Bundeswehr

Zeitenwende ja, Zuwachs nein

08:43 Minuten
Bewaffneten Grenadiere stehen auf einem Bundeswehrgelände vor einem Militärfahrzeug.
Der Fokus auf das Thema Landesverteidigung könnte die Sinnsuche der Bundeswehr beenden, glaubt der Bürgermeister und Ex-Soldat Florian Kling. © picture alliance / dpa / Mohssen Assanimoghaddam
Florian Kling im Gespräch mit Dieter Kassel · 16.09.2022
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Der Ukraine-Krieg hat den Blick auf die Bundeswehr verändert. Vielen erscheint sie auf einmal wichtig - aber will deshalb irgendjemand dorthin? Der ehemalige Offizier Florian Kling analysiert die fehlende Anziehungskraft der Truppe.
100 Milliarden erhält die Bundeswehr als Sondervermögen - so hat es Bundeskanzler Scholz im Februar unmittelbar nach dem Beginn des Ukraine-Kriegs in seiner "Zeitenwende"-Rede angekündigt. Und auch bei jenen, die mit der Bundeswehr bislang wenig anfangen konnten, ist die Akzeptanz der Truppe gegenüber gestiegen. An den Rekrutierungsproblemen ändert das allerdings erst einmal wenig.

Verankerung in der Gesellschaft

Deutschland habe eine andere Geschichte als andere Nationen, sagt der ehemalige Offizier und Oberbürgermeister von Calw, Florian Kling (SPD). "Mit der Erfahrung aus der Zeit des Nationalsozialismus, der Wehrmacht im Zweiten Weltkrieg, haben wir einen anderen Umgang mit dem Militär, das ist vollkommen klar. Das bedeutet aber noch lange nicht, dass wir die Verankerung in der Gesellschaft nicht brauchen."
Im Moment hielten nicht mal Bundeswehrangehörige eine Karriere bei der Truppe für erstrebenswert, berichtet Kling. "Umfragen innerhalb der Bundeswehr liefern desaströse Ergebnisse. Viele der aktuellen Offiziere würden ihrem Nachwuchs nicht empfehlen, zur Bundeswehr zu gehen - da muss sich dringend etwas ändern."

Akzeptanz durch Sinnhaftigkeit

Die Akzeptanz der Bundeswehr steige proportional zur wahrgenommenen Sinnhaftigkeit, meint Kling. Durch den Wandel von der Verteidigungs- zur Einsatzarmee und den Krieg gegen den Terrorismus sei eine große Unklarheit entstanden, was der Auftrag der Bundeswehr sei. "Da war selbst die NATO auf Sinnsuche. Da war die Sinnhaftigkeit nicht mehr gegeben."
Der Sinn fehlt vielen bis heute: "Keiner auf der Straße würde heute wahrscheinlich eine Antwort haben, wenn wir ihn fragen, was macht denn die Bundeswehr eigentlich gerade in Mali? Das weiß niemand."

Schlingerkurs beenden

"Wenn wir jetzt wieder mehr zu dem Thema Landesverteidigung zurückgehen, können wir diesen Schlingerkurs einer außen- und sicherheitspolitischen Sinnsuche beenden", betont der SPD-Politiker. Dabei sei es wichtig sicherzustellen, dass sich nicht nur "die Falschen" für die Bundeswehr interessierten, so Kling mit Blick auf Fälle von Rechtsextremismus in der Truppe:
"Es muss dafür gesorgt werden, dass der Nachwuchs aus dem normalen Teil der Gesellschaft kommt, und dass er Interesse hat, bei der Bundeswehr zu dienen. Das ist eine große Herausforderung."
(ckü)
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