Bürgerbeteiligung

Online-Initiativen retten die Demokratie!

Im Abendlicht gehen in Berlin Besucher an der Kuppel des Reichstags entlang.
Im Abendlicht gehen in Berlin Besucher an der Kuppel des Reichstags entlang. © picture alliance / dpa / Paul Zinken
Von Christoph Giesa · 01.09.2015
Publizist Christoph Giesa sieht in Online-Initiativen eine "digitale APO", die nicht besser oder schlechter sei als die APO aus den 70er-Jahren - nur anders. Ihre neue Macht verändere die Rolle der Politik.
Digitale Initiativen entfalten immer mehr ihre Macht. Ist das gesund für die Demokratie? Keine Frage: Auf Facebook treffen sich Fremdenfeinde, um den Protest gegen Asylbewerberheime zu organisieren, auf Twitter braucht es nur eine unbedachte Bemerkung, um sich einen deftigen Shitstorm einzufangen und auf den zahlreichen Kampagnenplattformen organisieren Lobby-Gruppen mit griffigen Formulierungen Unterstützung für egoistische Anliegen.
Politiker zeigen sich oft genug hilflos und neigen deswegen dazu, vor "besorgten Bürgern" einfach einzuknicken. Ihnen macht die Digitalisierung des Diskurses zu schaffen. Doch nicht die Digitalisierung ist das Problem, vielmehr die Art, wie Diskurse geführt werden.
Man macht es sich zu einfach, wenn man bemängelt, Basisdemokratie höhle die parlamentarische Demokratie aus, weil sie keinen adäquaten Ersatz für eine kluge, ausgewogene Entscheidungsfindung anzubieten habe. Die digitale APO von heute ist nicht besser oder schlechter als die APO aus den 1970er-Jahren. Sie ist anders, vor allem deswegen, weil sie andere Werkzeuge benutzen kann.
Engagierte Vorschläge entfalten Wucht
Mir ist beispielsweise die Initiative "Heime ohne Hass" aufgefallen. Sie setzt sich für Demonstrationsverbote vor Flüchtlingsheimen ein. Mir gefällt, dass sie gerade nicht von Menschen gestartet wurde, die von dieser Forderung direkt profitieren würden. Eher im Gegenteil: Engagierte Leute machen sich Sorgen um die Sicherheit anderer Menschen, in diesem Fall von Flüchtlingen.
Und dafür werden sie mit Drohungen und Abscheulichkeiten überzogen. Selbst vor Kindern machen die Menschenhasser keinen Halt. Ja, das ist die Kehrseite einer politischen Einmischung. Und dennoch: Gäbe es das Internet mit den viel gescholtenen Kampagnen-Plattformen nicht, hätte diese Initiative niemals ihre Wucht entfaltet.
Und es ist auch von Vorteil, dass ein solcher Vorschlag mitten aus der Bürgerschaft und nicht aus den Reihen einer Partei kommt. Dann wird eher über die Sache diskutiert und nicht nur entlang von politischen Lagergrenzen. Es unterbleiben die typischen Beißreflexe, die Automatismen, mit denen Ideen der jeweils anderen erst einmal abgelehnt werden.
Digitale Macht verändert Politik
Es gibt außerdem kein Zurück zu einer rein repräsentativen Demokratie. Die Bürger lassen sich das Recht auf Eigeninitiative nicht mehr nehmen. Neben alten Ortsvereinen werden es zunehmend digitale Foren sein, die zur politischen Willensbildung beitragen. Sie haben durchaus ein Potenzial, das allerdings verantwortungsvoll genutzt werden sollte.
Bürger werden erkennen, dass sie sich selbst keinen Gefallen tun, wenn sie die "Waffe" direkter Einflussnahme wahllos einsetzen, etwa im Dienste zu kurz gedachter Eigeninteressen. Auch in Zukunft muss es möglich sein, dass Stromtrassen und Bahnhöfe gebaut oder Flüchtlingsheime eingerichtet werden. Nur wer sich konstruktiv einbringt, kann erwarten gehört zu werden, nicht aber, wer Fundamentalopposition betreibt.
Politiker wiederum werden lernen, strittige Fragen nicht nach eigenem Gutdünken durchzudrücken, sondern auf den digitalen Dialog zu setzen, wo er sich anbietet oder eingefordert wird. Sie müssen dann aber auch gegenhalten, wo das Gewissen, das Grundgesetz oder ihr Mandat es erfordern, eine persönliche wie auch eine gesamtgesellschaftliche Position zu verteidigen - mag der Gegenwind noch so heftig sein.
Die Rolle der Politik verändert sich mit der digitalen Macht der Bürger. Das ist nicht schlecht, aber sicher anspruchsvoll.

Christoph Giesa arbeitet als Publizist und Unternehmensberater in Hamburg, war Landesvorsitzender der Jungen Liberalen in Rheinland-Pfalz und Initiator der Bürgerbewegung zur Unterstützung von Joachim Gauck als Bundespräsidentschaftskandidat. Das Zeitgeschehen kommentiert er in seinem "blog.christophgiesa.de" und als Kolumnist von "The European".

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