auch den seelischen Müll, was man so mit sich rumschleppt. Und das Fasten als solches ist eine willkommene Gelegenheit, wirklich mal aufzuräumen, bisschen fernab von allen Dingen, nicht so viel an sich rankommenlassen, über vieles nachdenken, viel ruhen, auch mal so Gedanken aufschreiben, all das, wo man im Alltag eigentlich nicht so die Zeit für hat."

Gilda Blädel: "Für mich bedeutet das runterzukommen, aus dem Alltag raus, aus dem ganzen Überfluss in dem wir leben raus zu kommen und sich mal wieder auf das Wesentliche besinnen, Gebet, Gruppengespräche, ja, und mal nichts essen, mal sehen, dass es auch ohne geht und dass es einem dabei wunderbar geht und dass man wunderbar Kraft entwickelt und Freude und Energie."

Anna Maria Wauter: "Fasten ist für mich in erster Linie der Kirchgang, deswegen bin ich eigentlich hier. Und Fasten ist nachher so leicht, wenn man erstmal die ersten Tage überstanden hat. Die ersten drei Tage geb ich zu, das war nicht ganz so witzig, aber jetzt merke ich schon, dass meine Seele sehr entfettet wird, wie Pater Willibrord so schön sagte."

Die Gebetszeiten geben den Benediktinern im Kloster Nütschau den Rhythmus vor. Ora et labora – beten und arbeiten heißt ihr Motto. Und auch die Klostergäste können an Vigil und Laudes, Angelus, Vesper, Messe und Komplet teilnehmen. Fasten im christlichen Sinne besteht immer aus der Trias Fasten – Beten – Almosen geben.

Die Tradition des Spendens in der Adventszeit hat sich gehalten. Dass der Advent in der Kirche lange eine Buß- und Fastenzeit war, wirkt heute, zwischen Glühwein, Plätzchen und Gänsekeule beinahe paradox. Daran sei die Kirche allerdings auch selbst beteiligt, sagt Böttges:

"Das ist leider so, auch die Kirche hat den Aspekt der Buße aus der Adventszeit schon länger herausgenommen. Es ist eher eine verhalten frohe Zeit, wo man auf Weihnachten zugeht und sich freut auf das Kommen des Erlösers."

Die besondere Vorbereitung auf Weihnachten suchen die Gäste, die sich ganz bewusst für das Fasten zu dieser Jahreszeit entschieden haben:

Gilda Blädel: "Mir ist bewusst geworden, dass man ganz viel von diesem ganzen Trubel der um uns rum ist, der schon im September anfängt, einfach abschütteln kann und auch überhaupt keine Lust drauf hat. Es geht mir einfach darum, dass das Fest nicht einfach nur so verkommt, dass man einfach ein bisschen in Besinnung lebt, das Wichtige ist mit der Familie zusammenzusitzen, Spieleabende zu machen, Kerzen anzuzünden, zu lesen, als hinterherzujachtern, wo finde ich jetzt vielleicht noch’n Lebkuchen und noch’n Stollen, der noch besser schmeckt – das muss alles nicht sein."

Auch wenn die vorweihnachtliche Fastenzeit außerhalb der Klöster keine Pflicht sei, so falle es mit leerem Bauch doch leichter, zwischen Glöckchen und Adventstrubel die Botschaft von Weihnachten wahrzunehmen, meint Benediktinerpater Willibrord Böttges:

"Dem Kind in der Krippe begegnen und sich klar machen, dass wir diesem Kind auch heute noch begegnen können und dass Christus eigentlich geboren werden möchte in jeder Seele, in jedem Menschen."

10 Tage im Schweigen, im Fasten, im Beten und auch im Sägen – so gehen die 18 Norddeutschen nüchtern und wach auf Weihnachten zu. Der Mensch lebt nicht vom Dominostein allein – das ist ihnen bewusster denn je. Doch bei aller Besinnung - nach 10 Tagen ohne Kauen melden sich dann doch irgendwann die Gedanken ans Essen, gerade beim anstrengenden Sägen im Wald:

"So die erste Moorrübe, die schmeckt wie der schönste Weihnachtsbraten. Die Geschmacksnerven sind so sensibilisiert, das ist schon sehr schön, aber wir hier schwärmen im Moment so von Eiskaffee und es ist tatsächlich so, nirgendwo werden so viele Rezepte ausgetauscht wie beim Fasten."

Willibrord Böttges: "Ich esse gerne Süßigkeiten, darauf freue ich mich auch, aber wir haben hier in Nütschau eine so gute Küche, dass ich mich fast auf jedes Essen freue."
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