Bundestagswahl von außen

Merkel und erfolgreiche Sozialdemokraten

25:33 Minuten
Angela Merkel tritt durch eien Tür
Auf ihrem letzten Kabinettstreffen: Angela Merkel verlässt die politische Bühne. © picture alliance / AP / Markus Schreiber
Von Oliver Soos, Sofie Donges, Thomas Bormann · 23.09.2021
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Exil-Syrer danken Angela Merkel anlässlich ihres politischen Abschieds. In Ungarn wird eine gemischte Bilanz der Merkel-Ära gezogen. Und in Skandinavien könnte die SPD sich abgucken, wie Sozialdemokraten Wahlen gewinnen und regieren.
"Gott möge sie belohnen", sagt ein 48-jähriger Syrer aus einem Vorort von Kairo über Angela Merkel. Er schwärmt von der deutschen Kanzlerin: "Deutschland hat viele Menschen aufgenommen. Auch mein Cousin lebt jetzt in Deutschland. Er hat dort eine Wohnung bekommen und es geht ihm gut."
Auf Deutschland sind Syrer im Exil gut zu sprechen. Viele – wie der 25-jährige Syrer Youssef – haben noch im Gedächtnis, dass die Bundesregierung ihren Landleuten 2015 half:
"Unsere Leute waren vor dem Krieg geflohen und vor dem Tod. Frau Merkel hat diese Menschen empfangen. Und das halte ich für die Spitze der Menschlichkeit. Das war 100 Prozent richtig. Wenn ich Frau Merkel auf der Straße treffen würde, würde ich ihr danken."
Bewunderung für Angela Merkel gebe es auch, weil sie so erfrischend anders ist als viele Regierungschefs in arabischsprachigen Ländern, die gern in Palästen leben, fernab der Sorgen des Volkes.

Orbán und Merkel als pragmatische "Antipoden"

In Ungarn beurteilen Unterstützer der Regierung die Politik von Angela Merkel anders: Samuel Agoston Mraz ist Direktor des Nezöpont Instituts in Budapest, ein Politik-Forschungs-Institut, das für die Orbán-Regierung arbeitet und für sie auch Umfragen durchführt – auch über die Beliebtheit der deutschen Bundeskanzlerin bei den Ungarn.
"Sie hatte hohe Werte vor der Migrationskrise. Die sind gesunken während der Krise und nach der Krise wieder gewachsen. Sie war populär, abgesehen von diesen ein bis zwei Jahren, als sie an der Spitze der für Migration kämpfenden Politiker stand."
Als Deutschland 2015 Hunderttausende Menschen aufnahm, die über die Balkanroute gekommen waren, stellte sich Ministerpräsident Viktor Orbán als Gegner der deutschen Regierung dar:
"Ungarn braucht keinen einzigen Migranten, weder für die ungarische Wirtschaft noch für die Zukunft. Wir brauchen keinen einzigen Migranten."
Der Kurs von Viktor Orbán hat auch dazu geführt, dass seine Fidesz-Partei nicht mehr in der Fraktion der Europäischen Volkspartei im EU-Parlament ist. Medial war in der deutschen Öffentlichkeit bei Aufeinandertreffen mit Angela Merkel oft von schwierigen Besuchen die Rede. Der Orbán-nahe Politikanalyst Agoston Samuel Marz hält das für aufgebauscht und typisch für deutsche Medien.
"All diese angeblichen Spannungen werden von den Medien instrumentalisiert. Ich glaube, dass Viktor Orbán vielleicht nicht der große Freund von Angela Merkel ist, aber sie haben eine gute persönliche Beziehung. Die beiden sind klug genug, sich die Beziehung nicht zu schwerzumachen."

Merkels Abschied ein Schub für Europas Rechte?

Wutreden und große Gesten sind nicht der Politikstil von Angela Merkel – diese Art schätzt Uni-Dozent Andras Hettyey.
"Sie ist ein Typ, glaub ich, der jetzt so ein bisschen auszusterben droht: immer fachlich, immer vermittelnd, immer ausgeglichen und diplomatisch. Und das ist etwas – ich komme ja aus Ungarn –, was in Ungarn nicht wirklich so vorkommt. Unsere Regierung versucht, charismatisch aufzutreten, versucht, Geschichten zu erzählen, Emotionen zu erwecken, Feinde aufzubauen, große Lösungen anzubieten."
Andras Hettyey bildet als Dozent an der Universität für öffentliche Verwaltung in Budapest ungarische Beamte aus und ist ein Orban-Kritiker.
"Während in deutschen Medien unterschieden wird zwischen der ungarischen Regierung und Ungarn insgesamt, so gilt das umgekehrt nicht. Alles, was in Deutschland passiert, ist schlecht. Jetzt neuerdings die Flutkatastrophe war wieder so ein super Ereignis, wo jeder sagen konnte: In Deutschland läuft es überhaupt nicht gut, da geht alles den Bach runter."
Es gehe darum, den Ungarn das Bild zu vermitteln, dass ihr Land andere Länder überholt habe, vor allem frühere Vorbilder aus dem Westen, so Uni-Dozent Hettyey.
Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) und Viktor Orban, Ministerpräsident von Ungarn, geben sich vor einer Unterredung im Bundeskanzleramt die Hand
Nicht immer einer Meinung: Viktor Orban, Ministerpräsident von Ungarn, zu Besuch bei Bundeskanzlerin Angela Merkel.© dpa/Bernd von Jutrczenka
Agoston Samuel Mraz vom regierungsnahen Nezöpont Institut geht davon aus, dass sich Ungarn auf schwierigere Zeiten gefasst macht, wenn in Deutschland SPD und Grüne regieren und die CDU nicht.
"Das würde zu einer noch stärkeren Spaltung innerhalb Europas führen. Frau Merkel war imstande, immer pragmatisch zu handeln. Und wenn ideologische Attacken das Kanzleramt beherrschen, sind die Beziehungen schwieriger. Eine linke Bundesregierung würde bedeuten, dass der letzte rechte Politiker Westeuropas Sebastian Kurz in Wien wäre. Eine einflussreiche Linke in Europa bedeutet auch einen Schub für die Rechten miteinander zu koalieren."
Der Orban-kritische Uni-Dozent Andras Hettyey würde es begrüßen, wenn Deutschland die "Merkelsche" Zurückhaltung gegenüber der ungarischen Politik ein Stück weit aufgeben würde.
"Die Frage ist, was die deutsche Außenpolitik sein möchte. Einige Aspekte des ungarischen politischen Lebens müssen sehr stark kritisiert werden. Aus dem deutschen Rollenverständnis, dass man auf Menschenrechte großen Wert legt, EU als Wertegemeinschaft, kann man diesen Kritikpunkten nicht aus dem Weg gehen."

Vorbilder für die SPD in Skandinavien?

In Norwegen haben die Sozialdemokraten gerade die Wahlen gewonnen. In Schweden, Dänemark und Finnland regieren sie schon. Es gibt aber nicht das eine Erfolgsrezept.
In Dänemark sagen manche, dass Mette Frederiksen die Wahl gewonnen hat, weil sie die Konservativen rechts überholt hat bei der Migrationspolitik. Und dazu gibt es klassische linke Sozialpolitik: bessere Kitas, mehr Lehrende an den Schulen, höhere Besteuerung der Besserverdienenden und aktuell sollen mehr Männer in Elternzeit.
Die interationalen Schlagzeilen gibt es aber in der Migrationspolitik: Die dänische Regierung will Asylverfahren künftig in einen Drittstaat außerhalb der EU auslagern, hat Teile Syriens als sicheres Herkunftsland anerkannt und will mit dem sogenannten Ghetto-Gesetz verhindern, dass es Wohngebiete gibt, in denen mehr als 30 Prozent der Menschen eine "nicht-westliche" Herkunft haben. Das würde in der Konsequenz bedeuten: Zwangsumsiedlungen und Auflösung von Wohngebieten.
Umfragen bescheinigen den dänischen Sozialdemokraten steigende Zustimmungswerte, die derzeit bei rund 30 Prozent liegen.

Harte Migrationspolitik

Warum auch in den anderen skandinavischen Ländern Sozialdemokraten die Regierung derzeit anführen? Generell sind die skandinavischen Gesellschaften sozialdemokratisch geprägt. Es sind Vertrauens- und Konsensgesellschaften, auch in Folge des sehr präsenten Wohlfahrtsstaates. Dazu kommt: Es gibt keine Schere im Kopf bei den Wählerinnen und Wählern: Sozialdemokratische Politik geht hier sehr wohl zusammen mit harter Migrationspolitik. Denn das schütze den eigenen Wohlfahrtsstaat und ist damit gar nicht untypisch sozialdemokratisch, lautet eine verbreitete Meinung.
Und in Skandinavien können auch Minderheitsregierungen stabil sein, weil es Kompromissbereitschaft in der Politik gibt und einen sachorientierten Pragmatismus, der sich auch in den parlamentarischen Ausschüssen zeigt, die eine zentrale Rolle innehaben und in denen alle Parteien an Gesetzesvorschlägen mitarbeiten und beteiligt werden.
Dazu kommt ein sogenannter negativer Parlamentarismus: Regierungen oder Gesetze werden mit einfacher Mehrheit bestätigt, wenn keine Mehrheit dagegen ist.
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