Burkhard Hofmann: "Und Gott schuf die Angst"

Ohne Zweifel krank am Glauben

Buchcover "Und Gott schuf die Angst" und ein Schiit bei einer religiösen Zeremonie in Bahrein, wo Burkhard Hofmann als Psychotherapeut arbeitet.
Buchcover "Und Gott schuf die Angst" und ein Schiit bei einer religiösen Zeremonie in Bahrein, wo Burkhard Hofmann als Psychotherapeut arbeitet. © dpa / picture alliance / Sayed Baqer AlKamel / Droemer Verlag
Von Matthias Bertsch · 01.12.2018
Angst vor Individualität und die Allgegenwart des Glaubens: Das erlebt der Psychotherapeut Burkhard Hofmann bei der Behandlung arabischer Muslime im Nahen Osten immer wieder. Sein Buch wirft Fragen auf, auch nach dem Umgang mit Muslimen hierzulande.
Sie heißen Ameera, Mohamed oder Omar und stammen alle aus der oberen Mittelschicht. Darin unterscheiden sich Burkhard Hofmanns Patienten am Persischen Golf wenig von denen in seiner Praxis in Harvestehude, einem der reichsten Stadtteile Hamburgs:
"Wenn es einen wesentlichen Unterschied zu den Therapien in Hamburg gibt, dann dieses Riesenmaß an Präsenz des Glaubens in den Sitzungen. Ständig verweisen die Patienten auf eine Stelle im Koran, in den Hadithen oder der Tradition. Dann stehe ich vor einer als allein gültig verkündeten Wahrheit, und der direkte Zugang zum Patienten ist futsch."

Im kollektiven Erwartungskorsett

Hart darum ringen, um ins therapeutische Gespräch zu kommen: Hofmann beschreibt anschaulich, welch innere Kämpfe in seinen Patienten ablaufen. Das ist eine der Stärken seines Buches. Sie haben sich nicht zufällig diesen Therapeuten gesucht. Denn er führt – auf englisch - Gespräche über kulturelle Grenzen hinweg. Auf der einen Seite sitzt er, der zwar katholisch erzogene, aber doch längst säkularisierte Psychologe, der nicht zuletzt durch seine Therapieform westliche Ideale verkörpert: das Ideal der Autonomie und des Individuums.
Auf der anderen sitzen die arabisch-muslimischen Patienten. Auch sie sind natürlich Individuen – aber im starren kollektiven Erwartungskorsett der islamischen Gesellschaft um sie herum. Hofmann beschreibt nicht "den Muslim", sondern ganz konkrete Menschen, denen ihre Familien und Freunde aber kaum erlauben, dieses Korsett abzulegen.
Burkhard Hofmann: "Das Ideal der Gesellschaft ist ja die Gemeinschaft, das Beisammensein, nicht die Individuation, nicht die Separation, und das ist ja auch geradezu sündhaft, das zu wollen. Aber die menschliche Psyche will das. Wir wollen wir selber werden, wir wollen auch Einzelwesen sein, neben allem Gemeinschaftswesen, das wir sein wollen. Und dieser Wunsch, der ja auch im Westen exzessiv vorgelebt wird, dieser Wunsch ist, glaube ich, der eigentliche Angstauslöser, der verdrängt werden muss."

Äußerlich reich, innerlich arm

Hofmanns Patienten fliegen zum Studieren oder Shoppen um die ganze Welt. Doch sie werden ihr existenzielles Gefühl der Verlassenheit nicht los. Die Eltern haben sie zwar materiell verwöhnt, aber emotional waren sie kaum für sie da, die meisten wurden von Kindermädchen erzogen. Dieser Elternverlust ist für den Therapeuten die wichtigste Ursache für die tiefe Bindungslosigkeit, die er bei seinen arabischen Patienten ausmacht. Und gleichzeitig der Grund für ihren enormen Konsum an Psychopharmaka, mit dem sie ihre frühkindlichen Ängste zu bekämpfen versuchen.
Auch die Religion ist für Hofmann letztlich eine Art Psychopharmakon, oder mit Karl Marx zu sprechen: das Opium des Volkes. Die Göttlichkeit des Islam in Frage zu stellen – für seine Patienten ist das unvorstellbar.
"Yasmin hat mich, glaube ich, recht gut verstanden, als ich ihr 'unsere' Position in einer Sitzung einmal als 'existenzielle Heimatlosigkeit' beschrieb. Ich versuchte ihr nahezubringen, dass Atheismus dem Individuum einiges abverlangt. Das war ihr vorher nicht klar. Sie antwortete nur, dass sie nicht so einsam leben wolle und könne. Die Tröstungen der Glaubensgewissheit sind uns nur noch ansatzweise erlebbar, zu groß ist unser Zweifel. Manch einer im Westen mag bei so viel Gewissheit und damit Sicherheit neidisch werden."
Man kann kritisieren, dass Hofmann den Begriff "Zweifel an Gott" fast synonym für den "Atheismus" verwendet, doch an seiner Analyse ändert das wenig: Der Zweifel an Gott ist im Westen nicht mehr aus der Welt zu schaffen, davon ist der Psychotherapeut überzeugt. Ganz anders in der arabischen Welt. Hier stehe der Islam über allen Zweifeln – und damit auch über etwas, was für die westlichen Demokratien zentral ist: die Trennung von Kirche und Staat.
Burkhard Hofmann: "Das ist eine Vorstellung, die wir haben, aber ich glaube nicht, dass, wer diese Religion in seinem ursprünglichen Sinne leben will, diese Trennung vollziehen kann. Es ist ja auch schwierig, immer zu sagen, die Verfassung gilt als letzte Instanz über deinem religiösen Buch, dem Koran. Es macht ja gar keinen Sinn, dass sozusagen ein Menschenwerk über dem Gotteswerk stehen soll. Das ist widersinnig."

"Überlegenheitsgefühl unverzichtbarer Bestandteil des Islams"

Burkhard Hofmann hat in den letzten zehn Jahren am Persischen Golf knapp 60 Muslime behandelt. Das reicht nicht, um wissenschaftlich fundierte Aussagen zu treffen. Doch er dürfte in den monate- oder jahrelangen Therapien auf tiefere Schichten gestoßen sein, solche, die den meisten Wissenschaftlern oder Journalisten kaum zugänglich sind. Und diese Reisen ins Innere machen sein Buch so spannend. Ebenso wie seine Rückschlüsse für die deutsche Gesellschaft:
"Dies stellt die Frage nach dem Umgang mit dem eigenen muslimischen Bevölkerungsanteil und damit auch den Flüchtlingen. Wie sollen wir mit dem explizit Fremden umgehen? Toleranz trifft dort auf Schwierigkeiten, wo sie auf das Überlegenheitsgefühl des Gastes, des Flüchtlings, trifft. Dieses Überlegenheitsgefühl ist unverzichtbarer Bestandteil des Islams bei aller Freundlichkeit, die den anderen Buchreligionen entgegengebracht wird."

Wie sich Wirklichkeit bewältigen lässt

Es ist fraglich, ob diese Aussage so stimmt, oder ob der Islam nicht auch zu einer "bloß" persönlichen Wahrheit werden kann, ohne dass sich ihr Träger anderen überlegen fühlt. Es gibt solche Muslime, genauso wie es solche Christen und Juden gibt – von den säkularen Muslimen, für die der Islam als kulturelle Prägung zentral ist, ganz zu schweigen. Und doch ist es gut, dass Hofmann die andere Seite betont, denn die fehlende Bereitschaft vieler Muslime, ihre Religion in Frage zu stellen, ist kaum zu leugnen.
Wie aber soll das Zusammenleben aussehen, wenn die einen vor allem zweifeln und die anderen vor allem glauben? Burkhard Hofmann liefert keine Antwort auf diese Frage, aber als Psychotherapeut einen wichtigen Hinweis: "Wir sollten nicht versuchen, uns kompatibler zu geben, als wir sein können und vielleicht auch wollen," schreibt er gegen Ende des Buches: "Das Verleugnen des Trennenden hilft nicht bei der Wirklichkeitsbewältigung."

Burkhard Hofmann: "Und Gott schuf die Angst. Ein Psychogramm der arabischen Seele"
Droemer-Verlag, 286 Seiten, 19,99 Euro

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