Bundeskommission beginnt Arbeit

Wissenschaftler, Psychologen und Juristen sollen Missbrauch aufarbeiten

Das Bild zeigt Schattenrisse von drohenden Händen eines Erwachsenen und den Schatten eines Kinderkopfes.
Kindesmissbrauch ist ein perfides Verbrechen: Denn die Täter sind Menschen, denen die Kinder vertrauen. © dpa / picture alliance / Patrick Pleul
Von Christiane Habermalz · 03.05.2016
In Kirchengemeinden, Sportvereinen oder Internaten fand in Deutschland jahrzehntelang systematischer Kindesmissbrauch statt. Doch erst jetzt wird eine Bundeskommission zur Aufarbeitung eingerichtet. Sie soll die Opfer anhören. Akten einsehen oder Zeugen vorladen kann das Gremium nicht, kritisiert Christiane Habermalz.
Zahlen sind bei dem Thema Kindesmissbrauch, dass sich in den dunkelsten Ecken unserer Gesellschaft abspielt, naturgemäß schwer zu bekommen. Doch stimmen die Berechnungen der Weltgesundheitsorganisation auch nur annähernd, dann haben wir es mit Verbrechen zu tun, die längst nicht nur einzelne Unglückliche treffen. Danach leben in Deutschland eine Million Kinder und Jugendliche, die schon mindestens einmal in ihrem Leben sexuell missbraucht wurden.
Eins ist klar: Diese Dimension kann nur erreicht werden, wenn es für die Täter ein gesellschaftliches und institutionelles Umfeld gibt, das ihnen Rückendeckung gibt - sprich: Sie damit rechnen können, dass systematisch weggeguckt, bagatellisiert und verdrängt wird.

Institutionen, in denen Missbrauch geschah, kümmerten sich um die Aufarbeitung

In der Vergangenheit war dies in Ost und West fast die Regel. Dass jetzt erstmals eine Unabhängige Kommission vom Bundestag beauftragt wird, die Strukturen unter die Lupe zu nehmen, die Missbrauch ermöglicht und Aufarbeitung verhindert haben, ist da überfällig. Und man fragt sich, warum dies nicht schon viel früher geschehen ist.
Viel zu lange hat die Politik das Feld der Aufarbeitung den Institutionen selbst überlassen. Einige, wie die Odenwaldschule oder die katholische Kirche, haben sich, wenn auch spät, mit ihrer Schuld auseinandergesetzt, und angefangen, Opfer zu entschädigen. Doch in den meisten Fällen waren die Taten längst verjährt. Notwendige strukturelle Konsequenzen wurden meist nicht gezogen. Opfer, die die Verfahren angestoßen hatten, erfuhren oft jahrelang nichts über den Ausgang der kircheninternen Ermittlungen.

"Absichtliche Blindheit" - Opfern wird oft nicht geglaubt

Dabei ist es das Perfideste aller Verbrechen, denn in den meisten Fällen sind die Kinder ihren Peinigern auf Gedeih und Verderb ausgeliefert. Sie sind ihnen anvertraut im wahrsten Sinne des Wortes: in Familien, in Kitas, in Internaten, in Sportvereinen. An den zerstörerischen Folgen tragen die Opfer ihr Leben lang. Viele berichten, dass sie sich als Kinder irgendwann hilfesuchend an jemanden aus der Erwachsenenwelt gewandt haben. Doch allzu oft wurde ihnen nicht richtig zugehört oder ihnen nicht geglaubt.
Die Vorsitzende der Unabhängigen Kommission, die Familienforscherin Sabine Andresen, übertreibt sicher nicht, wenn sie in diesem Zusammenhang von einer "Absichtlichen Blindheit" der Gesellschaft spricht. Hier gibt es noch viel fehlendes Wissen, viel Forschungsbedarf. Dafür kann die Kommission ihren Beitrag leisten, nicht zuletzt, indem sie die Betroffenen wirklich anhört.

Schwaches Mandat: Keine Zeugenbefragung, keine Akteneinsicht

Zeugen verbindlich vorladen und Akteneinsicht erzwingen, etwa von Jugendämtern oder den Kirchen, kann sie nicht. Dazu wäre ein stärkeres Mandat notwendig gewesen, zu dem sich der Bundestag nicht durchringen konnte. Ein bedauerlicher Mangel an Konsequenz. In dem Film "Spotlight", der einen Skandal von sexuellen Kindesmissbrauch durch die katholische Kirche in Boston aufgreift, wird gesagt: "Wenn es ein ganzes Dorf braucht, um Kinder aufzuziehen, braucht es auch ein ganzes Dorf, um Kinder zu missbrauchen."
Wenn es der Kommission gelingt, in den drei Jahren, die ihr für ihre Arbeit zugestanden werden, dem Dorf den Spiegel vorzuhalten, hat sie viel erreicht.
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