Burak Yilmaz: "Ehrensache – Kämpfen gegen Judenhass“

Anarbeiten gegen Antisemitismus unter Muslimen

Burak Yilmaz im Gespräch mit Joachim Scholl |
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Burak Yilmaz arbeitet mit muslimischem Jugendlichen über Antisemitismus. Unter anderem fährt er mit ihnen nach Auschwitz. Nun hat er ein äußerst lesenswertes Buch über sich und seine Erfahrungen geschrieben.
Burak Yilmaz ist in Duisburg aufgewachsen, die Mutter musste hart kämpfen, um eine Gymnasialempfehlung für ihren Sohn zu bekommen, obwohl er Top-Noten hatte. Er besuchte ein katholisches Elitegymnasium, eine Zeit lang auch eine Koranschule, absolvierte in Bochum ein Lehramtsstudium und arbeitet jetzt als freier Pädagoge. Er organisiert unter anderem Fahrten nach Auschwitz mit muslimischen Teenagern.
Inzwischen hat ihn Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier mit dem Bundesverdienstorden ausgezeichnet, was auch in Burak Yilmaz' Umfeld deutliche Wirkungen hatte. In seinem Buch "Ehrensache – Kämpfen gegen Judenhass" berichtet Yilmaz, der inzwischen auch Berater des Antisemitismusbeauftragten der Bundesregierung ist, von seinen Erfahrungen.

"Wir sind Antisemiten, daran kannst du nichts ändern"

Die Initialzündung sei ein Erlebnis in einem Jugendzentrum gewesen. Vier Jugendliche, die er kannte, zeigten den Hitlergruß, er wirft sie raus, rennt hinterher und die Jugendlichen rufen ihm zu: "Wir sind Antisemiten, daran kannst du nichts ändern." Wie kann das sein, dass diese Jugendlichen mit so einem Selbstbewusstsein ins Jugendzentrum kommen und so volksverhetzend sind? Diese Frage habe er sich damals gestellt, schildert Burak Yilmaz heute.
Burak Yilmaz sagt, Antisemitismus unter Muslimen habe meist zwei Wurzeln. Er könne religiös begründet sein, dass man Jüdinnen und Juden als etwas Teuflisches oder Dämonisches sehe. "So ähnlich wie wir eine antisemitische Tradition im Christentum haben, haben wir das auch im Islam", so Yilmaz. Auf der anderen Seite könne er aber auch politisch aufgeladen sein durch den Konflikt mit den Israelis und den Palästinensern.

9/11 im Kinderzimmer

Auf seiner Website schreibt er: "Geschichte fängt in der eigenen Familie an". Er schildert in dem Buch auch, wie das in seiner Familie war: Er hatte als Teenager ein Bild der zwei brennenden Türme des World Trade Centers vom 11. September 2021 in seinem Kleiderschrank hängen: "Mein Vater macht die Tür vom Kleiderschrank auf und sieht das Bild und eskaliert komplett. Das war vielleicht so der größte Anschiss meines Lebens."
Sein Vater reagiere allergisch darauf, wenn Religion benutzt werde, um Menschen aufzustacheln oder gar um Menschen zu töten.
Die klare Reaktion sei für ihn selbst sehr wichtig gewesen, sagt Burak Yilmaz. Wäre er gelobt worden, hätte er sich womöglich weiter hineingesteigert, sagt Burak Yilmaz: "Aber er hat eine ganz klare Linie gezogen. Wo mir dann auch klar wurde: Oh, so geht das nicht weiter. Du musst da definitiv dran arbeiten."

Mit palästinensischen Jugendlichen in Auschwitz

Im Buch erzählt er von seiner ersten Fahrt nach Auschwitz mit muslimischen Jugendlichen, die er organisiert hat. Die Mehrheit der Teilnehmer seien palästinensische Jugendliche gewesen, die Eltern von ihnen seien zum Teil heftig vom Konflikt zwischen Israel und den Palästinensern betroffen.
Was er bei der Organisation nicht bedacht gehabt habe: In Auschwitz seien auch viele Gruppen aus Israel mit Israel-Fahnen gewesen. "Da gab es auf einmal so ein Mischmasch an Gefühlen, das war so ein emotionales Chaos, dass es wirklich ganz viel mit uns gemacht hat."
Dann sei eine israelische Frauengruppe vorbeigelaufen und habe einen Kranz vor einer Baracke niederlegten, spontan hätten zwei von den Jugendlichen ihr Beileid ausgesprochen. "Und dadurch kamen wir so mit denen ins Gespräch, und das war für sie total aufregend, weil sie bis dahin erstens noch nie Israelis gesehen haben und zweitens auf einmal mit ihnen im Dialog waren." Diese Begegnung habe die Jugendlichen sehr beflügelt.
In Deutschland sei dann die Idee gekommen, dass man viel mehr solche Begegnungen schaffen müsse.

Von Biografiearbeit bis zu Theaterprojekten

Inzwischen hat Burak Yilmaz viele solcher Auschwitz-Fahrten gemacht – als Teil eines größeren Programmes: "Zu diesem Programm gehört eine intensive Biografiearbeit, also die Auseinandersetzung, ob meine Familie zum Beispiel in den Nationalsozialismus verstrickt war oder nicht; dazu gehört eine lokale Auseinandersetzung, also: Wie sah der Nationalsozialismus in meiner Stadt eigentlich aus? Und auf der anderen Seite haben wir Begegnung mit jüdischen Jugendgruppen." Erst dann erfolge die Fahrt, und danach entwickle die Gruppe auch noch ein Theaterprojekt.
Diese Fülle mache das Konzept aus: Es sei immer wieder sehr spannend, da mit jedem Jahr und mit jeder Gruppe ganz neue Prozesse und Entwicklung stattfänden, schildert Burak Yilmaz.
Auch innerhalb der Gruppen seien nicht alle gleich, es gebe Jugendliche mit stark antisemitischen Einstellungen und solche, die liberal eingestellt seien, und auch so entstünden Prozesse, sagt der Pädagoge: "Gerade die Diskussion zwischen diesen verschiedenen Bewegungen ist ganz interessant."
Ihm sei auch wichtig, Jugendlichen Zeit zu geben: Wenn sie antisemitische Einstellungen haben, sei es wichtig, sie zu konfrontieren, es sei aber auch wichtig, ihnen Raum zu geben, um neue Erfahrungen zu sammeln: Nur so könne man Alternativen aufzeigen: "Es bringt mir einfach nichts, wenn ich sie dann als antisemitisch abstemple. Da bauen sie dann eher eine Mauer hoch, anstatt dass sie zulassen, dass ich anders mit ihnen arbeiten kann."

Anerkennung durch den Bundesverdienstorden

Interessant sei gewesen, wie sein Umfeld auf die Verleihung des Bundesverdienstordens vor drei Jahren reagiert habe, wie er im Buch etwas belustigt schildert: "Leute, ihr macht mich fertig. Jahrelang greift ihr mich wegen meiner Arbeit an. Dann ehrt mich eine Autoritätsperson und ihr seid alle folgsam."
Für ihn sei die Ehrung eine einzigartige Erfahrung gewesen. Vor allem für Menschen, die zu einer marginalisierten Gruppe gehörten, sei es wichtig, dass sie auf einmal diese Anerkennung bekommen. "Das war eine ganz starke Aufwertung und hat natürlich auch vielen Leute in meiner in meiner Community gezeigt, dass man diesen Weg auch gehen kann und dass es sich lohnt."
Allerdings heiße das nicht, dass die Anerkennung auch überall ankomme, zeigt Burak Yilmaz die Spannbreite der Erfahrungen auf: "Drei Tage danach wollte ich mit meinen Freunden feiern gehen, und dann sind wir nicht reingekommen, weil der Türsteher gesagt hat ‚Heute Abend keine Ausländer‘."

Reform in der Lehramtsausbildung

Er wünsche sich, dass das Thema Antisemitismus und Rassismus in der Lehramtsausbildung und in den Lehrplänen Kernthema werde: Man brauche auch Schulbücher, die diverser seien und jüdisches Leben nicht nur auf die Jahre 1933 bis 1945 beschränkten: "Schulbücher, die aufzeigen, wie jüdische Kultur europäische Kultur geprägt hat und Teil europäischer Kultur war, und dass es auch ein Leben nach der Shoah gab", fordert er.
"Ich glaube, durch diese strukturellen Veränderungen, die wir auf jeden Fall vornehmen müssen, können wir es schaffen, ein Stück weit sensibler zu sein und junge Menschen dazu zu befähigen, erstens Antisemitismus zu erkennen, aber zweitens auch sich einzumischen."
(mfu)
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