Bürgerkrieg und Franco-Diktatur

Vergangenheitsbewältigung in Spanien

Isidoro Eguia Olaechea mit seinem Nash 409
Was ist mit Isidoro Eguia Olaechea 1936 geschehen? Seine Enkelin sucht heute noch nach seinem Grab. © privat
Von Anna Marie Goretzki  · 04.09.2016
Den Bürgerkrieg in den 1930ern würden viele Spanier am Liebsten vergessen. Orreaga Oskotz aber nicht. Denn ihr Großvater liegt in einem der unzähligen spanischen Massengräber. Wie andere Nachkommen von Opfern plädiert sie für eine Aufarbeitung. Staat und Gesellschaft schauen lieber weg.
Das Meiste, was Orreaga Oskotz über ihren Großvater weiß, hat sie aus Archiven, aus alten Dokumenten. Denn Isidoro Eguia Olaechea wurde 1936 in Pamplona verhaftet und verschleppt. Er ist eines von Hundertausenden Opfern, die während des Spanischen Bürgerkrieges und später während der Franco-Diktatur ermordet wurden. Seit zwei Jahren versucht Oskotz das Grab ihres Großvaters zu finden. Auch damit ihre Mutter endlich Gewissheit über den Verbleib ihres Vaters hat. Einen Vater, den sie viel zu früh verloren hat.
Orreaga Oskotz mit historischen Dokumenten an einem Schreibtisch.
Für die Suche nach ihrem Großvater hat Orreaga Oskotz Monate in Archiven recherchiert.© Deutschlandradio/ Anna Marie Goretzki
Der 32-jährige Isidoro Eguia Olaechea wurde zuletzt in seiner Wohnung in Pamplona gesehen. Bewaffnete Männer rissen ihn aus dem Mittagsschlaf, nahmen ihn fest und führten ihn ab.
Orreaga Oskotz sagt: "Die Festnahmen in Pamplona wurden nicht durch die Polizei durchgeführt, sondern durch paramilitärische Gruppen. Hauptsächlich durch die Carlisten und Falangisten. Also Zivilisten, die sich eine Uniform überstreiften und ihrer Ideologie folgend Personen verhafteten, die auf ihrer Liste standen. Im September 1936 wusste es die ganze Stadt: wer festgenommen wird, kommt nicht zurück."
Auch Isidoro Eguia Olaechea bleibt für immer verschwunden.

1930er: Demokratie-Freunde gegen faschistisches Spanien

Der 97-jährige Doroteo Irurita beobachtet die Ausgrabungen.
Der 97-jährige Doroteo Irurita (rechts) will 1936 die Erschießungen auf dem Feld von "Las Tetas" beobachtet haben. © Deutschlandradio/ Anna Marie Goretzki
Der Spanische Bürgerkrieg hatte gerade erst begonnen. Wenige Monate zuvor putschte der faschistische General Francisco Franco gegen die "Volksfront", eine demokratisch gewählte Regierung linker Parteien. Drei Jahre später, im Jahr 1939, besiegten Franco und seine Anhänger die Republikaner. Die Zweite Spanische Republik – erst 1931 ausgerufen mit dem Ziel eines demokratischen Aufbruchs – war offiziell gescheitert. In vielen Teilen des Landes rächten sich die Sieger an der Bevölkerung, Hunderttausende Menschen starben, viele mussten fliehen.
Der Staat hat bisher wenig für die Aufarbeitung der Vergangenheit getan. Mit dem Ende der Franco-Diktatur erließ das Parlament eine Generalamnestie – eine Straffreiheit für alle politisch motivierten Taten vor 1977. Die Verbrechen des Bürgerkriegs und der nachfolgenden Franco-Diktatur wurden nie gesühnt. Erst seit den 2000ern exhumiert man vereinzelt Massengräber. Selten aber nur gibt der Staat dafür Gelder frei.

Für Opfer ist der Bürgerkrieg keine Vergangenheit

Das Schicksal von Isidoro Eguia Olaechea ist bis heute ungeklärt. Auch warum genau man ihn erschoss, weiß keiner mit Sicherheit. Wegen der Aussage eines Augenzeugen, der die Erschießung beobachtet haben will, vermutet seine Enkelin Oskotz die menschlichen Überreste ihres Großvaters in einem Feld in der Nähe Pamplonas:
"Sie wurden heftig geschlagen. Sie schrien. Man hielt sie fest, die Hände auf dem Rücken gefesselt. Von hinten hat man sie mit Nackenschüssen getötet."
Graben für Graben frisst sich der Bagger durch das große Feld.
Graben für Graben frisst sich der Bagger durch das große Feld. © Deutschlandradio/ Anna Marie Goretzki
Augenzeuge Doroteo Irurita ist heute 97 Jahre alt. Seine Erinnerungen haben dazu geführt, dass heute in dem besagten Feld gegraben wird.
Für Orreaga Oskotz und viele andere Nachfahren der Opfer ist die Geschichte noch allgegenwärtig. Aber die Täter und deren Familien wollen genauso wie viele Mitläufer lieber einen Schlussstrich ziehen.
Orreaga Oskotz und ihre Mutter, Conchita Eguia
Orreaga Oskotz und ihre Mutter, Conchita Eguia. Die 82-jährige hat schon in den 1970ern nach ihrem Vater gesucht. Sie musste die Suche aufgrund von Drohbriefen einer rechtsextremen Gruppierung aufgeben. © Deutschlandradio/ Anna Marie Goretzki
Oskotz kämpft nicht nur gegen die Verdrängung, sondern auch gegen Ignoranz. Bei ihrer Suche nach dem Großvater erfährt sie hautnah, dass die drängenden Fragen ihrer Familie nicht die sind, die andere Spanier bewegen:
"Am zweiten Tag fragte mich eine Frau: 'Was sucht ihr denn?', 'Vier im Bürgerkrieg ermordete Männer, die hier begraben sind', antwortete ich. Sie sagte: 'Ach so, lohnt sich das denn noch?' Da drehte ich mich weg und sagte: 'Ja, Señora, weil fünf Kilometer entfernt von hier meine Mutter sitzt und darauf wartet, dass ich sie anrufe und ihr sage, dass wir ihren Vater gefunden haben.'"
(ske)

Das Manuskript zur Sendung im PDF-Format zum Herunterladen

"Bei einem Auslandssemester in Barcelona zeigte ein spanischer Fotograf seine Dokumentation der ersten profesionell organisierten Exhumierungen. Seine Bilder haben mich sehr berührt. Ich hatte damals schon den Eindruck, der sich bei meinen Recherchen in Spanien jetzt bestätigte: Dass schreckliche Taten, die vor 70 oder 80 Jahre geschehen sind, für die Angehörigen von Opfern so gegenwärtig sind, als wären sie gestern begangen worden."
Anna Marie Goretzki
Anna Marie Goretzki© privat
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