Mehr Geld für die Bundeswehr

Ist Hochrüsten die einzige Antwort?

04:32 Minuten
Fünf Kampfflugzeuge vor einem roten Abendhimmel
Gegen den Tunnelblick: Gerade in gefährlichen Lagen sollten wir skeptisch bleiben und angeblich alternativlose Lösungen hinterfragen. © Getty Images / iStockphoto / TebNad
Von Pauline Pieper · 03.04.2022
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Angesichts des Ukraine-Krieges soll ein Sondervermögen von 100 Milliarden Euro dazu beitragen, die Bundeswehr besser auszustatten. Dagegen rege sich erstaunlich wenig Widerstand, meint die Philosophin Pauline Pieper. Wo bleiben die Zweifel?
Seit dem Beginn des Krieges in der Ukraine eskalieren die Ereignisse. Nicht nur im Krieg selbst, sondern auch in der öffentlichen Debatte. Während vor gut fünf Wochen für die meisten ein erneuter Krieg in Europa noch unvorstellbar war, wurde vergangene Woche bereits eine befremdliche Diskussion über die Vorzüge verschiedener Raketenabwehrsysteme geführt. Die Forderungen nach mehr deutscher „Verantwortung“ durch Aufrüstung der Streitkräfte überschlagen sich. Und in der öffentlichen Debatte herrscht erstaunliche Einvernehmlichkeit darüber, dass Hochrüstung die richtige Antwort ist. Der russische Angriffskrieg hat Fakten geschaffen und da scheint keine Zeit zu bleiben für Zweifel.

Widerspruch nur aus dem Elfenbeinturm?

Wer jetzt noch an den pazifistischen Idealen von Gewaltfreiheit und Verständigung festhält, kann damit rechnen, als naiv und idealistisch abgetan zu werden. Wer Bedenken äußert oder auch nur die Verhältnismäßigkeit der Aufrüstungspläne infrage stellt, angesichts der massiven Investitionen, die wir eigentlich für den Umbau zu einer klimaneutralen und sozial gerechten Wirtschaft bräuchten, dem wird die harte Realität vor Augen geführt: Wie kann man hadern, wenn uns tagtäglich derart schreckliche Bilder aus der Ukraine erreichen?
Der Vorwurf der Naivität und Realitätsferne ist der Philosophie leidlich bekannt. Im gut beheizten Elfenbeinturm träume es sich schön von Frieden und Vernunft, aber konfrontiert mit einer martialischen Realität, bekomme die Philosophie kalte Füße. Ist nun also die Zeit der Militärstrategen statt der Philosophinnen? Was hat uns die Philosophie überhaupt noch zu sagen in einer Lage, die doch nach entschlossenem und sofortigem Handeln zu verlangen scheint?

Gegen den „Schein des Selbstverständlichen“

Zunächst einmal lehrt uns die Philosophie eine gewisse Skepsis vor den Zwängen des Faktischen. Was als selbstverständlich und unveränderbar daherkommt, das macht sich in den Augen der Philosophie verdächtig. Denn meist ist das, was wir für alternativlos halten, durchaus nicht in Stein gemeißelt, sondern beruht auf bestimmten Vorannahmen – die auch andere sein könnten. Adorno zufolge hat die Philosophie demnach die Aufgabe, den „Schein des Selbstverständlichen“ aufzulösen. So sollten wir uns fragen: Ist Aufrüstung wirklich die einzig mögliche Antwort auf den Krieg in der Ukraine?
Pauline Pieper steht in einem Park, im Hintergrund in der Unschärfe sind Bäume zu sehen, und schaut lächelt in die Kamera.
Plädiert für das philosophische Innehalten: Pauline Pieper.© Birte Mensing
Philosophie kann uns außerdem vor Geschichtsvergessenheit bewahren, ist sie doch spätestens seit Hegel dafür sensibilisiert, dass die Wirklichkeit und ihre Begriffe historisch gewachsen sind. So wirft der philosophisch geschulte Blick auf die Vergangenheit die Frage auf, ob die vermeintlich naiven Paradigmen der Gewaltfreiheit und Abrüstung nicht vielmehr vernünftige Lehren aus vergangenen Kriegen sind. 

Die Macht des Dialoges

Nicht zuletzt setzt die Philosophie auf die Macht des Dialogs. Von Sokrates bis Habermas haben Philosophen die dialogische Struktur des menschlichen Denkens und Handelns betont und das kontroverse Gespräch als Mittel der Wahrheitssuche etabliert. So gesehen besteht kein Zweifel, dass eine derart weitreichende Entscheidung wie ein 100 Milliarden Euro schweres Sondervermögen für die Bundeswehr Gegenstand einer umfassenden gesellschaftlichen und parlamentarischen Debatte sein sollte.
Philosophisches Denken hält also nicht nur Ideale hoch, sondern kann dem öffentlichen Diskurs in einem kritischen Realitätscheck den Spiegel vorhalten, wenn er sich im Tunnelblick zu verlieren droht.
Eine solche philosophische Haltung, die das angeblich Unvermeidliche hinterfragt, die Dinge in ihrem historischen Gewordensein betrachtet und den Dialog hochhält, ist nicht naiv. Um noch einmal Adorno zu bemühen: „Gegenüber der Naivität des willkürlichen Bewusstseins, das sein Beschränktes, ihm Gegebenes für unbeschränkt hält, wäre Philosophie die bindende Verpflichtung zur Unnaivetät.“ Gerade jetzt ist eine solche philosophische Haltung bitter nötig, damit wir uns nicht mitreißen lassen von der bedrohlichen Eskalationsdynamik des Krieges.

Pauline Pieper studiert Philosophie im Master an der Humboldt-Universität zu Berlin. Ihre Interessenschwerpunkte sind Sozialphilosophie und Kritische Theorie.

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